Das Stadtarchiv Winnenden hat geerbt: Die Töchter eines passionierten Sammlers haben eine Kollektion als Dauerleihgabe gestiftet.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Winnenden - Das Schriftstück ist ein Schuldschein über eine riesige Summe: 50 Millionen Mark, einzulösen bei der Stadt Winnenden. Der Winnender Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth erschrickt ganz kurz, sieht wohl schon seinen städtischen Finanzplan gehörig durcheinandergebracht. „Der ist aber von 1923, oder?“, fragt er mit einem Augenzwinkern.

 

Angesichts der damals herrschenden gewaltigen Inflation muss der Rathauschef keine Pleite seiner Stadt fürchten. Der Schuldschein und weitere Stücke Stadtgeschichte aus Papier, acht prall gefüllte dicke Ordner, sind am Donnerstag dem Stadtarchiv übergeben worden. Zusammengetragen hat sie der Winnender Georg Musiol, der von 1919 bis 1997 gelebt hat. Er war Sammler mit Herz und Blut, im Jahr 1957 gründete er mit anderen Philatelisten den Briefmarkensammelverein Winnenden. Seine Töchter Doris Dörr und Adelheid Kull haben sich jetzt entschieden, die Sammlung von historischen Briefen, alten Postkarten und Fotografien sowie Stempeln Winnender Firmen dem Archiv als Dauerleihgabe zu überlassen. „An dieser heimatlichen Geschichte hing unser Herz, wir konnten uns nicht recht davon trennen“, verrät Dörr. „Aber jetzt haben wir uns gedacht, es wäre ganz sicher in seinem Sinne, die Dinge öffentlich zugänglich zu machen.“

Die Handschrift des Herzogs

Dem Klischee nach gibt es Aufregenderes als eine Sammlung alter Briefe. Dabei kann jeder, der sich darauf einlässt, in die Stadtgeschichte eintauchen. Der Betrachter erfährt etwa, dass Winnenden 1845 seine erste Poststation bekam. Davor mussten Amtsboten Briefe nach Waiblingen bringen. In einem anderen Ordner finden sich Schriftstücke, die unter anderem der Württembergische Herzog Carl Eugen anno 1769 verschickte. „Privatpost gab es im 18. Jahrhundert kaum“, erklärt Eberhard Schauer, der vor mehr als einem halben Jahrhundert mit Musiol zusammen den örtlichen Sammlerverein gegründet hatte.

Andere Exponate erzählen aus der Winnender Wirtschaftsgeschichte: Musiol sammelte auch sogenannte Freistempler, die Firmen mit Frankiermaschinen auf ihre Briefumschläge setzten. Darunter sind nicht nur große Firmen wie Kärcher, sondern auch Betriebe, die schon vor langer Zeit dicht gemacht haben.

Eine wertvolle Perry-Rhodan-Sammlung im Altpapier

Die Sammlung sagt nicht nur etwas aus über die Schreiber und die Zeit, in der sie gelebt haben, sonder auch über den Sammler selbst. In perfekter Handschrift hat Georg Musiol die Exponate in den acht Ordnern eingeordnet. „Mein Vater war sehr akkurat“, sagt Doris Dörr. Das Sammeln war seine Leidenschaft: „Jede Briefmarke hat er sich wirklich vom Mund abgespart“, sagt Adelheid Kull. Immer, wenn er neue Schätze aufgetrieben hatte, verzog sich der Vater unters Dach, um sie einzusortieren. Auch wenn der gelernte Maschinenschlosser seine Töchter nicht ganz mit der Sammelleidenschaft anstecken konnte und eine wertvolle Perry-Rhodan-Kollektion einer Putzaktion der Gattin zum Opfer fiel: Archive wie das städtische in Winnender sind auf Hobbyisten wie Musiol angewiesen. „Ohne sie wäre unsere Wissenschaft lange nicht so weit wie heute“, meint die Stadtarchivarin Sabine Reustle. Bei ihr kann die Dauerleihgabe fortan nach Vereinbarung eingesehen werden.