Im Kampf gegen Korruption sind in deutschen Unternehmen feste Regeln erforderlich. Denn oft wissen Mitarbeiter nicht, was sie tun dürfen und was nicht.

Stuttgart - Der Film basiert auf wahren Ereignissen, die sich im April 2004 in einer Fast-Food-Filiale in Mount Washington, Kentucky, ereignet haben. Ein Mann, der sich als Polizeibeamter ausgibt, ruft den Manager der Filiale an und behauptet, dass eine junge Angestellte das Portemonnaie eines Kunden gestohlen habe. Man soll die Angestellte festhalten, bis er in der Filiale sei. In den folgenden Stunden halten sich alle Mitarbeiter der Filiale an die Anweisungen des vermeintlichen Beamten, was unglaubliche Ausmaße annimmt, von einer demütigenden Leibesvisitation bis hin zu einem sexuellen Übergriff – und das alles unter dem Deckmantel der Kooperation mit dem Gesetz.

 

Auf den ersten Blick ist es ein typischer Hollywoodstreifen, der Ende dieser Woche in die amerikanischen Kinos kommt. Doch der Titel dürfte auch viele Mitarbeiter in deutschen Unternehmen elektrisieren. „Compliance“, so heißt der Film, und ist ein Thema, das seit Jahren in Großkonzernen und zunehmend auch im Mittelstand an Bedeutung gewinnt. Und große Verwirrung auslöst. „Compliance oder auch Regeltreue ist in der betriebswirtschaftlichen Fachsprache der Begriff für die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien in Unternehmen, aber auch von freiwilligen Kodizes“, so lautet die Definition des Internetlexikons Wikipedia.

In der Praxis sind selbst Großkonzerne überfordert

Dabei scheint in Deutschland spätestens seit dem Jahr 2002 der Umgang mit diesem Thema bestens geregelt zu sein. Die Regierungskommission Corporate Governance Kodex hat die Verantwortung für die Einhaltung dieser Regeln den Vorständen auferlegt. Das Management soll dafür sorgen, dass es in dem Unternehmen ein funktionierendes Kontrollsystem gibt, durch das Fehlverhalten schnell aufgedeckt oder gar vorausschauend verhindert werden kann. Jährlich soll der Vorstand darüber einen ausführlichen Bericht vorlegen.

Die Praxis jedoch zeigt, dass damit selbst Großkonzerne überfordert sind. Die Korruptionsskandale bei Siemens oder Daimler, beim Lkw-Bauer MAN oder bei Ferrostaal sind zwar die bekanntesten Fälle, doch bilden sie nur die Spitze des Eisbergs ab. Das Forsa-Institut hat durch eine repräsentative Umfrage herausgefunden, dass allein im Mittelstand in 150 000 Unternehmen im vergangenen Jahr Bestechungsgelder gezahlt wurden.

Spätestens seit der Affäre Wulff ist das Thema verbreitet

Und spätestens seit der Affäre um den zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff ist das Thema auch in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Seitdem stellen sich immer mehr Firmenmitarbeiter die Fragen: Was darf ich noch? Wen darf man zu einem Abendessen einladen? Welche Gespräche dienen nur dienstlichen Zwecken? Wo ist die Grenze zwischen dem Verhalten, das den Regeln entspricht und einer persönlichen Vorteilsverschaffung?

„Der Rechtsrahmen ist nicht hundertprozentig klar“, sagt Heiko Willems, Leiter der Rechtsabteilung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Aus Angst davor, die Regeln zu verletzen, werden etwa Kongresse in schmucklosen Autobahnhotels abgehalten, kleine Werbegeschenke ungeöffnet zurückgegeben oder wird nur noch Mineralwasser statt Wein zum Abendessen serviert. Ein Medizintechnikhersteller wollte seine Kunden bei der Jahrestagung in Hongkong sogar vorsichtshalber in der Jugendherberge unterbringen, um jeglichen Anschein einer Lustreise zu vermeiden.

Die Konzerne beschäftigen zum Teil FBI-Agenten

Die großen Konzerne haben aufgerüstet. Sie beschäftigen inzwischen Heerscharen von Anwälten, zum Teil sogar ehemalige FBI-Agenten, um sich zumindest den Vorwurf zu ersparen, sie hätten nicht alles getan, um Missbrauch zu verhindern. Konzerne wie Daimler haben einen eigenen Compliance-Officer, der rund 160 Mitarbeiter in seiner Abteilung hat. Zudem arbeiten bei den Stuttgartern 150 Angestellte in der Ermittlereinheit Corporate Audit, 50 in der Konzernsicherheit Corporate Security und weitere rund 350 Juristen und Hilfskräfte in der Rechtsabteilung. Von 2005 bis Mitte 2011 sollen die hausinternen Ermittlungen gegen verdächtige Mitarbeiter mehr als 500 Millionen Euro gekostet haben. Mehr als 100 000 Schulungen hat der Autobauer bereits abgehalten, um die Mitarbeiter für die Regeln der guten Unternehmensführung zu sensibilisieren. Seit vergangenem Jahr ist zudem die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt im neuen Vorstandsressort Recht und Integrität für die Einhaltung der Regeln zuständig.

Solchen Aufwand können sich nicht alle Unternehmen leisten. Doch die Grundprobleme sind überall gleich. Wie soll ein Vertriebsmanager handeln, der sich wegen eines Geschäfts in Russland mit der Forderung nach Schmiergeldzahlungen konfrontiert sieht? Es geht in vielen Fällen nicht einmal um persönliche Interessen, sondern darum, das vermeintlich Beste für das Unternehmen zu tun. So hat etwa der 2006 aufgeflogene Siemens-Skandal, in dem der griechische Manager des Münchner Konzerns die Hauptrolle spielte, dazu geführt, dass Siemens Großaufträge im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen 2004 in Athen bekam.

Selbst Topmanager wissen oft nicht, was sie annehmen dürfen

Die Grenzen sind fließend. Selbst Topmanager wissen oft nicht, was sie noch annehmen dürfen und was nicht. Abhilfe kann nach Ansicht von Experten nur eine Unternehmenskultur schaffen, die von oben nach unten konsequent gelebt werde. Es müsse jedem Mitarbeiter klar sein, dass es für ihn kein Nachteil sei, wenn er im Zweifel auf Geschäfte verzichte. Sponsorengelder oder Lobbyarbeit werden besonders kritisch unter die Lupe genommen. Die Deutsche Telekom etwa hat bei der Fußball-EM keine Gäste mehr eingeladen, obwohl sie Sponsoringpartner der Nationalmannschaft ist. Auch die VIP-Loge des Lkw-Bauers MAN beim Champions-League-Finale in München blieb ohne Gäste, weil die Compliance-Wächter den hohen Preis für die Tickets kritisiert hatten. Damit die Logen in der Allianz-Arena bei Heimspielen von Bayern München in der kommenden Saison nicht ähnlich verwaist sind, hat Bayern-Boss Uli Hoeneß den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zu Hilfe gerufen. Er soll sich für verbindliche Einladungsregeln einsetzen.