Ein halbes jahr lang sollen alte S-Bahnzüge auf der Linie S 3 zwischen Stuttgart und Backnang fahren. Bis die neuen Züge kommen, können Rollstuhlfahrer die S-Bahn so gut wie nicht benutzen.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Winnenden - Mit einem normalen Rollstuhl den Zwischenraum von Bahnsteigkante und S-Bahnwaggon zu überwinden, erfordert bereits einige Geschicklichkeit. Mit einem elektrisch angetriebenen ist es ein Ding der Unmöglichkeit, da diese Gefährte rund drei Zentner wiegen. Angelika Bochnig ist auf einen solchen elektrischen Rollstuhl angewiesen. Mittlerweile hat die Winnenderin eigentlich keine Probleme mehr, in die S-Bahn zu kommen, denn die Waggons sind mit entsprechenden Rampen versehen. Doch seit gestern herrschen für sie und andere Rollstuhlfahrer wieder Verhältnisse wie in der Vergangenheit. Da die Deutsche Bahn ihr S-Bahnwagenmaterial im Großraum Stuttgart modernisiert, werden auf der Strecke zwischen Stuttgart und Backnang bis zum Herbst wieder alte Waggons eingesetzt. Diesen fehlt die Rampe.

 

Für Angelika Bochnig und andere Rollstuhlfahrer bedeutet das, dass sie in nächster Zeit nicht mehr in die S-Bahn kommen. Da die engagierte Winnenderin bereits vorzeitig von diesem Umstand erfahren hat, wandte sie sich an die Deutsche Bahn. Von dort erhielt sie zwar eine Antwort auf ihre Mail, doch half ihr diese nicht wirklich weiter. Denn darin wird lediglich erklärt, warum nun die neuen Waggons der Baureihe 423 abgezogen wurden. Diese werden im Nordnetz der Stuttgarter S-Bahnen eingesetzt, wo sie die alten 420er ersetzen. Diese werden wiederum bis zum Herbst auf der Linie S 3 fahren, bis dort die noch moderneren Züge der Baureihe 430 fahren.

Waggons ohne Rampe bilden Barrieren für Rollstühle

„Diese Fahrzeuge verbleiben dann auch endgültig auf der Linie S 3 und bieten Ihnen den höchsten Komfort der S-Bahnflotte“, schrieb der zuständige Bahn-Mitarbeiter an Angelika Bochnig. Nur: was sollen sie und andere Rollstuhlfahrer, die zwischen Backnang und Waiblingen nicht einsteigen können, bis Herbst machen?

Die Winnenderin wandte sich daraufhin an den Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth, der sich seinerseits an die Deutsche Bahn wandte. „Ich möchte Sie daher bitten, den betroffenen Fahrgästen rasch eine annehmbare Lösung zu unterbreiten“, schrieb das Winnender Stadtoberhaupt vergangen Woche an die Bahn. „Die hier vorgesehenen monatelangen Einschränkungen sind meines Erachtens ohne eine besondere Lösung nicht hinnehmbar und auch nicht öffentlich vertretbar.“

Bis Ende vergangener Woche kam seitens der Bahn jedoch lediglich eine weitere Erklärung über die logistischen Umstände, welche die Umstellung auf das neue Wagenmaterial mit sich bringe. Von einer Lösung für Rollstuhlfahrer war darin nichts zu lesen. Lediglich der Hinweis, dass auf der Linie S 2 in Richtung Schorndorf, die in Waiblingen erreichbar ist, bereits in den kommenden Wochen und Monaten neue 430er-Wagen im Mischbetrieb mit alten Waggons zum Einsatz kämen. Doch bis Waiblingen muss man von Winnenden aus erst einmal kommen. Und: „Die Informationen, welche Züge mit den neuen Wagen verkehren, müssten Sie zeitnah einholen, da sich während der Einführungsphase der Fahrzeugeinsatzplan ständig ändert.“

UN-Konvention fordert volle Teilhabe in allen Lebensbereichen

Auch der Winnender Landtagsabgeordnete Willi Halder (Grüne) schrieb vergangene Woche an die Deutsche Bahn in Stuttgart. Darin fragt er nach, welche Maßnahmen von der Bahn ergriffen werden, um Behinderten den Zugang zu Zügen der S 3 zu ermöglichen. Halder verweist in diesem Zusammenhang auf die UN-Konvention, welche „Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglich“ fordert. „Hier wird explizit der Zugang zu Transportmitteln erwähnt“, betont Halder. „Rückmeldungen von Betroffenen zeigen deutlich, dass der Wagentausch auf der S-Bahnlinie 3 als herber Rückschlag gesehen wird.“ Eine Rückmeldung der Bahn erhielt er bis gestern nicht.