Der Tübinger Uhrmachermeister Markus Holdermann fertigt individuelle Armbanduhren und hat damit eine besondere Nische in der Branche gefunden. Und es schadet auch nicht, dass er Spezialist für die Reparaturen von alten Wand- und Armbanduhren ist.

Tübingen - Manchmal kann Markus Holdermann sogar hellsehen. Als kürzlich ein Ehepaar die Schaufenster seines Uhrengeschäfts eingehend studierte und dann den Laden betrat, um sich ein bestimmtes Exponat zeigen zu lassen, war Holdermann ihnen bereits einen Schritt voraus. Noch bevor das Paar sagen konnte, um welche Uhr es ihnen ging, hatte der Handwerkermeister exakt die gewünschte Uhr geholt. Woher er wusste, welche? „Ha, no! Ich werd’ doch noch wissen, für wen ich meine Uhren mache“, beschied Holdermann dem verblüfften Paar.

 

In den 40 Jahren, die der Uhrmachermeister nun schon seinen Beruf ausübt, hat er einen guten Blick für seine Kunden und ihren Geschmack erworben. „Man erkennt es nicht bei jedem, aber gerade Männern sieht man oft an, was ihnen gefallen könnte“, sagt der 60-Jährige. Früher hat Holdermann hauptsächlich antike Uhren vertrieben und repariert. Als jedoch Stand-und Wanduhren zunehmend weniger gefragt wurden, hat Holdermann sein Geschäft neu ausgerichtet.

Holdermanns Unikate müssen alltagstauglich sein

Der Reparaturbetrieb für Uhren aller Art ist geblieben – schließlich hat sich Holdermann in all den Jahren einen exzellenten Ruf erworben, gilt als eine Art „Wunderdoktor“, wenn eine Uhr nicht mehr richtig tickt. In der kleinen Werkstatt über seinem Laden betreibt er aber zudem seit 20 Jahren seine eigene Uhrenproduktion. Nach seinen eigenen Entwürfen – oder den von Kunden – fertigt Holdermann verschiedenste Armbanduhren, in Kleinserien von fünf bis zu 100 Stück. Er verkauft sie auch nur direkt, in seinem Geschäft in Tübingen und auch auf speziellen Märkten, wie in Perugia/Italien oder in Aix-en-Provence/Frankreich.

Holdermann entwirft die Armbanduhren, kauft die Rohware und die Gehäuse ein und lässt die Zifferblätter in Pforzheim bedrucken. Die Komponenten werden bearbeitet und schlussendlich zusammengesetzt. Jeder Kunde kann sich aber „seine“ Uhr auch individuell zusammenstellen.

Ungefähr 100 mechanische Modelle hat der Tübinger Uhrmachermeister aktuell im Angebot: kleine, große, schlichte, oder extravagante, wie die Uhr mit dem leuchtend grünen Zifferblatt. Für rund 500 Euro bekommt man hier schon eine schöne mechanische Armbanduhr. Die Obergrenze liegt bei circa 2500 Euro – eine Grenze, die Holdermann auch nicht groß überschreiten möchte. „Wir sind hier kein Luxusgeschäft, wir verkaufen Zeitmesser und keine Kapitalanlagen“, sagt er. Er wolle alltagstaugliche Uhren anbieten, mit dem „Kick des Besonderen im Erscheinungsbild“.

Freiraum für Kreativität ist dem Uhrmacher wichtig

Das scheint bei den Kunden gut anzukommen. „Wir verkaufen zu 95 Prozent „Holdermann“-Produkte, berichtet der Uhrmachermeister. In seinem Geschäft, das er zusammen mit seinem Sohn, einem Auszubildenden und zwei weiteren Beschäftigten betreibt, setzt er im Jahr rund 200 000 bis 250 000 Euro um. Zwei Drittel davon stammen aus den Eigenkreationen, ein Drittel aus Reparaturen. „Damit kommen wir auch gut rum“, meint der Uhrmacher. Er sei zwar überzeugt davon, das er „ohne Ende“ expandieren könne, aber er wolle bewusst „klein“ bleiben.

Je mehr man um die Ohren habe, desto weniger Zeit bleibe doch für die eigene Kreativität, meint Markus Holdermann. Und die ist ihm besonders wichtig. So hat er beispielsweise schon daran getüftelt, der Zeit eine völlig neue Dimension zu geben, sie bildlich darzustellen. Vor Jahren hat er die „Hölderlin-Uhr“ erfunden, eine Bilder-Uhr, bei der die Zeit durch die Veränderung des Bildes abgelesen werden kann. Die circa 40 mal 60 Zentimeter große Wanduhr zeigt den Poeten, wie er aus dem Turm am Tübinger Neckarufer kommt und nachdenklich die Front entlangschreitet. An der Trauerweide hat er plötzlich eine Eingebung und eilt zurück. Brauchte er für den Hinweg noch eine halbe Stunde, schafft er den Rückweg in lediglich zehn Minuten. Die Stunden werden auf der Uhr durch den Stand von Sonne und Mond angezeigt. Wenn die Sonne senkrecht steht, ist es 12 Uhr mittags.

Die „Hölderlin-Uhr“ ist für den Uhrmacher Holdermann eine attraktive Möglichkeit, um auf sich und sein Können aufmerksam zu machen. Er ist überzeugt davon, dass ein Einzelhändler heutzutage nur überleben kann, wenn er sich abhebt von anderen. Mit dem Angebot seiner eigenen Armbanduhren habe er sich eine kleine Nische erschlossen, sagt Holdermann.

Die Zahl der Touristen steigt, die der jungen Kunden fällt

Mit dem Ambiente in seinem Geschäft, hat er den passenden Rahmen dazu geschaffen. „Holdermann’s Uhrenkabinett“ liegt mitten in der Langen Gasse der malerischen Tübinger Altstadt. Wer hier hereinkommt, betritt eine andere Welt. Beim Öffnen der Eingangstür erklingt ein Glockenspiel, die Armbanduhren liegen fein säuberlich aufgereiht in hölzernen Vitrinen mit Fünfziger-Jahre-Charme und an den Wänden hängen oder stehen Uhren, die man in so einer Mischung – jenseits von Museen – kaum zu sehen bekommt. Man kann sie alle erwerben, sowohl die klassischen Wanduhren als auch die französischen Comtoise-Pendeluhren aus den Jahren 1850 bis 1870, die Markus Holdermann in eine moderne Form gebracht hat. In dem Geschäft findet sich zudem eine Tisch-Uhr, bei der sich die Unruh um sich selbst dreht, eine Kugellauf-Uhr und sogar eine hölzerne „Eulen-Uhr“, bei der zur Abwechslung mal kein Kuckuck, sondern ein Uhu herausfährt und die volle Stunde mit einem „Uhu“ ausruft.

Das lockt Kunden von weit her. Eine Hölderlin-Uhr wurde beispielsweise nach Kiel verkauft. Andere kommen in Gruppen wie die asiatischen Touristen, für die – nach den Metzinger Outlets – noch der Besuch der Werkstatt eines „echten“ Uhrmachers als „kulturelles Highlight“ auf dem Programm steht. Lediglich eine Gruppe Menschen kommt fast gar nicht, berichtet Markus Holdermann, die jungen Leute. Die würden die Zeit heute nur noch vom Handy ablesen.

Zu schaffen machen dem Uhrmachermeister zudem zwei Entwicklungen in der Schweiz, dem Land, aus dem er hauptsächlich seine Uhrwerke bezieht. Die Luxus-Uhren-Hersteller, eigentlich alle, die Rang und Namen hätten – wie Rolex, Breitling, Audemars Piquet – würden ihm Knüppel zwischen die Beine werfen, berichtet Holdermann. Sie hätten ein Ersatzteilmonopol aufgebaut und lieferten meist nur an Konzessionäre, also an Geschäftsleute, die ihre Uhren auch verkauften. Das aber lohne sich in Tübingen nicht, die Studenten hätten ja nur wenig Geld. Zudem führe die Aufwertung des Franken gegenüber dem Euro dazu, dass viele Teile teurer geworden seien, etwa die Uhrwerke, die er in seinen Eigenkreationen verbaue. „Es wird daher immer schwieriger, etwas Individuelles zu machen“, bedauert Holdermann.