Siegfried Steiger sieht längst noch nicht alle Ziele bei der Notfallrettung erreicht. Im Interview erzählt er von seinem Lebenswerk, dem Ärger mit den Behörden und dem stotternden Start des Babynotarztwagens.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)
Auch 44 Jahre nach ihrer Gründung sieht Siegfried Steiger nicht alle Ziele seiner Stiftung erreicht, aus der er sich als Vorsitzender zurückgezogen hat. Nach wie vor laute sein Motto: Wer eine Initiative braucht, muss sie selber machen.
Herr Steiger, Ihre Stiftung ist aus dem tragischen Unfall Ihres Sohnes heraus entstanden. Das Ziel war, „den Aufbau der Notfallhilfe anzuregen und diese Aufgabe dann den Behörden zu überlassen“. Ist dieses Ziel nicht längst erreicht?
Das war eines der Ziele. Aber wir mussten feststellen: alles den Behörden zu überlassen wird wohl nie funktionieren.
Warum nicht?
Ich bin von den Behörden schon so oft belogen und betrogen worden. Da könnte ich Geschichten erzählen.
Bitte!
Schon gleich zu Anfang, bei der Einführung der Notruftelefone an der Strecke Stuttgart-Nürnberg, gab es mit der bayerischen Landesregierung erhebliche Probleme. Bei der Bemühung um eine Genehmigung für das Aufstellen der Notruftelefone wurde ich im Kreis herum geschickt. Als ich mich an den damaligen Bundesverkehrsminister Georg Leber wandte, riet mir dieser, die Notruftelefone einfach aufzustellen, was wir auch taten. Daraufhin erhielt ich einen wütenden Anruf vom Leiter der obersten bayerischen Baubehörde mit der Aufforderung, die Telefone sofort zu entfernen.
Was Sie nicht machten?
Nein, ich erzählte ihm, dass ich gerade dabei sei, mit einem ZDF-Fernsehteam aufzubrechen, das eine Reportage über die tolle Initiative machen wolle, und dass dieses dann gleich über den Abbau jenseits der bayerischen Grenze berichten könne. Daraufhin erhielt ich prompt die Genehmigung und eine entsprechende Zusage per Motorradkurier zugesandt.
Dann war ja alles geregelt.
Die Geschichte geht ja noch weiter. Der Freistaat Bayern hat sich daraufhin die Notruftelefone von uns übertragen lassen und sich auch für die Wartung verantwortlich erklärt. Wir mussten aber feststellen, dass dies nicht klappte. Um es kurz zu machen: Das Land hatte dem ADAC den Ausschreibungszuschlag erteilt. Der aber musste sich die nötigen Fernmeldetechniker teuer zukaufen. Wie ich herausfand, bezahlte das Land viel mehr Geld als das, was wir bei einer Ausschreibung in unserem Angebot damals offeriert hatten. Später verrotteten diese Notruftelefone. Wenn Sie eine Initiative umsetzen möchten, müssen Sie es selbst machen.
Welche Initiative braucht die Notrufrettung heute noch?
Da gibt es viele Ansatzpunkte, um die meisten kümmern wir uns – von der Verbesserung der Handyortung bei Notruf sowie dem SMS-Gehörlosen-Notruf über die Ausbildung von jungen Ersthelfern bis zu einem Notarztwagen für Babys. Ich würde ganz unbescheiden behaupten: wenn es uns nicht gegeben hätte, wäre der Rettungsdienst nicht der, der er heute ist. Alle wichtigen Verbesserungen in den vergangenen vier Jahrzehnten wurden von uns angestoßen.
Die jüngste Initiative, der Baby-Notarztwagen, hat ziemlichen Schiffbruch erlitten. Die Kinder- und Jugendklinik im westfälischen Datteln hat die Erprobung im Frühjahr abgebrochen. Dort sagt man, der Wagen sei nicht praxistauglich.
Ein Schiffbruch hat nicht stattgefunden: Die Praxistauglichkeit wird an den beiden anderen Standorten in Vechta und Oldenburg nicht in Frage gestellt. Hier kommen die Fahrzeuge der neuen Generation „Felix“ zum Einsatz.
Die Stiftung stand vor ein paar Jahren vor dem Aus
Sie meinen das Theater mit der Steuer?
Ja.
Wir sollten für unsere Aktion „Kampf dem Herztod“ in der ersten Forderung 7,8 Millionen Euro Mehrwertsteuer nachzahlen, obwohl wir am Verkauf der Defibrillatoren keinen einzigen Cent verdient hatten.
Außerdem sollte der Stiftung die Gemeinnützigkeit entzogen werden
Wir haben dagegen geklagt. Drei Jahre nach der Einreichung der Klage hat das erste Erörterungsgespräch stattgefunden, in dem der Richter der Stiftung eine große Aussicht eingeräumt hat, den Prozess zu gewinnen.
Sie haben den Prozess nicht geführt.
Nein, man hat uns gesagt, dass es mindestens fünf Jahre bis zu einem Urteil dauern würde, wahrscheinlich sogar noch viel länger. Das hätten wir finanziell nicht durchhalten können.
Sie haben sich auf einen Vergleich geeinigt?
Die Oberfinanzdirektion hat ihre Forderung zurückgezogen, und wir haben auf Schadenersatzansprüche verzichtet.
Wie hoch war der Schaden?
Unsere Wirtschaftsprüfer haben ihn mit 17 Millionen Euro beziffert.
Wie haben Sie das ausgleichen können?
Es hat die gesamte Substanz und alle Rücklagen gekostet.
Hängt jetzt das Wohl und Wehe der Stiftung von dem Erfolg des Großprojekts Babynotarztwagen ab?
Auf gar keinen Fall. Wir arbeiten parallel noch an anderen wegweisenden Großprojekten zur weiteren Verbesserung des Rettungswesens. Wir haben in der Vergangenheit wie auch in der Zukunft unsere Initiativen immer aus Spenden und Förderbeiträgen finanziert. Entscheidend ist also, wie viele Menschen uns auch weiterhin finanziell unterstützen und es für richtig halten, was wir vorantreiben.
Was wollen Sie vorantreiben?
Zum Beispiel die Bereiche Handy-Ortung bei Notruf, SMS-Gehörlosen-Notruf, Motorrad eCall und Pkw eCall.
Vor vier Jahren haben Sie den Vorsitz der Stiftung an Ihren Sohn Pierre-Enric übergeben. Haben Sie sich tatsächlich zurückgezogen?
Ja. Ich arbeite jetzt nur noch 50 Stunden in der Woche. Nein, im Ernst: ich habe mich tatsächlich – wenn auch viel später als geplant – aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und kümmere mich um Dinge, für die ich davor keine Zeit hatte.
Was zum Beispiel?
Viele Dinge, die uns heute bewegen, basieren auf Initiativen, die wir vor Jahren oder Jahrzehnten realisiert haben. Deshalb ist die Aufarbeitung der Geschichte der Stiftung wichtig. Die gesammelten Zeitungsartikel füllen eine ganze Schrankwand. Die habe ich jetzt so archiviert, dass ich alles auf einen Griff finde.
Wer entscheidet die strategischen Dinge?
Wir sprechen nach wie vor alles miteinander ab. Aber die Verantwortung liegt bei meinem Sohn. Ich sage meine Meinung, er entscheidet.
Das Gespräch führte Frank Rodenhausen.