Winfried Hermann ist als Minister zur Verhinderung von Stuttgart 21 gestartet - und macht jetzt als Minister zur Verwirklichung des Projekts weiter.

Stuttgart - An diesem Abend überrascht Winfried Hermann seine Gegner. Irgendwie, so hatten diese gewähnt, werde er es schon wieder hinkriegen, das Ergebnis der Volksabstimmung dorthin zu interpretieren, wohin er es gerne hätte. Schließlich, so sagt der CDU-Landeschef Thomas Strobl, habe der Verkehrsminister der grün-roten Landesregierung keine Gelegenheit ausgelassen, den Konflikt über Stuttgart 21 zu befeuern. Irgendwie, so erwarten die CDU-Leute im Stuttgarter Landtag, werde Hermann die Sache schon wieder so hinbiegen, dass er weitermachen kann in seinem Kampf gegen den Tiefbahnhof.

 

Doch Hermann biegt nicht und schnitzt nicht. Zu eindeutig ist die Abstimmung ausgegangen. Hermann sagt: „Dieses Ergebnis bietet keine Legitimation, Stuttgart 21 zu Fall zu bringen.“ Und damit es wirklich keine Missverständnisse gibt, wiederholt er: „Die Volksabstimmung gibt keine Legitimation mehr, gegen das Projekt zu kämpfen.“ Hermann steht im Plenarsaal des Landtags; eine Fotografin macht Bilder für eine Wochenzeitung, die ein Interview mit dem Abstimmungsverlierer plant. Das Lächeln des 59-Jährigen wirkt eingefroren, aber entspannt wirkt Hermann ohnehin vergleichsweise selten, ob nun mit oder ohne Volksabstimmung.

Hermann sieht sich nicht gescheitert

Ist Winfried Hermann politisch gescheitert? In der CDU, dem eigentlichen Widerpart der Grünen in der Bahnhofsfrage, sehen das viele so, die einen mehr, die anderen weniger. Christian Bäumler, der Chef der CDU-Arbeitnehmerschaft, sagt: „Der Verkehrsminister hat keine Gelegenheit und kein noch so fragwürdiges Mittel ausgelassen, Stuttgart21 zu verhindern. So jemanden kann der Ministerpräsident eigentlich nicht im Kabinett belassen.“ Der frühere CDU-Staatssekretär Georg Wacker beantwortet die Frage so: „Wenn der Verkehrsminister eine 180-Grad-Wendung vollzieht, dann hat er eine Chance verdient, im Amt zu bleiben. Aber ich zweifle daran, dass er das hinkriegt.“

Hermann selbst sieht das ein bisschen anders. Gescheitert? Nein, sagt er: „Ich habe mein Bestes gegeben.“ Immerhin hätte die Grünen allein gegen CDU, SPD und FDP gestanden und dennoch mehr als 41 Prozent für ihre Sache geholt. „Da ist man nicht gescheitert.“ Außerdem, und jetzt holt Hermann ein wenig aus, gehöre es zur Demokratie, dass man mal gewinnt und mal verliert. Das Experiment, mehr Demokratie im Land zu wagen, hält er – bei einer Abstimmungsbeteiligung von 48,3 Prozent – für gelungen. Das sei doch ein schöner Erfolg.

Ein Erfolg vielleicht für die Regierung. Aber für Hermann, den Stuttgart-21-Minister? Die Bezeichnung Stuttgart-21-Minister hat er immer zurückgewiesen. „Ich bin ja nicht Minister geworden, um ein paar Monate Rabatz gegen den Bahnhof zu machen.“ Gern redete Hermann deshalb in den vergangenen Monaten über nachhaltige Mobilität, Elektroautos und Gesamtkonzepte aller Art, gerne auch über Radwege, notfalls sogar über Neckarschleusen. Wahrgenommen aber wurde er als Minister mit dem Kampfauftrag, Stuttgart 21 zu Fall zu bringen. Das ist sein Problem. Regierungschef Winfried Kretschmann brachte das am Freitagabend, 48 Stunden vor dem Ende der Volksabstimmung, so zum Ausdruck: Niemand könne leugnen, dass der Verkehrsminister den schwierigsten Part in der Regierung habe spielen müssen: „Winfried Hermann repräsentiert den Pol der S-21-Gegner in der Regierung.“

Der Flügelmann der Koalition

Heftige Vorwürfe habe sich der Verkehrsminister für seine Haltung gefallen lassen müssen. Aber Hermann sei geradlinig seinen Weg gegangen. Er selbst, fügte Kretschmann hinzu, habe als Regierungschef eine andere Rolle, er müsse die Koalition zusammenhalten. Doch jeder Versuch, zwischen Hermann und ihm einen Keil zu treiben, werde scheitern. „Dein Ministerpräsident steht voll und ganz hinter dir.“

Hermann war beim Thema Stuttgart 21 der Flügelmann der Koalition. Er polarisierte. Die Kerngruppe der Stuttgart-21-Gegner erkannte in ihm den Minister zur Verhinderung von Stuttgart 21. Die Protestszene im Schlossgarten hat sich Hermann zum Helden erkoren, nicht Kretschmann, der ihr zu lasch ist. Als der Ministerpräsident am Mittwoch im Landtag ankündigte, das Baurecht der Bahn durchsetzen, falls das Kündigungsgesetz scheitere, da fanden sich anschließend in den Internetblogs Verratsvorwürfe – verbunden mit der Forderung, Hermann müsse an Kretschmanns Stelle treten. Wo sich aber die Stuttgart-21-Befürworter von Hermann provoziert fühlten, sieht dieser sein Tun und Handeln nur als konsequent. So lange haben die Grünen Front gemacht gegen Stuttgart 21. In Stuttgart verdanken sie dieser Haltung einen Teil ihres Erfolges. Da war es für Hermann stets nicht nur eine Frage der politischen Strategie, sondern auch der Glaubwürdigkeit, den Konflikt um das Bahnprojekt durchzustehen.

Er will jetzt Stuttgart 21 kritisch begleiten

Den Befürwortern ging er damit mächtig auf die Nerven. Weil er noch wenige Tage vor der Volksabstimmung, die doch einen Schlusspunkt unter den Dauerkonflikt setzten soll, immer noch neue Wege und Wendungen suchte, Stuttgart 21 infrage zu stellen. Zuletzt mit der Forderung nach einem neuen Stresstest, diesmal für die Kopfbahnhofvariante – um zu beweisen, dass K 21 besser ist als S 21.

Das ist jetzt vorbei. Projektsprecher Wolfgang Dietrich verlangt von Hermann, „dass das jetzt aufhört mit den einseitigen Vorwürfen gegen die Bahn, bei Stuttgart 21 werde nur getrickst und getäuscht“. CDU-Fraktionschef Peter Hauk sagt, er erwarte. „dass der Verkehrsminister seiner Projektförderpflicht beherzt nachkommt, und zwar erkennbar“.

Hermann ist sich sicher, dass er noch gebraucht wird. Er will jetzt Stuttgart 21 kritisch begleiten, zum Beispiel mit einem „strikten Kostencontrolling“. Den Segen Kretschmanns hat er dazu. Er hält Hermann im Amt. Und das ist dann vielleicht die eigentliche Pointe – Radwege hin, nachhaltige Mobilität her. Hermann wird jetzt tatsächlich zum Stuttgart-21-Minister. Er muss mithelfen, dass es gebaut wird. Hinüber zum Bahnhof, sagt Hermann im Landtag, will er an diesem Abend nicht mehr gehen.

Vom Lehramt zum Regierungsamt

Lehrer: Unter den SPD-Leuten im Regierungsapparat gibt es einen, der hatte „Winne“ Hermann schon als Sportlehrer. „Cool“ fand er ihn. Schon wegen des Ohrrings. Hermann stammt aus Rottenburg. Er studierte Deutsch, Politik und Sport in Tübingen. Später wurde er Lehrer in Stuttgart und Fachbereichsleiter an der Volkshochschule.

Abgeordneter: Zu den Grünen stieß Hermann in Stuttgart. 1992 bis 1997 war er Landesvorsitzender der Partei. Zuvor hatte er von 1984 bis 1988 dem Landtag angehört. 1998 bis 2011 saß er im Bundestag, zuletzt als Vorsitzender des Verkehrsausschusses – eine Funktion, in der er auch gegen die Neubaustrecke Stuttgart–Ulm Stellung bezog.

Minister: Weil die SPD die Neubaustrecke im Koalitionsvertrag durchsetzte, muss sich Hermann als Landesminister zu ihr bekennen, auch wenn er sie für nachrangig hält. Gegen Stuttgart 21 aber durfte er mit dem Segen des Ministerpräsidenten kämpfen. Hermann sagt, er wolle die Verkehrspolitik nachhaltiger machen.