Die Grünen-Politikerin und Vize-Präsidentin des Bundestages, Claudia Roth, sprach mit Tim Schleider, dem Leiter der Kulturredaktion von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, im Theodor-Heuss-Haus über die „Wilden Zeiten“ in den 70-ger Jahren

S-Nord - Die Bilder der Sonderausstellung sind quasi das „Who is who?“ ihrer Zeit: Jimi Hendrix im Clinch mit seiner Gitarre, Günter Wallraff als Ali bei Thyssen, Brokdorf belagert und die Osterdemonstrationen im Visier der Wasserwerfer. Der Fotograf Günter Zint hat dabei „Wilde Zeiten“ festgehalten und dokumentiert. Zur Vernissage am Donnerstag lud die Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus zum Zeitzeugengespräch mit Claudia Roth, der Vize-Präsidentin des Bundestags, und Tim Schleider, Leiter der Kulturredaktion von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, ein.

 

Mittlerweile kennt Claudia Roth beide Seiten: Die Grünen haben ihren Weg von der Protestbewegung hin zur Regierungspartei vollzogen, zumindest in Baden-Württemberg. Sie selbst hatte sich als Tochter aus liberalem Elternhaus früh für Politik interessiert, hatte begonnen, Theaterwissenschaften zu studieren und war Managerin der Kultformation Ton Steine Scherben („Macht kaputt, was euch kaputt macht“) – zu einer Zeit, als aus heutiger Sicht harmlose Auftritte bereits politischen Sprengstoff bargen: „Der Staat ließ uns spüren, wir waren der Feind“, sagte sie am Donnerstag. Aber auch: „Hätte man mir damals gesagt, ich würde einmal Vize-Präsidentin des Bundestags, ich hätte gesagt: Das wollen die nicht, und das will ich nicht.“

Die Überreste einer zerstörten Kamera werben nun für die Pressefreiheit

Wie verhärtet die Fronten waren, bekam auch der Fotograf Günter Zint zu spüren. Eine völlig zerstörte Kamera zeugt in einer Vitrine des Theodor-Heuss-Hauses davon – zertreten von einem Polizisten, im Eifer des Gefechtes sozusagen. Eine andere habe er vor einiger Zeit ans Forum Fotografie in Köln geschickt, berichtete er: „Der Direktor hat mir danach geschrieben, die Kamera sei heil in Köln angekommen. Ich habe zurückgeschrieben: Das wäre aber ein Wunder.“

Die Überreste der Kamera werben nun für die Pressefreiheit, um die es leider auch hierzulande nicht immer rosig bestellt ist. Und man kommt nach dem Zeitzeugengespräch und vor allem nach dem Besuch der sehenswerten Ausstellung nicht umhin, zu fragen, wie man wohl in 30, 40 Jahren über unsere Zeit urteilen wird: Welche Bilder werden von Wutbürgern bleiben, von den Machtspielen der Regierungen, vom Terror? Anders gefragt: Hat jede Generation ihre eigenen wilden Jahre?

Die Grundrechte nicht als selbstverständlich erachten

Auf die Pöbeleien bei den Feierlichkeiten am Tag der Deutschen Einheit in Dresden angesprochen, rief Roth dazu auf, die Grundrechte nicht als selbstverständlich zu erachten, sondern sich für ihren Erhalt einzusetzen. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft, die man aus dem Theodor-Heuss-Haus mit nach Hause nimmt: dass sich Geschichte wiederholen kann, wenn man sie denn lässt. Zum Schluss fühlte Schleider noch dem aktuellen politischen Taktieren aus Vorpreschen und Dementieren auf den Zahn: „Sagen Sie uns bitte, dass wenigstens hinter den Kulissen ernsthaft und mit Hochdruck nach einem würdigen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten gesucht wird.“ Das aber wollte die Grünen-Abgeordnete nicht bejahen. Was Theodor Heuss wohl dazu gesagt hätte?