Der frühere Justizminister Ulrich Goll hat den Namen eines Anwaltes erfragen lassen, der wegen des EnBW-Deals Anzeige erstattete. Behielt er ihn wirklich für sich?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Am Anfang war es nur ein Gerücht, allerdings ein brisantes: Mindestens einer der Bürger, die Stefan Mappus wegen des EnBW-Deals bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft angezeigt hatten, hätten danach Ärger in ihrem beruflichen Umfeld bekommen. Anhänger der CDU-Regierung, hieß es, hätten ihm bedeutet, dass sie den Schritt gar nicht gut fänden – zumal wenige Wochen vor der Landtagswahl.

 

Brisant daran war, dass die Anzeigeerstatter eigentlich gar nicht bekannt sein konnten. Keiner der damals vier – inzwischen wurden es erheblich mehr – hatte seinen Namen öffentlich gemacht. Akteneinsicht für Mappus oder seine Anwälte gab es nicht, weil ja (bis heute) kein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Auch in der Justiz kannte nur ein kleiner Kreis die Identität der Kritiker: der für Politiker zuständigen Stuttgarter Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler, seine prüfende Kollegin und die Behördenleitung. Nicht einmal die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft erfuhr zunächst Namen.

Waren die Ermittler um Häußler also wieder einmal zu lax mit persönlichen Daten umgegangen? Erst im vorigen Herbst wurden sie vom Landesdatenschutzbeauftragten gerügt, weil in einer Verfügung zu Stuttgart 21 die Anzeigeerstatter mit Vor- und Nachnamen samt akademischen Graden aufgeführt waren. Auf StZ-Anfrage nach etwaigen undichten Stellen kam von der Sprecherin der Staatsanwaltschaft eine überraschende Auskunft: Jawohl, man habe einen Namen weitergegeben, und zwar ans Justizministerium. Nach einem Zeitungsbericht über die ersten Anzeigen gegen Mappus, darunter eine von einem „renommierten Wirtschaftsanwalt“, habe ein Ministerialer beim stellvertretenden Behördenchef Hans-Jörg Götz nachgefragt. Der habe ihm den Namen des Anwalts verraten, ob gefragt oder ungefragt, wisse er nicht mehr.

Goll erfragt Namen des Anzeigeerstatters

Zulässig wäre eine solche ministerielle Recherche, und zwar nach dem Gerichtsverfassungsgesetz, das die Dienstaufsicht über die Staatsanwälte regelt. Wozu aber wollte das damals von Ulrich Goll (FDP) geführte Ressort den Namen wissen? Auch dazu gab es eine überraschende Auskunft, von der Sprecherin des Nachfolgers Rainer Stickelberger (SPD). Der damalige Minister persönlich habe die Identität des Anwalts erfahren wollen und deshalb telefonisch beim stellvertretenden Leiter der Strafrechtsabteilung, Christof Kleiner, nachgefragt. Weil Kleiner nicht Bescheid wusste, wandte er sich an die Staatsanwaltschaft: erst an den Vizebehördenchef Götz und dann, um ganz sicher zu gehen, an die zuständige Dezernentin. Schließlich gab er den Namen, ebenfalls telefonisch, an Goll weiter. Einen Aktenvermerk über den Vorgang aus dem Januar 2011 verfasste der Ministerialrat indes erst ein Jahr später.

Wozu aber brauchte der Justizminister unbedingt den Namen? „Mich hat interessiert, wie die Strafanzeigen gegen den Ministerpräsidenten einzuschätzen sind“, sagte Ulrich Goll jetzt der StZ. Deswegen habe er sich erkundigt, was und wer dahinterstecke und welche Gefahr Mappus drohe. „Ganz sicher“ ist sich der Liberale, nicht von dem Ex-Regierungschef um die Recherche gebeten worden zu sein. „Nicht ausschließen“ könne er hingegen, mit diesem einmal über die Erfolgsaussichten der Anzeigen gesprochen zu haben. Seine Einschätzung: er würde die Sache „nicht ganz so hoch hängen”, bestätigte sich prompt. Noch vor der Wahl, schneller als angekündigt, entschied die Staatsanwaltschaft, keine Ermittlungen aufzunehmen.

Mappus und sein Anwalt schweigen

Den Namen des Anwaltes, beteuert Goll, habe er an niemanden weitergegeben: „So etwas mache ich nicht.” Auch sein einstiger Mitarbeiter Kleiner will niemandem außer den Minister informiert haben – auch nicht seinen Vetter im Staatsministerium, den unter anderem fürs Justizressort zuständigen Abteilungsleiter Michael Kleiner.

Mappus und sein Anwalt Christoph Kleiner – nicht verwandt oder verschwägert mit den anderen Kleiners – reagieren seit Wochen nicht auf eine StZ-Anfrage. Ob der Premier den Namen des Anwaltes erfragt und erfahren habe, ob er ihn weitergegeben habe oder mit Goll über die Erfolgsaussichten der Anzeigen gesprochen habe – Schweigen. Antworten muss er indes vor dem Untersuchungsausschuss zum EnBW-Deal, der den Nebenschauplatz in der Justiz noch näher beleuchten dürfte.

Irgendwie jedenfalls muss der Name des Wirtschaftsanwaltes nach draußen gedrungen sein. Der angesehene Jurist, der nicht in der Zeitung genannt sein will, bestätigt das frühe Gerücht zumindest teilweise: Jawohl, er habe nach dem StZ-Bericht über die Anzeigen gegen Mappus zwei Anrufe von Kollegen erhalten – nach seiner Erinnerung sogar am selben Tag. Bei einem der beiden, deren Namen er nicht nennt, vermute er ein „rein persönliches Interesse“, beim anderen sei er sich „nicht so sicher“. An Einzelheiten des Gesprächs könne er sich nach mehr als einem Jahr nicht mehr genau erinnern. Daher wisse er auch nicht mehr, ob der Anrufer sein Schreiben an die Staatsanwaltschaft kannte oder darüber nur Mutmaßungen anstellte. Es sei im Übrigen keine förmliche Strafanzeige gewesen, sondern nur ein rechtlicher „Denkanstoß“. Auch zur Intention des Anrufers äußert sich der Anwalt nur vage: Er könne weder ausschließen noch unterstellen, dass es seinem Gesprächspartner nicht nur um seine Beweggründe gegangen sei, sondern auch darum, „mich umzustimmen, zum Beispiel durch die Zurücknahme meiner vermeintlichen Anzeige“.

Anwalt über mögliche Indiskretion irritiert

Sollte einer der beiden Kollegen ihn „aufgrund einer Indiskretion innerhalb der Behörde“ kontaktiert haben, sagt der Wirtschaftsanwalt, „würde mich dies schon unangenehm berühren“. Andererseits sei ihm an einer Aufklärung der näheren Umstände deshalb nicht gelegen, weil er vermeiden wolle, „dass am Ende mein Brief oder gar meine Person zwischen den politischen Fronten instrumentalisiert wird“. Sollte es soweit kommen, würde sich jeder Bürger künftig „dreimal überlegen“, ob er der Staatsanwaltschaft einen Hinweis gebe – und damit das Risiko eingehe, „hinterher in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt zu werden“.

Nicht nur beim Untersuchungsausschuss dürfte das Interesse an Aufklärung indes deutlich größer sein. Auch die Justiz hat in anderen Fällen, in denen Ermittlungsinhalte offenkundig unbefugt weitergegeben wurden, unerbittlich nachgehakt. Zur Rückkehr von Ulrich Goll ins Amt des Justizministers kam es nur deshalb, weil seine Vorgängerin wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat zurücktreten musste.