Das neue Forschungszentrum in Renningen wird bis zum Sommer 1700 kreative Köpfe des Technologiekonzerns vereinen. Ein Rundgang auf dem knapp 43 Hektar großen Campus.

Renningen - Der Liebling des dritten Stocks heißt Apas. Er hat einen Greifarm, drei Finger und bringt die Augen seiner Erfinder zum Leuchten. Der Physiker Joachim Frangen ist 50 Jahre alt, sein Chef Sven Hamann 42. Doch wenn sie von ihrem Apas sprechen, zeigt sich kindliche Freude in ihren Gesichtern. Auf dem Schreibtisch steht ein verkleinerter Prototyp des elektronischen Helfers, der fast alles kann: Teile montieren, Schrauben eindrehen – innerhalb einer Stunde fast jeden Ablauf lernen. Auch wenn die Spannung neuer Batteriepacks gemessen werden muss, tut er das klaglos. „Das würde ich einem Menschen nicht zumuten“, sagt Hamann, einer von sechs Abteilungsleitern im neuen Bosch-Forschungszentrum.

 

Für jede stupide, gefährliche oder unangenehme Tätigkeit soll der 1,10 Meter große Apas gut sein. Und gleichzeitig ist er der einzige Roboter in einer Fabrik, der nicht hinter Glasscheiben oder Gitter gesperrt werden muss, sondern auf Du und Du mit den Kollegen am Band steht. Bei ihm geht das, denn er ist sehr zurückhaltend. Kommt ihm ein Mensch näher als fünf Zentimeter, signalisiert ihm das seine sensorische Hautmembran, und Apas weicht sofort aus.

Ungewöhnlich denken und vernetzen

„Der Bundeskanzlerin ist es auf der Hannover-Messe auch nicht gelungen, ihn zu berühren“, sagt Frangen. Der Referent für Fertigungs-Automatisierung, wie es in der Bosch-Sprache heißt, arbeitet seit 25 Jahren für das von einer Stiftung getragene Unternehmen. Er fährt täglich von Heilbronn nach Renningen. Sein ultramarinblaues Hemd sitzt akkurat. Und wenn er  von dem „Megathema Industrie 4.0“ spricht, also davon, in Fabriken alles miteinander zu vernetzen, dann bricht die Begeisterung für den Job bei ihm durch.

Apas steht als Symbol für ungewöhnliches Denken, Vernetzung und kreatives Lernen: Genau das ist der Sinn und Zweck des 310 Millionen Euro teuren Forschungszentrums, das Bosch zwischen dem Renninger Teilort Malmsheim und Rutesheim hat errichten lassen. Früher stand hier eine Kaserne, die US-Army lässt nebenan auf dem Flugplatz immer noch ihre Fallschirmspringer landen. Zum Spatenstich im September 2012 kam der Ministerpräsident, auf den 43 Hektar herrschten zweieinhalb Jahre Kräne, Bagger und Gerüste. Das 60 Meter hohe Bosch-Hochhaus mit einer spektakulären Stufen-Architektur ist schon jetzt zu einem neuen Technologie-Wahrzeichen geworden.

Der Konzern entwickelt jeden Tag 20 Patente

Für Renningens Bürgermeister Wolfgang Faißt ist das Forschungszentrum ein Leuchtturm der Region. „Von Renningen aus werden Impulse für Innovationen kommen, die die Zukunft unseres Unternehmens prägen“, schwärmt der Bosch-Chef Volkmar Denner über seine neue Forschungskammer – sofern man bei einem so nüchternen Menschen wie dem 58-jährigen Physiker von Schwärmen reden kann.

Ein paar Zahlen: 80 000 Kubikmeter Beton und 13 000 Tonnen Stahl wurden verbaut, 270 Labore und 1800 Maschinen von den Standorten Schwieberdingen, Waiblingen und Gerlingen verlegt. Erweiterungsflächen sind schon gekauft, insgesamt gehören Bosch hier 100 Hektar Land. Der Konzern entwickelt jeden Tag 20 Patente.

Im Oktober begann der Einzug auf dem Campus mit zwei Seen in der Mitte und omnipräsenter Wlan-Verbindung. Nach und nach füllt er sich nun mit Leben. Was bisher kilometerweit in der Region verteilt war, wächst zusammen. Wie sich Synapsen vernetzen, sollen es auch die Mitarbeiter tun, jenseits von Abteilungsgrenzen und Zuständigkeiten zusammenfinden.

Zum Beispiel in den sogenannten Kommunikationsinseln. Auf so einer sitzen Joachim Frangen und Sven Hamann. Genauer gesagt, sitzen sie auf bunten Stoffwürfeln. Ein Basketballkorb steht im Hintergrund. „Der Ball ist gerade weg“, sagt Sven Hamann. Aber kurz vor der Mittagspause seien noch ein paar Körbe geworfen worden.

Weiße Tische und Stühle, es riecht nach Latte macchiato aus einer silbern glänzenden Kaffeemaschine. Einen Tischkicker gibt es auch. Selbst die Raucher sind nicht ausgeschlossen, ihr Balkon ist nur durch eine Glasscheibe von diesem Ort der Kreativität getrennt. Joachim Frangen und Sven Hamann auf den Würfeln schwärmen schon wieder über ihren Apas: „Ob er sich mit einer anderen Farbe    besser verkauft?“, scherzen sie, während es im Hintergrund wuselt, als seien die meisten Kollegen auf der Suche nach ihrem Büro.

Klaus Georg Bürgers letztes Projekt

Alles ist in Bewegung. Und vielleicht ist das mit dem Farbwechsel gar keine so schlechte Idee. So wird aus einer Blödelei in der Kreativecke vielleicht später irgendwann einmal ein Verkaufsargument. Nebenan hat ein Kollege einen Rasenmäher entwickelt, der das Grün im Garten perfekt stutzt. „Zwölfmal effizienter als jeder andere“, sagt Joachim Frangen. Aus dem Mund des Physikers klingt das nicht mal wie ein Werbespruch, sondern völlig überzeugend. „Jede einzelne Rasenzeile nimmt er sich vor, bis alles fertig ist.“

Der Kollege, der den selbstfahrenden Rasenmäher entwickelt hat, ist nur eine Minute entfernt. Kurze Wege, interdisziplinärer Austausch, die totale Vernetzung. Funktioniert dieses von Bosch verkündete Dogma? Wir wechseln das Stockwerk, später das Gebäude – alles ist mit allem verbunden. Die großräumigen Büros setzen sich aus einzelnen offenen Bereichen zusammen. In einen der unüberschaubar vielen, oft winzigen „Besprecher“, wie die Boschianer sagen, haben sich zwei Ingenieure zur Diskussion zurückgezogen.

Das beobachtet einer mit besonderer Freude. Eigentlich müsste der 65-jährige Klaus Georg Bürger im Ruhestand sein. Aber den Umzug bringt er noch zu Ende. Sein letztes Projekt. Er hat viele Jahrzehnte Bosch-Erfahrung. Vom ersten Spatenstich bis zum letzten Gerät, das nach Renningen kommt, managt er alles: „Gerade habe ich noch mal bis Oktober verlängert.“

„Manche waren skeptisch wegen der offenen Strukturen“, sagt er, „aber wir bekommen fast jede Woche einen Antrag, eine Wand herauszunehmen.“ Fast keine Kritik gebe es von den Mitarbeitern. Obwohl natürlich nicht alles klappt. So haben die Handwerker in einem Stock die falschen Büros zuerst hergerichtet – die Mitarbeiter kamen aber viel später. „Klar passiert das bei solch komplexen Vorgängen“, sagt Bürger. Schon im Privathaushalt klappe nicht alles beim Umzug. Aber die Rückmeldungen der Mitarbeiter seien „begeistert“. Zumindest, wenn erst einmal der Stress des Umzuges bewältigt sei.

Raum für das Fantasieren

Klaus Georg Bürger und die beiden Forscher stehen in einem Testlabor. Ein großes Durcheinander von Metallstangen und Kabeln, wie in einem Kreisverkehr laufen kleine Plastikschiffe vorbei. „Eine typische Produktionslinie“, sagt Joachim Frangen. Hier könnte man Stabmixer zusammenbauen oder Rückleuchten von Autos, völlig egal.

Getestet wird hier, wie die einzelnen Stationen zusammenspielen. „In einer Fabrik hat normalerweise jedes Gerät eine eigene Software und Steuerung“, sagt der Abteilungsleiter Sven Hamann. Hier wird ausprobiert, wie man alles mit einer gemeinsamen Steuerung verbinden könnte. Und ob sich vielleicht sogar eine Arbeit für den sympathischen Roboter Apas findet. Joachim Frangen hat noch viele andere längst nicht spruchreife Visionen – in Renningen ist das Träumen ja ausdrücklich erlaubt.

Die Firma Robert Bosch trägt Sorge dafür, dass auch spinnerte Ideen gehört werden. An der Spitze, im fünften Stock des Hochhauses, sitzen zwei Geschäftsführer, Michael Bolle und Jürgen Kirschner, die die Forschung leiten und gleichzeitig bei Bosch für die Forschung und Entwicklung zuständig sind. Sie sind direkt dem Vorstandschef Volkmar Denner unterstellt.

An den Laboren wird noch gearbeitet

Dafür kommt dieser auch regelmäßig nach Renningen. „Bei diesen Besprechungen sind auch Ingenieure oder Teamleiter dabei“, sagt Klaus Georg Bürger, während er in der riesigen Mensa vor einem Teller mit überbackenen Maultaschen sitzt. So wie hier in dem in Menü-Inseln gegliederten Gebäude jeder jedem begegnen kann, so soll sich das in dem ganzen Forschungszentrum fortsetzen.

Noch schlägt das Herz der Denkfabrik mit halber Kraft

Noch schlägt das Herz der Denkfabrik nur mit halber Kraft. 900 Mitarbeiter sind schon umgezogen, die restlichen 800 kommen bis zum Sommer nach. An den komplexen Laboren und Reinräumen wird noch gearbeitet. Im Oktober soll dann ganz hoher Besuch zum offiziellen Festakt kommen. Wer das sein wird, ist noch streng geheim. Jedenfalls ist Renningen dann die Zentrale der Bosch-Forschung, von hier aus werden dann alle Mitarbeiter in den Außenstellen dirigiert – ob in den USA, in Asien oder in Russland.

Und vielleicht begegnet man demnächst nicht nur dem Roboter Apas, sondern auch noch anderen Innovationen aus Renningen. Wenn die Autos noch mehr mitdenken, mit dreidimensional filmenden Kameras das Fahren automatisieren, so dass der Fahrer seinen Sessel umdrehen und mit dem Rücken zum Lenkrad sitzen kann, dann ist die Idee, wie das klappen könnte, vielleicht in Renningen entstanden.

„Ich muss jetzt weiter, die nächste Besprechung ruft“, sagt schließlich Sven Hamann, der schnell denkende und schnell sprechende Abteilungsleiter. Trotz aller Entspanntheit und Offenheit und kreativer Wohlfühlatmosphäre auf dem Campus: am Ende werden auch hier Leistung und Ergebnisse erwartet. Noch mehr als zuvor – trotz Basketballkorb und Tischkicker.