Die Energiewende stellt vor allem die Partei der Grünen vor politische Probleme: Ein ums andere Mal müssen die Politiker abwägen zwischen dem Wunsch, alternative Energieträger zu fördern, und dem Naturschutz.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Keine andere Partei hat ein so großes politisches Problem mit der Energiewende wie die Grünen, und zwar gerade weil sie mit Leidenschaft dafür ist. Denn vor allem beim Ausbau der Windkraft zeigt sich nun, dass zugunsten der Windenergie ein anderes zentrales Ziel grüner Politik seit der Gründung 1980 in Gefahr geraten kann: der Naturschutz. Darf man Windräder in Naturschutzgebiete stellen? Darf man Wald abholzen, um Windmühlen aufzuforsten? Darf man den Tod seltener Vögel in Kauf nehmen? Während die CDU ihre skeptische Grundhaltung bei der Windkraft einfach weiterführen kann oder die Linke an ihrer ideologisch geprägten Sichtweise nicht rütteln muss, sind die Grünen in eine Zerreißprobe geraten: Was ist wichtiger, Naturschutz oder Windkraft?

 

Wie die Grünen in der Landesregierung, dem Regionalparlament und dem Stuttgarter Gemeinderat mit diesem Dilemma umgehen, sei im Folgenden näher betrachtet.

Der grüne Teil der Landesregierung

Grüne – und auch die SPD – stehen gewaltig unter Druck: Sie wollen Baden-Württemberg wegholen vom letzten Platz im Windkraft-Ranking. In keinem anderen Flächenbundesland ist die Zahl der Windräder und auch der jährliche Zubau geringer. Um dies zu erreichen, hat die Landesregierung keine Naturschutzgesetze außer Kraft gesetzt – alle gelten weiter. Aber sie hat doch den Druck weitergegeben und klargestellt, dass auch in Naturschutzgebieten im Grundsatz Windräder gebaut werden können, wenn die unteren Naturschutzbehörden in den Landratsämtern zustimmen. Sie hat den Wald frei gegeben für Windräder. Und sie hat alle Regionalverbände aufgefordert, mehr Standorte für Windkraftanlagen auszuweisen und dabei einen „substanziellen Beitrag“ zum Ausbau zu leisten.

Ein Beispiel mag verdeutlichen, wie die Grünen dabei an ihre Schmerzgrenze gehen. Erst vor wenigen Tagen haben die Umweltminister aller Bundesländer das „Neue Helgoländer Papier“ anerkannt, in dem geregelt wird, wie groß der Abstand zwischen einem Windrad und den Brutplätzen bestimmter Vogelarten sein sollte. Aufgrund neuer Erkenntnisse der Vogelschutzwarten wurde dabei der Abstand für den Rotmilan von 1000 auf 1500 Meter erhöht. Viele Windkraftstandorte im Land könnten dadurch wegfallen, zumal der Rotmilanbestand mit 2600 bis 3300 Revierpaaren deutlich höher ausfiel als bislang geschätzt.

Verbindlich ist das Helgoländer Papier nicht; es gilt aber in Gerichtsprozessen oft als wichtiges Hilfsmittel. Alexander Bonde, der grüne Minister für den Ländlichen Raum in Baden-Württemberg, hat nun – nach Kenntnis der Vogelschutzwarten als bisher einziges Bundesland – schon mitgeteilt, dass er es bei 1000 Meter belassen werde. Begründet hat er es natürlich nicht mit dem Druck, möglichst viele Standorte ausweisen zu wollen, sondern damit, dass das Papier Ausnahmen zulasse. In Baden-Württemberg nun könne der Rotmilan in der Regel im Umkreis von 1000 Metern Nahrung finden, schreibt Bonde in einem Brief, weil „Baden-Württemberg von einer reich strukturierten und geomorphologisch abwechslungsreichen Landschaft mit einem hohen Anteil an Mittelgebirgslagen geprägt“ sei. Einen Beweis für diese Behauptung führt Bonde nicht an.

Die Fraktion im Regionalverband

Im September will der Verband Region Stuttgart (VRS) darüber entscheiden, wo er neue Standorte für Windräder ausweisen wird – im Moment sind noch 77 Flächen für vielleicht 200 bis 300 Windräder denkbar. Erstmals haben sich die Fraktionen nun positioniert. Dabei haben die Grünen klar gemacht, dass sie keine politischen Kriterien haben möchten, die zu einer weiteren Verringerung der Standorte führen würde. Der stärkere Schutz bestimmter Naturräume oder Landschaften über die Gesetze hinaus spielt für sie keine Rolle. Sie haben sich klar für den Ausbau entschieden.

Im Stuttgarter Gemeinderat

Vor wenigen Wochen haben die Bürger bei einer Sitzung von drei Bezirksbeiräten in Weilimdorf vor allem die Grünen ausgebuht: Viele Anwohner nehmen es ihnen übel, dass die Grünen sich für zwei Windräder im Tauschwald stark machen. Tatsächlich hat der bisherige Fraktionschef Peter Pätzold immer wieder erklärt, dass die Energiewende auch in Stuttgart sichtbar werden müsse. Während Nabu und BUND den Standort bereits aus Gründen des Artenschutzes abgelehnt haben, wollten die Grünen unbedingt, dass der Standort näher geprüft wird – und haben dies mit einem Trick auch durchgesetzt: Sie haben die Entscheidung von einem Ausschuss, wo sie unterlegen gewesen wären, in den Gemeinderat verlegt, wo sie mit anderen Parteien eine knappe Mehrheit erreicht haben.

Man sieht an diesem Punkt, dass Naturschützer und Grüne, die früher in den meisten Punkten einer Meinung waren, bei der Windkraft plötzlich einen Dissens haben. Allerdings: Pätzold hat immer betont, dass auch die Grünen im Gemeinderat den Tauschwald ablehnen würden, wenn sich in der Prüfung gravierende Naturschutzprobleme ergäben. Die Stammwähler würden dies den Grünen sonst nicht verzeihen. Tatsächlich ist dies auch Fakt: Direkt vor Ort können es sich die Grünen kaum erlauben, den Naturschutz völlig zu ignorieren.