Mit Wild Nothing hat am Montag eine der vielen Bands aus dem Dream-Pop-Genre in Stuttgart gastiert. Wer sich auf die Musik eingelassen hat, der verbrachte den Abend im spärlich beleuchteten Keller Klub in einem Zustand zwischen Wachsein und Schlaf: träumend.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - „Maximum fun for everyone“, kündigt Frontmann Jack Tatum die Zugabe an, es ist die einzige an diesem Montagabend. Tatum lässt die Schultern hängen und schaut genau so, wie der Abend im Keller Klub sein soll: schon emotional bewegt, aber irgendwie auch weichgezeichnet und träge, mit einem Hauch von Schwermut in den Augen. Ein bisschen Psychedelic, ein bisschen Shoegaze – eine große Show durfte bei dieser Band aus traurigen jungen Männern niemand erwarten. Zum letzten Song dreht Tatum dem Publikum den Rücken zu.

 

Dream Pop ist die Bezeichnung für eine gar nicht so neue Spielart des Indie-Pop, in dem Siouxsee and the Banshees oder Cocteau Twins ebenso Platz haben wie die Smiths. Das Genre hat aber in den vergangenen Jahren eine echte Renaissance erlebt. Bands wie The XX, Beach House oder Vertreter der musikalisch eng mit Dream Pop verwandten Chillwave-Welle wie Empire of the Sun, Panda Bear oder Memory Tapes haben teilweise veritable Indie-Hits geschaffen, die auch an normalen Discoabenden im Keller Klub laufen – von Platte.

Mit Band ist besser

Einen großen Unterschied zu den Live-Performances macht das oft nicht einmal: Chillwave-Musik entsteht, obwohl sie nicht so klingt, häufig nur am Laptop. Zu verwundern braucht das niemanden: dieses Genre ist in der zweiten Hälfte der Nullerjahre groß geworden – also in einer Zeit, in der es die entsprechenden Software und die dafür notwendige Rechenleistung bereits für vergleichsweise wenig Geld zu kaufen gab. Soloprojekte oder Duos wie Empire of the Sun konnten zudem das Internet nutzen, um ihre Musik einem breiten Publikum vorzustellen.

Die Musikalität der verträumten, vielschichtigen Chillwave- und Dream-Pop-Projekte erschließt sich einem so richtig aber erst in einer klassischen Live-Besetzung. So klingen die Bands auch weniger nach Laptop als vielmehr nach Achtziger, wie etwa die US-Band Violens. Auch Wild Nothing kommen in Bandbesetzung, obwohl die Musik bis auf das Schlagzeug von Jack Tatum geschrieben und aufgenommen wird.

Hipsterbärtchen und Zopfpullis

Der Mastermind hat sich seine Band richtig zusammengestellt: ein Schlagzeuger mit Hipsterbärtchen, ein Zopfpulliträger an den beiden Roland-Synthesizern und zwei völlig introvertierte Co-Musiker am Bass und an der Rhythmus-Gitarre. Man könnte diese Musik auch am Laptop laufen lassen, aber mit einer Liveband steckt viel mehr Energie drin. Der Sound profitiert von der Besetzung mit zwei Gitarren und den warmen Achtziger-Sounds der Roland-Synthesizer. Man soll zu dieser Musik träumen – doch es lohnt sich auch, gut hinzuhören. Vielschichtig ist vielleicht das beste Attribut für Wild-Nothing-Musik im Besonderen und Dream Pop im Allgemeinen.

Darin stecken viel Kraft und viel Gefühl. Das Gefühl läuft aber oft ins Leere. Das ist Absicht; die in einem konstanten, ziellosen Strom dahinfließenden Gitarren und das ruhige Bassfundament lassen nur wenig von der Power des Schlagzeugs durchdringen.

War’s gut? Je nachdem

Das alles ergibt gemeinsam mit dem eingangs beschriebenen nur kümmerlich ausgeprägten Hang zur großen Geste keine Show im eigentlichen Sinn des Wortes. Vielmehr geht es um die Stimmung, in die man ohne konsumierbare Hilfsmittel eben nur in spärlich beleuchteten Räumen wie dem Keller Klub sowie bei entsprechender musikalischer Untermalung geraten kann: Man möchte schreien und kann doch nur leise mitsummen.

Zum extrovertierten Ausleben der Persönlichkeit ist am Montag freilich niemand in den Keller Klub gekommen, von ein paar Exilamerikanern mal abgesehen. Auf einem Dream-Pop-Konzert zählt das, was die Musik mit dem Inneren der Zuhörer macht. Wenn man sich darauf nicht einlässt, ist der Abend ein Zusammenkommen schüchterner Menschen, die nach den Songs viel zu spät „Thank you“ sagen. Wenn man sich darauf einlässt, ist dieser Abend im spärlich beleuchteten Keller Klub ein mehr als einstündiger Zustand zwischen Wachsein und Schlaf, mit anderen Worten: ein Traum.