In zehn Veranstaltungen werden die Bürger derzeit über die geplanten 96 neuen Standorte für Windräder in der Region informiert. Auch am sensiblen Albtrauf sind Anlagen vorgesehen – in den Alpen und im Westharz sind sie hingegen komplett tabu.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Überall in Deutschland weht gerade ein frischer Wind durch die Amtsstuben: Seit die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen hat, überarbeiten alle Länder und Regionalverbände ihre Richtlinien für die Windkraft, um diese Energieform nach vorne zu bringen. Auch der Verband Region Stuttgart (VRS) hat vor Kurzem einen Entwurf vorgelegt: Danach könnten am Ende des Verfahrens bis zu 96 Standorte mit bis zu 500 Windrädern ausgewiesen werden – derzeit gibt es 27 Windräder in der Region.

 

Der Chefplaner des VRS, Thomas Kiwitt, hat dabei durchaus Rücksicht auf die Landschaft genommen – so wurden entlang des Albtraufs 15 „Landmarken“ definiert, in deren Nähe Windräder unerwünscht sind. Dazu gehören die Burg Teck, der Hohenneuffen und die drei Stauferberge. Auch das Land hat in seinem Erlass den Naturschutz nicht aus den Augen verloren. Dennoch sind der Albtrauf oder der Schwäbische Wald, also landschaftlich reizvolle Gebiete der Region, nicht grundsätzlich von der Bebauung ausgenommen.

Im Gegenteil: entlang des Albtraufs liegen rund zwei Dutzend der 96 Standorte, also ein Viertel – und da es sich dabei mit um die windreichsten Areale handelt, werden diese wohl auch als Erste aufgerüstet. Die Planungsgrundlage gilt auch für andere Regionen Baden-Württembergs: Selbst auf den Höhen des Schwarzwalds, dieser weltweit bekannten touristischen Marke, muss man künftig mit Windrädern rechnen. Baden-Württemberg setzt die Bedeutung der Energiewende also höher an als den Schutz selbst der wichtigsten Landschaftsjuwelen.

In den Alpen bleibt das gesamte Gebirge tabu für Windräder

In anderen Regionen Deutschlands sieht man dies ganz anders. Im Allgäu beispielsweise, wo der Regionalplan ebenfalls gerade überarbeitet wird, rührt man den bestehenden Alpenzonenplan erst gar nicht an: Der gesamte Gebirgsbereich bleibt tabu für Windräder. „Das ist eine herausragende Landschaft, die es zu schützen gilt“, sagt Irene Marquart, die Geschäftsführerin des Regionalverbandes Allgäu: „Außerdem gäbe es dort wegen des Naturschutzes oder der schwierigen Baulogistik große Probleme mit Windrädern.“

Auch die anderen Regionalverbände entlang der bayerischen Alpen schlagen diese Richtung ein. Rund um Berchtesgaden ist man der Meinung, dass die Bedeutung der Alpen für den Tourismus und den Naturschutz so hoch sei, dass die Berge sich grundsätzlich nicht für Windräder eigneten. Auch die „starke Fernwirkung durch hohe Berge“ spreche dagegen, heißt es in einer Vorlage des Regionalverbandes. Hans Zott, der Geschäftsführer des Regionalverbandes Südostbayern, kann aber nicht sagen, ob diese Regeln im weiteren Verfahren aufgeweicht werden. Auch Irene Marquart will nicht ausschließen, dass zumindest auf den Kuppen des Voralpenlandes Windräder zugelassen werden: „Die Windkraft ist nun privilegiert – man braucht also gute Gründe, um ein Verbot durchzusetzen.“

Im Erzgebirge dürfen Windkraftanlagen gebaut werden

Niedersachsen ist da bereits einen Schritt weiter. Im Entwurf für das neue Raumordnungsprogramm sind sich Regierung und Landtag einig, dass auch künftig keine Windräder in den Wald gestellt werden dürfen. „Der Wald hat so vielfältige Funktionen, dass er nicht durch Windräder belastet werden sollte“, sagt Natascha Manski, die Sprecherin des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums. Ausnahmen gebe es nur, wenn ein Standort bereits vorbelastet sei, zum Beispiel weil dort schon eine Deponie oder Militärgelände gelegen habe. Diese Regelung hat gravierende Folgen: Der gesamte niedersächsische Harz wird demnach frei bleiben von Windparks, versprach das Ministerium schon im vergangenen Jahr.

In Baden-Württemberg ist der Wald jetzt grundsätzlich für Windräder freigegeben worden. Andere Länder agieren ähnlich. So ist für das sächsische Erzgebirge weiter kein komplettes Verbot für Windräder in Sicht: „Einen pauschalen Ausschluss ganzer Gebiete im Voraus gibt es nicht“, sagt Katrin Gottschall vom sächsischen Umweltministerium. Allerdings: die Regionen dürfen in Sachsen – wie in Bayern – weiterhin Ausschlussgebiete festlegen. Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat das Planungsrecht dagegen auf den Kopf gestellt: Grundsätzliche Verbotszonen gibt es nicht mehr.

Naturschutzverbände äußern kaum Kritik

In vielen deutschen Regionen entstehen zumindest heftige Diskussionen darüber, wie hoch der Schutz des Landschaftsbildes zu bewerten sei und ob besonders schöne Gegenden nicht vor Windrädern bewahrt werden sollten. An diesen Debatten beteiligen sich in erheblichem Maße die Naturschutzverbände.

Im Teutoburger Wald (Nordrhein-Westfalen) plädiert der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zum Beispiel dafür, dass allenfalls eine „vorsichtige Öffnung von Waldgebieten für die Windkraft in waldreichen Kreisen“ denkbar sei. Die Landesarbeitsgemeinschaft Natur und Umwelt betont in einem Papier die „Erlebniswirkung und Ästhetik der Landschaft“ und bedauert, dass die Nutzung der Windkraft bereits „zu erheblichen Änderungen des Landschaftsbildes“ geführt habe.

Die „blaue Mauer“ Eduard Mörikes bekommt bald Zinnen

In Baden-Württemberg hingegen stellen sich die Naturschutzverbände weitgehend an die Seite der Regierung. Zwar gibt es ein gemeinsames Positionspapier von Nabu und dem BUND zur Windkraft, das gewisse Vorranggebiete für den Naturschutz definiert und auch anmahnt, dass „einzelne windhöffige Standorte zum Schutz der Landschaft ausgespart werden“. Grundsätzlich aber seien sich die Umweltverbände einig, so der Nabu-Landesvorsitzender Andre Baumann, dass die Energiewende notwendig sei und dass dies der ohnehin geschundenen Natur viel abverlange. „Der Ausbau der Windkraft ist ein zentraler Bestandteil der Energiewende, den es nicht zum ökologischen Nulltarif gibt. Das ist uns bewusst“, sagt Andre Baumann.

Niemand stört sich also an den Anlagen am Albtrauf. Man muss deshalb davon ausgehen, dass in wenigen Jahren die „blaue Mauer“, wie Eduard Mörike den Albtrauf einst genannt hat, mit Windrädern gespickt sein wird, die mit knapp 200 Metern Höhe fast ebenso mächtig sind wie der Albtrauf selbst.