Zum letzten Mal fand am Wochenende ein Hunderennen auf dem Sachsenheim-Ring statt. Nach 40 Jahren müssen Verein und Bahn einem Gewerbegebiet weichen. Kaum ein Mitglied hat Verständnis für die Entscheidung der Stadt.

Sachsenheim - Bevor es losgeht, bricht ein Geheule und Gejaule los. Die Hunde in ihren Boxen scharren und drängeln. Mit einem Surren flitzt der „Hase“ vorbei, die Boxen klappen auf, und die Saluki, persische Windhunde mit flatternden Ohren, preschen dem von einer Winde gezogenen Hasenfell hinterher. Sand spritzt, Fotoapparate klicken, Herrchen feuern an. Nach knapp 30 Sekunden ist alles vorbei, die Hunde stürzen sich auf den liegen gebliebenen Hasen und müssen von ihren Besitzern weggezogen werden. Ein kurzer Spaß.

 

Vielleicht hätten sich die Windhunde etwas mehr Zeit gelassen, wenn sie wüssten, dass dieses Rennen ihr letztes auf dem Sachsenheim-Ring sein wird. Denn die Traditions-Anlage des Windhund-Rennsportvereins Solitude (WRSV) muss nach fast 40 Jahren weichen: Der Gewerbepark Eichwald, entwickelt vom gleichnamigen Zweckverband der anliegenden Kommunen Sachsenheim, Bietigheim-Bissingen, Sersheim und Oberriexingen, drängt 28 Hektar weiter nach Süden. Der größte bereits bekannte Investor ist Breuninger, der auf einer Fläche von acht bis zehn Hektar ein neues Warendienstleistungszentrum errichten will. Dort sollen dann die Waren für alle Breuninger-Häuser und für den Internethandel vorbereitet werden. Fortan wird es also auf dem Gelände zwischen Sachsenheim und Unterriexingen heißen: Gerry Weber statt Greyhound, Barbour statt Barsoi.

Als die Nachricht vom Breuninger-Einstieg im Mai 2015 durch die Presse ging, frohlockte Sachsenheims Bürgermeister Horst Fiedler: „Wir bekommen durch die Ansiedlung 500 neue Arbeitsplätze.“ Diese Freude teilt am Sachsenheim-Ring an diesem Wochenende niemand. Jahrelang drohte dem Ring das Aus, seit 2012 hieß es immer wieder, es könnte das letzte Rennen sein – bis die Stadt im August 2015 dem Verein den Pachtvertrag fristgerecht kündigte und es jetzt wirklich das letzte Rennen gibt. Trotz Petition an den Landtag und einer Unterschriftenaktion.

Kaum jemand ist zum Scherzen aufgelegt

„Ist Wirtschaft denn wirklich alles?“, fragt Dolores Ziefle. „Hat man denn gar kein Traditionsbewusstsein mehr?“ Die Freudenstädterin war als Mädchen dabei, als der Ring gebaut wurde. Ihre Tochter, jetzt selbst eine begeisterte Windhunde-Halterin, hat die Wochenenden ihrer Kindheit an der Rennbahn verbracht.

Früher war Ziefle zweite Vorsitzende der Landesgruppe des Windhundzucht- und Rennverbands. Noch vor zehn Jahren seien bis zu 200 Hunde bei den Rennen angetreten, die Besitzer seien aus ganz Deutschland, ja sogar Europa nach Sachsenheim gekommen. Und zum Training hätten auch viele Sachsenheimer Bürger ihre Hunde mitgebracht, die sich dann ein so genanntes Struppi-Rennen lieferten. Ziefle tut sich schwer, Fassung zu bewahren, während sie von ihren Erlebnissen am Ring erzählt. Ihre beiden Hunde, zwei majestätisch große Barsoi-Windhunde, die ihr bis über die Hüfte reichen, hat sie hingegen im Griff. „Aber wenn da jetzt eine Katze käme, hätte ich Flugstunde“, versucht sie einen Scherz.

Aber so richtig zum Scherzen aufgelegt ist niemand vom Verein. Viele fühlen sich von der Stadt schlecht behandelt. Formal habe sich die Verwaltung korrekt verhalten, moralisch aber nicht, finden sie. Im Jahr 2007, als hier die Windhundrennen-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde, habe der Bürgermeister Fiedler noch davon gesprochen, dass der WRSV ein Imageträger für Deutschland und für Europa sei, sagt ein Mitglied. Heute nennt man ihn hier unter Hand nur noch den „Beton-Fiedler“.

Die einzige Sandpiste in Württemberg

Mit ein bisschen gutem Willen von Seiten der Stadt hätte die Anlage erhalten bleiben und das Gewerbegebiet drumherum entwickelt werden können, ist sich Helmut Schmidt sicher. Als technischer Leiter des Vereins ist er dafür verantwortlich, dass die Anlage funktionstüchtig ist. Dazu zieht er beispielsweise mit einem Traktor (Aufschrift: „Helmuts Rennbahnbaby“) eine Art Pflug über die Bahn, um den Sand für das nächste Rennen zunächst aufzulockern und dann platt zu drücken. Er ist sich sicher: „Das hier ist eine der besten Rennbahnen Europas.“ Weil der Sand fest liege, hätten die schnellen Greyhounds – nur Geparde sind schneller – in der Kurve einen besseren Grip. Zudem sei Sachsenheim die einzige Sandpiste in Württemberg.

Edith Girmond kann sich noch erinnern, wie die Strecke Anfang der Siebziger gebaut wurde: „Als wir hier ankamen, war das Gelände eine Schutthalde“, erzählt das 85-jährige Ehrenmitglied des Vereins. Im Krieg ein Flugplatz, danach gesprengt und von den Amerikanern als Raketenabschussbasis genutzt, war von 1973 an viel persönliches Engagement gefragt, um den Platz zu dem zu machen, was er heute ist. Weil eine der frühen Mitstreiterinnen mit einem US-Offizier verheiratet war, halfen die Soldaten mit schwerem Pioniergerät. „Bis so viel Diesel verbraucht war, dass die Oberen das mitgekriegt haben“, erzählt Girmond. Damals habe Aufbaustimmung im Verein geherrscht, jahrelang sei man seit der Vereinsgründung 1961 auf der Suche nach einer Bahn gewesen. Erst habe man in Sindelfingen, dann in Schwieberdingen, dann in Pforzheim trainiert. „Das war ein richtiger Wanderzirkus.“ Wenn die Mitglieder erzählen, was nötig war, um die Piste aufzubauen, entsteht eine Ahnung davon, wie schwierig es für den Verein sein wird, eine neue Heimat zu finden. Der technische Leiter Schmidt schätzt, dass eine neue Rennbahn mindestens 250 000 Euro kosten wird.

Wieder alles auf Anfang

Auch die Vereinsvorsitzende Lydia Licha ist sich sicher: „Unsere Rennbahn wird international fehlen.“ Seit der Nachricht vom Aus der Bahn seien zehn von 50 Mitgliedern ausgetreten. Dennoch will sie kein Öl ins Feuer gießen: „Ich bin gottfroh, dass wir uns mit dem Zweckverband einigen konnten.“ Eine Räumungsklage des Zweckverbands lag bereits vor, der Termin beim Amtsgericht Vaihingen/Enz auch. Nur Tage davor einigte man sich außergerichtlich: der Verein zieht ab, dafür muss er das damals aufgeschüttete Gelände nicht zurückbauen. „Das hätte für uns sonst die Insolvenz bedeutet.“ Jetzt sei man eben „ab Mai heimatlos“ und suche eine 3,5 Hektar große Fläche, sagt Licha. Damit ist der Verein wieder da angekommen, wo er anfing: auf der Suche nach einer Piste. Der Rennleiter des Vereins, Mark Roessler, bringt die Stimmungslage zwischen Verbitterung und Nicht-Aufgeben ganz gut auf den Punkt, wenn er sagt: „Gehe zurück auf Los und nimm nichts mit.“