Ob Erbschaftsteuer oder Freihandel – Ministerpräsident Winfried Kretschmann will den Wirtschaftsversteher geben, muss aber auch seine Berliner Parteifreunde ruhig stellen. 

Stuttgart - Winfried Kretschmann gab sich ganz unschuldig: „Ich habe aus den Führungsetagen meiner Partei keine Kritik gehört“, vermeldete der Ministerpräsident Anfang der Woche zum Thema Erbschaftsteuer. Da saß er in der Pressekonferenz nach der Sitzung des Landeskabinetts und wurde nach Konflikten mit den Grünen im Bund gefragt. Kretschmann verfügt über Erfahrung. Zuletzt hatte er mit der Zustimmung zum Asylkompromiss die Politik der eigenen Bundestagsfraktion ausgehebelt.

 

Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuregelung der Erbschaftsteuer ist erneut geeignet, die angespannten Beziehungen zwischen dem Staatsministerium in Stuttgart und den Bundes-Grünen zu belasten. Finanzminister Nils Schmid (SPD) hat zur Erbschaftsteuerreform einen Plan vorgelegt, der in seinen Eckdaten wirtschaftsfreundlicher ausfällt als das von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) präsentierte Konzept.

Die Sache mutet kurios an: Die CDU-Bundestagfraktion murrt über Schäuble und würde im Zweifel wohl das Schmid-Papier jederzeit vorziehen. Die Grünen wie auch Schmids Genossen in Bund und Ländern finden hingegen den Schäuble-Vorschlag ganz okay. Gerhard Schick, der Grünen-Finanzexperte im Bundestag, nennt Schäubles Konzept einen „gangbaren Kompromiss zur Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils, den wir mittragen“. Er verstehe nicht, sagt Schick, „weshalb der Sozialdemokrat Nils Schmid den konservativen Bundesfinanzminister rechts überholen will“. Tatsächlich ist die Erbschaftsteuer für die SPD und zumindest für die Kernklientel der Grünen immer auch ein Gerechtigkeitsthema gewesen. Für Schick ist ist es auch ein Stabilitätsthema. „Ohne einen Ausgleich, der die Konzentration von Einkommen und Vermögen bremst, kann eine Marktwirtschaft nicht stabil bleiben.“

Mittelstand im Blick

Schmid hingegen hat die mittelständisch geprägte Wirtschaft im Südwesten im Blick. Der Beifall der Familienunternehmer wird ihm zwar bei der Landtagswahl 2016 keine Rendite in Form von Stimmen bringen. Doch der Mittelstand beschäftigt viele Arbeitnehmer, die sich im Fall einer Betriebsübergabe Gedanken um ihren Arbeitsplatz machen. Da weiß jeder Wirtschafts- und Finanzminister im Südwesten, wo sein Platz ist. Vorderhand geht es um zwei Zahlen. Schäubles Plan zieht bei einem Betriebsvermögen von 20 Millionen Euro die Grenze, ab der Erben von Unternehmen nicht mehr pauschal von der Steuer verschont bleiben, Schmid gibt sich großzügiger und setzt die Grenze erst bei 100 Millionen Euro an.

Und der Ministerpräsident? Der laviert. Kretschmann hat nach seiner Amtsübernahme schnell gelernt, dass gegen die Wirtschaft keine Wahlen zu gewinnen sind. Aber genauso wenig kann er erfolgreich Wahlkampf führen, wenn er ständig mit seinen Berliner Parteifreunden im Clinch liegt. Ein Insider berichtet, Kretschmanns Staatsministerin Silke Krebs stünde in den Koordinierungsrunden der Grünen unter Druck. „Sie ist in heller Aufregung.“ Die „taz“, noch immer das Selbstverständigungsorgan der Grünen, hatte Kretschmann spöttisch als „Rächer der Enterbten auf die Titelseite gerückt. Sogar Grünen-Bundeschef Cem Özdemir, eigentlich immer bestrebt, seinem Landsmann Kretschmann in Berlin Brücken zu bauen, bekannte sich zum Schäuble-Plan.

Kretschmann will TTIP

Kretschmann äußert sich nicht eindeutig. In Stuttgart sagte er zu Schmid und dessen Erbschaftsteuerplänen, Einzelfragen habe man noch nicht abgestimmt, „aber die Linie ist abgesprochen, und was er (Schmid) gesagt hat, passt in diese Linie hinein“. Bei einem gemeinsamen Auftritt am Donnerstag in Berlin relativierte der Ministerpräsident diese Aussage. Nein, es gebe keinen gemeinsamen Vorschlag der Landesregierung. Sogleich kündigte Schmid an, er werden sein Papier dennoch in die Bund-Länder-Verhandlungen einbringen. In Stuttgart bilanzierte der Fraktionschef der FDP, Hans-Ulrich Rülke, genüsslich: „Unter dem Druck seiner Partei lässt Kretschmann den Tarnmantel des Wirtschaftsverstehers fallen.“

Die Erbschaftsteuer ist nicht die einzige Stolperfalle im Binnenklima der Grünen. Zum Freihandelsabkommen (TTIP) mit den USA hat die Landesregierung ein – diesmal tatsächlich gemeinsames – Positionspapier vorgelegt, das den TTIP-kritischen Grünen im Bundestag zu weich ausfällt. Klar ist: Kretschmann will das Abkommen, wenn auch nicht mit den umstrittenen Schiedsgerichten. Im Zweifel aber kann er als Regierungschef des exportstärksten Bundeslands gar nicht anders, als einen Freihandelsvertrag – sollte dies nötig werden – im Bundesrat passieren zu lassen. Die Bundes-Grünen aber wäre es recht, sie könnten mit einem Veto drohen, um damit Druck auf die Bundesregierung aufzubauen und indirekt Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen. So hatten sie sich das ja schon im vergangenen Jahr im Streit um die Asylrechtsänderung gedacht. Kretschmann machte ihnen damals ein Strich durch die Rechnung. Für Interessenkonflikte mit den Bundes-Grünen hat der Ministerpräsident ein Mantra parat. Er verweist auf die unterschiedlichen Rollen der Grünen in Berlin und Stuttgart: „Die opponieren, wir hier regieren.“