Wirtschaftsvertreter schlagen versöhnliche Töne an. Der DGB-Landesvorsitzende Nikolaus Landgraf zum Beispiel zeigt sich zufrieden.

Stuttgart - Die Industrie-und Handelskammer sowie die Handwerkskammern im Land waren am Mittwoch sichtlich bemüht, das Positive aus dem grün-roten Koalitionsvertrag herauszuheben. So begrüßte der Präsident des baden-württembergischen Industrie-und Handelskammertages (BWIHK), Peter Kulitz, das Bekenntnis der künftigen Regierung, die Staatsverschuldung bekämpfen zu wollen. "Auch nach der Krise muss Nullverschuldung sowie darüber hinaus der Abbau der bestehenden Staatsverschuldung erstrangiges Ziel sein", sagte Kulitz und forderte, das Land müsse künftig deutlich mehr sparen. Dabei sei es wichtig, dass der Haushalt ausschließlich über die Ausgabenseite in Ordnung gebracht wird. "Sparen geht in erster Linie über Ausgabenkürzungen. Abgabenerhöhungen, wie bei der Grunderwerbssteuer vorgesehen, sollten tabu bleiben." Jedoch lässt der BWIHK dieses Credo beim Thema Studiengebühren nicht gelten: Hier rücken die Industrie-und Handelskammern von ihrem Kampf gegen Beiträge, Gebühren und Steuern ab und fordern strikt den Beibehalt der Studiengebühren. Die geplante Abschaffung ist laut Kammern inkonsequent, weil sie ein Loch von 130 Millionen Euro in die Kassen reißt.

 

Auch bei der anvisierten Ausdehnung der Gewerbesteuer auf Freiberufler - also ebenfalls einer Steuererhöhung - verlassen die Handelskammern ihre Grundsätze: Dieses Vorhaben findet den Applaus des BWIHK, wohl nicht zuletzt, weil die Freiberufler nicht zu den landesweit 600.000 IHK-Pflichtmitgliedern gehören. Ebenfalls ausgenommen von der strengen Forderung einer Ausgabenkürzung wird seitens der Kammern der Straßenbau. "Die hohen Steuereinnahmen geben hier zusätzlichen Spielraum für die Landespolitik", so Kulitz.

Zufriedenheit bei Gewerkschaften

Der Baden-Württembergische Handwerkstag begrüßte gestern den angekündigten Bürokratieabbau sowie Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen bei Projekten in privat-öffentlicher Partnerschaft. Auch für die Einbeziehung landeseigener Gebäude in die energetische Sanierung hat das Handwerk aus naheliegenden Gründen nichts. In der Bildungspolitik verteilten die Handwerker gestern Lob und Tadel. Während sie den Ausbau flächendeckender Ganztagesschulen entschieden befürworteten, kritisieren sie die Einschätzungen des künftigen Ministerpräsidenten zur Werkrealschule. Dass Winfried Kretschmann diese Schule als "nicht zukunftsfähig" erkläre, hält der baden-württembergische Handwerkspräsident Joachim Möhrle für einen "voreiligen Schnellschuss". Gerade die Werkrealschule gewährleiste eine konsequente Berufsorientierung, die das Handwerk an anderen Schularten schmerzlich vermisse. Der in Aussicht gestellte Rechtsanspruch auf einen Platz am beruflichen Gymnasium erzeugt im Handwerk wenig Freude. Möhrle befürchtet, dass dadurch die Bedeutung der dualen Ausbildung geschwächt werden könnte.

Die Gewerkschaften sind alles in allem zufrieden. Einzig die anvisierte Konsolidierungspolitik kritisierte der DGB-Landesvorsitzende Nikolaus Landgraf: Sparen bremse eine zukunftsorientierte Entwicklung aus. Ansonsten lobte der DGB Baden-Württemberg die Vereinbarungen. Besonders die geplante Verabschiedung eines Tariftreuegesetzes findet bei den Gewerkschaften Gefallen. Demnach muss sich der Auftragnehmer eines öffentlichen Vergabeverfahrens künftig verpflichten, seinen Arbeitnehmern ein tariflich festgelegtes Entgelt zu bezahlen. Gemeinsam mit dem Bekenntnis zu einem Mindestlohn von 8,50 Euro sieht Landgraf die Voraussetzungen erfüllt, dass Baden-Württemberg künftig "ein Musterland für gute Arbeit" wird.

DGB ist zufrieden

Lobend äußerte sich der DGB auch über die bildungspolitischen Absichten und die damit verbundenen gesellschaftspolitischen Signale. Keinen Makel finden die Gewerkschafter an der mit dem ökologisch sozialen Umbau verbunden Industriepolitik. "Hier sehen wir besonders viele Möglichkeiten, unsere Kompetenz in diesen Fragen mehr als bisher einbringen zu können." Am liebsten würde der DGB übrigens persönlich in der Regierung vertreten sein. "Ich würde mir wünschen, dass endlich einmal ein Gewerkschafter oder eine Gewerkschafterin bei der Regierungsbildung bedacht würde", sagte Landgraf.