Gerlingen und Korntal-Münchingen haben zwar unterschiedlich hohe Einnahmen – aber viele Gemeinsamkeiten.

Gerlingen/Korntal-Münchingen - Gerlingen hat Bosch, Korntal-Münchingen hat Porsche nicht bekommen. Das schmerzt Joachim Wolf. Seine Stadt muss Kredite aufnehmen, um dringende Investitionen zu bezahlen. Sein Kollege Georg Brenner freut sich derweil über hohe Gewerbesteuerzahlungen. Im zweiten Teil unseres Interviews reden die Rathauschefs der Nachbarkommunen nicht nur über Wirtschaftsthemen, sondern auch über das Stadtmarketing.

 
Herr Brenner, Herr Wolf, lassen Sie uns über Finanzen sprechen. Ihre Kommunen sind in einer grundlegend unterschiedlichen Lage. Gerlingen mit Gewerbesteuereinnahmen von 40 Millionen Euro – wird es noch mehr?
Brenner Das ist nicht immer nur Freude, sondern auch Bürde.
Wolf Die würde ich gerne übernehmen.
Inwiefern ist es eine Bürde für Sie, Herr Brenner?
Brenner Es ist nicht sicher, dass es so bleibt. Ich erinnere mich gut an die Wirtschaftskrise 2009. Da haben wir diskutiert, ob Standards reduziert oder Investitionen gestreckt oder zurückgestellt werden müssen. Das ist noch nicht lange her. Wir sind jetzt in der glücklichen Situation, dass wir ein hohes Gewerbesteueraufkommen haben. Ich hoffe, dass es lange so bleibt.
Sind Sie auf den Etat Ihres Kollegen manchmal neidisch, Herr Wolf?
Wolf Ja klar. Wir haben ein Gewerbesteueraufkommen zwischen 12 und 14 Millionen Euro, wegen dringend nötiger Projekte könnten wir 50 bis 60 Millionen Euro investieren. Die Verschuldung war in den vergangenen Jahren durchaus im Rahmen. Nun gibt es einen Sanierungsstau, der sich vor meiner Zeit aufgebaut hat, in der Schulentwicklung gab es Nachholbedarf. Aber auch wegen gesetzlicher Änderungen, wie bei der Betreuung, müssen wir investieren.
Wie kann sich eine Stadt noch entwickeln, wenn sie finanziell so eingeschränkt ist?
Wolf Wir haben trotz der schwierigen Situation in der Korntaler Innenstadt einiges gemacht. Wir werden weiter das dringend Notwendigste machen müssen, finanziert durch Kredite, wobei sich der Schwerpunkt in den Stadtteil Münchingen verlagern wird. Danach müssen wir die Schulden wieder abbauen und die Einnahmen verbessern. Und wir wollen als Gewerbestandort attraktiver werden. Wir denken auch darüber nach, unsere Steuersätze behutsam nach oben anzupassen. Wir kommen nicht drum herum.
Stichwort Gewerbesteuerhebesätze: von den rund 500 Betrieben, die in Gerlingen Gewerbesteuer zahlen, ist vor allem Bosch ein Garant für hohe Einnahmen. Was passiert, wenn sich eine solche Firma zurückzieht? Ist das ein Albtraum für Sie, Herr Brenner?
Brenner Wenn sich die Situation schlagartig verändern würde, wäre das ein deutlicher Aderlass für uns. In solchen Situationen muss der Gemeinderat reagieren. Es kann auch sein, dass die Einnahmensituation dann wieder angepasst werden muss.
Oder verlassen Sie sich auf die breite Streuung, auf mittelgroße Unternehmen?
Brenner Dass das Gewerbesteueraufkommen während der Wirtschaftskrise nicht ganz in den Keller gegangen ist, ist hauptsächlich den mittelständischen Unternehmen zu verdanken gewesen. Das ist ein Fundament, mit dem man weiter rechnen kann. Strukturell ist es ein Vorteil, dass wir nicht nur von einer großen Firma abhängig, sondern in der Breite unterwegs sind.
Der Gemeinderat hat beschlossen, den Gewerbesteuersatz zu senken, weil ein Unternehmen gedroht hat, wenn ihr das tut . . .
Brenner Das sagen Sie. Wir haben die Sätze gesenkt, generell, mit Wirkung für alle Gewerbetreibenden. Wir haben bewusst gesenkt, damit die, die zu unserem Steueraufkommen beitragen, profitieren – weil sie das, was sie nicht an Steuern zahlen, wieder in ihren Betrieb stecken können.
Die Wahrnehmung draußen war, dass die Hebesatzsenkung auf Anregung einer Firma beschlossen wurde. Ist die Stadt erpressbar?
Brenner Ich habe, glaube ich, eben gesagt, dass es nicht so ist.
Sie sprechen von einer breiten Streuung, aber natürlich sind Sie auch ein Stück weit abhängig von großen Gewerbesteuerzahlern. Deshalb stellt sich die generelle Frage, ob man nicht ein wenig erpressbar wird durch diese Abhängigkeit.
Brenner Natürlich sind wir froh, dass wir so einen großen Gewerbesteuerzahler haben. Das ist ein Leuchtturm für die Stadt, der nicht nur in unseren Haushalt hinein wirkt, sondern auch in das kulturelle und gesellschaftliche Leben der Stadt. Dass der Name Gerlingen mit dem Standort der Konzernzentrale verbunden wird, ist für uns ein Marketingvorteil. Dass viele Mitarbeiter bei uns im gesellschaftlichen Leben unterwegs sind, in der Kirche, in Vereinen, in der Flüchtlingsbetreuung, empfindet eine Gemeinschaft wie Gerlingen positiv. Insofern hat dieser große Gewerbebetrieb für uns viele positive Facetten.
In Korntal-Münchingen lief es vor einiger Zeit nicht ganz so positiv, die Stadt hat von Porsche eine Absage bekommen. Die Elektro-Sportwagen werden jetzt in Zuffenhausen gebaut. War die Stadtverwaltung zu langsam oder waren die Anforderungen von Porsche zu hoch, Herr Wolf?
Wolf Die Entscheidung ist bei Porsche gefallen. Wir waren bis zum Schluss mit größtem Engagement dabei, auch wenn es eine riesige Herausforderung war. Der Zeitdruck war extrem. Wir hätten diesem Druck standhalten können. Was am Ende für die Entscheidung ausschlaggebend war, müssen Sie Porsche fragen. Wir haben uns ins Zeug gelegt, sind aber unterlegen.
Stichwort Schulentwicklung: auch da ergeben sich Unterschiede zwischen Ihren beiden Städten. In Korntal-Münchingen hat man sich aufgrund der knappen Kassen für eine Minimalvariante entschieden. Sind Sie damit zufrieden, Herr Wolf?
Wolf Ich bin damit zufrieden, weil es eine Entscheidung ist, die den Schulstandort Korntal-Münchingen auf Dauer sichert. Ich halte es nicht für eine Light-Version, wie ich es früher interpretiert habe – weil wir alle Ziele erreichen, die wir erreichen wollten, bis auf die Verlagerung und Stärkung der Realschule. Ein zweites Ziel haben wir leider auch nicht erreicht: die Sekundarstufe II in Münchingen aufrecht zu erhalten. Das ist der Wermutstropfen. Mir war es immer ein Anliegen, den Schülern in Münchingen vor Ort auch eine Perspektive nach der Grundschule zu bieten.
Gerlingen wollte keine Gemeinschaftsschule, die Hauptschule ist ausgelaufen, für die Realschule hat das Land neue Unterrichtsformen geschaffen, die viel mehr Platz erfordern. In diese Phase fiel die altersbedingte Sanierung der Realschule, die mit 24 bis 25 Millionen Euro relativ teuer wird, selbst für Gerlinger Verhältnisse. Haben Sie mit dieser Entwicklung gerechnet, Herr Brenner?
Brenner Wir haben mit der Sanierung der Realschule gerechnet, das Gebäude ist mehr als 40 Jahre alt. Dass die Realschule nun auch den Hauptschulabschluss anbietet, ist positiv. Jetzt können wir die Sanierung so auslegen, dass wir nicht nur neue Unterrichtsformen an der Realschule berücksichtigen, sondern auch die Möglichkeiten, die zu dem Abschluss führen, der dem der früheren Hauptschule entspricht. Das Gebäude wird neu aufgeteilt und größer werden. Und wir planen einen Multifunktionsraum für das Schulzentrum, der auch die Mensa mit aufnimmt.
In Korntal-Münchingen wird seit einiger Zeit über eine mögliche Ganztagsgrundschule an der Teichwiesenschule debattiert. Nun ist der Schulleiter Gebhard Götz vom Befürworter zum Zweifler geworden, vor allem wegen des leer gefegten Lehrermarkts. Können Sie diese Bedenken nachvollziehen?
Wolf Völlig. Wenn Herr Götz das macht, will er es richtig machen und nicht mit einer provisorischen Situation, in der ihm hinten und vorne das Personal fehlt. Diese Entscheidung trifft er. Was er sagt, muss ich akzeptieren. Das wäre für mich auch eine conditio sine qua non, wenn das erforderliche Personal nicht da ist.
In beiden Städten gibt es viele Läden, aber auch Leerstand. In Gerlingen betreibt man aktives Stadtmarketing, es wurde ein Verein gegründet. Solche Bestrebungen nimmt man aus Korntal-Münchingen nicht wahr.
Wolf Wir haben zwei große Stadtteile und Kallenberg, und überall müssen wir die Einzelhandelsversorgung sicherstellen. Wir können uns nicht konzentrieren wie Gerlingen. In den beiden großen Stadtteilen haben wir die Einzelhandelsverbände, mit denen wir intensiv zusammenarbeiten, und es gibt den Runden Tisch City-Management, den ich initiiert habe. Da gibt es ein reges Miteinander. Das intensive Engagement der Verbände, wie ich es in Gerlingen wahrnehme, läuft bei uns noch nicht optimal. In Korntal ist der Handelsstandort Innenstadt durch den neuen Edeka gesichert. Leerstände gibt es vereinzelt, aber wir haben es geschafft, die Versorgung in Korntal zu sichern. In Münchingen sind wir noch nicht so weit.
Herr Brenner, auf der Wunschliste des Stadtmarketing-Vereins stand ein Hauptamtlicher, der auch für das City-Management zuständig ist. Sie sind im Vorstand des Vereins. Hat man sich das für 2017 vorgenommen?
Brenner Für mich ist es nicht das vorrangige Ziel, 2017 einen hauptamtlichen Wirtschaftsförderer oder Marketingbeauftragten zu installieren. Wir wollen weitermachen, wo wir erfolgreich begonnen haben, Außenwirkung erzielen und die Einzelhändler sowie die Bevölkerung mitnehmen. Es geht auch um die Frequenz in der Innenstadt, die sich deutlich verbessern wird, wenn Edeka ins Träuble einzieht. Dieses Potenzial zu nutzen und das Angebot an den Bedürfnissen der Kunden auszurichten sind die vorrangigen Aufgaben des Vereins.
Also vorerst kein neuer Mitarbeiter?
Brenner Ich habe immer gesagt, dass Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing Chefsache sein muss, wenn es gelingen soll. Natürlich schafft der Chef das nicht allein, er braucht Leute, die mitziehen. Die habe ich in der Verwaltung, die habe ich im Verein, und die habe ich in der Vergangenheit auch immer beim Bund der Selbstständigen gehabt. Das Zusammenarbeiten war aus meiner Sicht in der Vergangenheit so erfolgreich, dass man nicht zwangsläufig das Pferd wechseln muss, indem man sich einen Hauptamtlichen ins Haus holt. Ich sehe im Moment keinen wesentlichen zusätzlichen Ertrag einer solchen Stelle.
Würden Sie mit Ihrem Kollegen tauschen?
Wolf Nein. Ich bin glücklich in meiner Stadt mit allen Herausforderungen. Ich möchte nicht tauschen. Das wird Herrn Brenner genauso gehen, nehme ich an.
Brenner Man kann nur Bürgermeister sein, wenn man es mit Leib und Seele ist, wenn man sich voll identifiziert mit seiner Kommune. Wir verkörpern das beide.