Eine Masterarbeit deutet Formen und Funktion der historischen Wilhelma ganz neu: Maximilian Friedrich Grimm hat die Geschichte des zoologisch-botanischen Gartens in Bad Cannstatt neu geschrieben. Dafür hat er sich auf historische Spurensuche begeben.

Bad Cannstatt - Als „Paradebeispiel maurischer Baukunst“ wird die Wilhelma auch auf der aktuellen Website vorgestellt - und sogleich mit dem weithin bekannten Attribut „Alhambra am Neckar“ geadelt. Doch just diese stilistische Zuordnung und baugeschichtliche Verwandtschaft wird nun von Maximilian Friedrich Grimm in Zweifel gestellt: in der Masterarbeit „Die historische Wilhelma“ des Cannstatter Promovanten der Kunstgeschichte, die mit finanzieller Unterstützung des Vereins Pro Alt-Cannstatt gedruckt und nun im Stadtmuseum vorgestellt wurde.

 

Maurischer Stil von Anlage und Bauten, ein Lustgarten in Ergänzung zum nahen Schloss Rosenstein; zudem die Auffassung, Wilhelm I. habe die ursprüngliche Idee, ein Badehaus zu bauen, später verworfen und wie ein Schloss oder Landhaus bauen lassen. Das sind Eckpunkte der gängigen Einordnung. Sie haben sich nicht zuletzt mit der 1976 erschienen Dissertation von Elke von Schulz festgesetzt. Grimm aber wollte „noch einmal ganz vorn anfangen“, wie er sagt. Dafür hat er sich auf eine historische Spurensuche begeben und ist den Reisewegen von Friedrich Wilhelm Hackländer gefolgt, wie dieser sie in dem Band „Daguerreotypien“ 1863 dokumentiert hatte: „Das ist meine zentrale Quelle“, sagt Grimm. Der Hintergrund: Hackländer war vom Württembergerkönig 1840/41 samt dessen Stallmeister auf eine Reise in den Orient geschickt worden. Wohl auch, um Araber-Pferde zu kaufen. Vor allem aber, um Ideen für die Baupläne auf dem heutigen Areal des zoologisch-botanischen Gartens zu sammeln.

Seine Annahmen sind brisant

Auf dieser Fährte nun kommt Grimm auf historisch tiefer reichende baugeschichtliche Quellen des Wilhelma-Designs, die die Engführung auf das rein „maurische Muster“ aufbrechen: „Was haben sie zum Beispiel in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, gesehen? Was wurde zitiert, was verändert?“ Grimms Fazit: „Das ist viel mehr als Alhambra. Konstantinopel war eine griechische Gründung. Die Antike war und ist dort in transformierter Form präsent. Und das spiegelt sich auch in der historischen Wilhelma. Im Grunde ist das byzantinischer Baustil mit orientalischem Dekor.“ Ein Schluss, den er in seinem Buch detailreich untermauert. Bis hin zum „kufischen, aus dem Irak stammenden Duktus“ der Schriften in den Wandelgängen und am Eingang.

Brisanz hat nicht zuletzt seine Annahme, Wilhelm habe am Typus des Badhauses festgehalten. So sieht Grimm etwa in den heutigen Gewächshäusern keine „Schloss-Flügel, sondern Kur-Architektur“. Und den Grundriss der inneren Wandelgänge deutet er als Hypodrom, als dem Muster einer Pferderennbahn entnommen. Generell sieht er in der Wilhelma nun „sehr viel mehr Istanbul und Damaskus als Granada“.

So kommt Grimm zu einen Schluss, mit dem die Ideengeschichte der Wilhelma in einem neuen Licht erscheint: „Das ist nicht der Anhang eines Schlosses, sondern Kur- und Vergnügungsarchitektur.“