Die Zahl der bewilligten Zuschüsse für Jungunternehmer, die sich selbstständig machen wollen, ist in diesem Jahr massiv gesunken. Mit ein Grund dafür: Wegen des Fachkräftemangels geht derzeit die Arbeitsvermittlung vor.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Elke Reichel ist eine erfolgreiche Gründerin. Vor drei Jahren hat sich die Architektin, die zuvor in einem namhaften Büro angestellt war, selbstständig gemacht. Inzwischen beschäftigt das junge Unternehmen vier Mitarbeiter, das Geschäft läuft gut, gerade haben sie den Wettbewerb für den Bau einer Kirche gewonnen. Als „äußerst hilfreich“ bezeichnet die Stuttgarterin, dass sie anfangs mit dem Gründungszuschuss gefördert wurde: Sie bekam neun Monate lang ihr Arbeitslosengeld und zusätzlich einen Beitrag für die Sozialabgaben aufs Konto überwiesen. „Die Festkosten waren gedeckt“, sagt Reichel, sie habe sich deshalb einfach um ihre Arbeit kümmern können.

 

Hätte sich Elke Reichel erst heute selbstständig gemacht, hätte sie den Zuschuss wohl nicht bekommen. „Fast aussichtslos“ sei es, in Stuttgart bei dieser Förderung zum Zuge zu kommen, sagt Gerhard Bach, externer Coach für die Gründerberatung der Wirtschaftsförderung. Er habe 2011 noch 120 Gutachten für einen Gründerzuschuss geschrieben, in diesem Jahr zwei. „Wir müssen weit weniger Stellungnahmen für einen Gründungszuschuss abgeben“, sagt auch Franz Falk von der Gründerberatung der Handwerkskammer.

Gründerzuschuss ist keine Pflichtleistung mehr

Tatsächlich ist die Zahl der bewilligten Gründerzuschüsse in diesem Jahr in Stuttgart massiv gesunken. In den ersten acht Monaten hat die Agentur für Arbeit 111 Anträge bewilligt. Im gesamten Jahr 2011 waren es 1735 und im Jahr 2010 sogar 1961 Bewilligungen gewesen. Hintergrund dieses starken Rückgangs ist eine Gesetzesänderung im Bund: Seit Dezember 2011 ist der Gründerzuschuss keine teilweise Pflichtleistung mehr, sondern nur noch eine Ermessensleistung. „Wir hindern niemanden daran, sich selbstständig zu machen, wir fördern es aber auch nicht gezielt“, sagt dazu die Sprecherin der Stuttgarter Agentur für Arbeit, Doris Reif-Woelki. Sie verweist auf den aktuell guten Arbeitsmarkt. Angesichts des Fachkräftemangels habe die Vermittlung für die Arbeitsagentur Vorrang.

Verständnis für diese Haltung kommt von der Handwerkskammer. „Unsere Gründer haben eine gute Qualifikation, die haben am Arbeitsmarkt Chancen“, sagt Franz Falk. Teilweise habe es beim Gründerzuschuss zudem erhebliche Mitnahmeeffekte gegeben – dass sich beispielsweise der Sohn vor der Übernahme des Familienbetriebes einen Tag arbeitslos gemeldet habe, um den Zuschuss noch mitzunehmen.

Die Einhaltung der Kriterien wird streng geprüft

Inzwischen sind die Kriterien für die Gewährung des Zuschusses streng geworden: Die Prüfung werde sehr genau genommen, so Reif-Woelki. Gründungswillige müssen beispielsweise 150 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld vorweisen können; Nebentätigkeiten können nicht mehr in hauptberufliche Tätigkeiten umgewandelt werden. Der Zuschuss wird auch nur noch für sechs Monate ausbezahlt. „Er ist damit deutlich weniger attraktiv geworden“, sagt Reif-Woelki.

Dazu passt, dass die Gründerberatungen aktuell einen Rückgang an Anfragen verzeichnen. Das hänge einerseits mit der Konjunktur zusammen, andererseits aber auch mit dem Gründungszuschuss, so Michael Weißleder, der bei der IHK für das Thema zuständig ist. Gleichzeitig nehme die Beratungsintensität zu. Die aktuellen Gründungen seien alle sehr durchdacht, die Konzepte ausgefeilt, ist Weißleders Eindruck. Gerhard Bach berichtet, dass die Existenzgründungen „langsamer“ vorangehen. „Wir sprechen jetzt mehr über inhaltliche Themen“, sagt der Coach.

Gerade in der Anfangszeit entscheidet sich oft, ob die Selbstständigkeit auch tatsächlich funktioniert. „Wenn die Gründer scheitern, dann meistens an mangelnder Liquidität in den ersten sechs bis neun Monaten“, so Michael Weißleder. Eine Alternative zum Gründungszuschuss könnten Mikrokredite sein. Hierfür gebe es mehrere Anbieter. „Bis 6000 Euro werden auch nicht die bankenüblichen Sicherheiten verlangt“, sagt Weißleder.

Fünf Jahre Gründerberatung der Wirtschaftsförderung

Starthilfe

Das Gründerbüro der städtischen Wirtschaftsförderung im Rathaus existiert seit fünf Jahren – Grundlage ist ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss. Die einstündige Erstberatung ist kostenlos. Die Wirtschaftsförderin Ines Aufrecht hat am Mittwoch eine positive Bilanz gezogen. Es habe 3000 Beratungen gegeben. Externe Unternehmens- und Steuerberater sowie Mitglieder des Arbeitskreises Senioren helfen Junioren übernehmen die Beratung.

Kritik

Es sei im Interesse einer Kommune, Gründungen am Standort Stuttgart zu etablieren. „Die Kammern arbeiten regional“, sagte Aufrecht. Sie reagierte damit auf Kritik seitens der IHK Stuttgart, warum sich die Wirtschaftsförderung mit Dingen befasse, die andere bereits täten, wie die Existenzförderung. „Es ist schon erstaunlich, dass man über Medien kommuniziert, ohne das persönliche Gespräch zu suchen“, so Aufrecht.