Der 13-jährige Stump ist von Geburt an stumm. Der Versuch einer „Heilung“ durch einen ehrgeizigen Prediger endet tödlich. Ein düsterer Bericht aus der amerikanischen Provinz.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Marshall, North Carolina, USA. Tiefste Provinz, Tabak-Anbau und religiöse Fundamentalisten. Ob man da leben will, ist die große Frage. Doch für die meisten Figuren in Wiley Cashs „Fürchtet euch“ stellt sich diese Frage nicht. Sie sind Zwängen unterworfen, die ihr Leben bestimmen. Sei es, dass sie als Kinder gar nicht die Möglichkeit hätten, etwas zu ändern. Sei es, dass sie als Erwachsene irgendwie durchkommen müssen – und im schlimmsten Fall auch noch unter dem Einfluss eines zwielichtigen Predigers stehen.

 

Weggehen? Weggehen nutzt nichts.

Ein bisschen Tom-Sawyer-Romantik

Jess Hall ist einer von denen, die alternativlos an Marshall gebunden sind. Denn Jess ist erst neun Jahre alt. Er und sein vier Jahre älterer Bruder Christopher, genannt Stump, führen Mitte der 1980er Jahre das Leben von Farmersöhnen, ein bisschen Tom-Sawyer-Romantik – immerhin – inklusive.

Doch Stump ist nicht wie andere Kinder: von Geburt an stumm, weckt er mit seiner Eigenart den Ehrgeiz des Predigers Carson Chambliss, eines religiösen Rattenfängers mit Drogen- und Hafterfahrung, der in seinem Sendungsbewusstsein schon mal Giftschlangen im Gottesdienst einsetzt. Chambliss will Stump „heilen“. Die Mutter der beiden Jungen ist ihm sexuell und anderweitig hörig, der Vater bekommt von der schwarzen Messe nichts mit. Am Ende liegt Stump tot in der Kirche und der alte Sheriff Clem Barefield muss nicht nur die Umstände untersuchen, sondern sich auch mit der Frage beschäftigen, was Stumps Vater wohl mit dem Prediger anstellen wird.

Notizen aus der amerikanischen Provinz

„Fürchtet euch“ ist kein Krimi im klassischen Sinn, die Aufklärung des tödlichen Ereignisses steht nicht so sehr im Mittelpunkt, und auch die Sühne wird dann eher kurz – wenn auch nicht schmerzlos – geschildert. „Fürchtet euch“ ist eher die Zustandsbeschreibung des Lebens irgendwo in der amerikanischen Provinz, geschildert aus drei verschiedenen Perspektiven: neben Jess Hall und Sheriff Barefield kommt auch Adelaide Lyle zu Wort, eine alte Hebamme, die bei aller Angst dem kriminellen Prediger Paroli bietet.

Wiley Cash lässt sich viel Zeit für seine Erzählung. Ohne Hektik, aber stellenweise immer wieder pointiert führt er die Handlung voran. Das ist große Literatur.

Am Ende des Buchs steht nicht die Resignation, sondern die Hoffnung. Sehr viel mehr Alternativen werden einem in Marshall, North Carolina, USA, auch kaum bleiben.

Wiley Cash: Fürchtet euch. Roman. Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Fischer Taschen Verlag, 348 Seiten, 9,99 Euro. Auch als E-Book, 9,99 Euro.