Exklusiv In Zeiten der großen Koalition sinkt der Einfluss der Wirtschaft. Der Bundesverband der Deutschen Industrie steht vor einer Umstrukturierung. Nach StZ-Informationen ist auch das Führungspersonal von den Veränderungen betroffen.

Stuttgart - Wenn Anfang November im Berliner Maritim-Hotel 1500 Unternehmensvertreter zum Deutschen Arbeitgebertag zusammenkommen, ist das für die Politik wie eh und je ein Pflichttermin. Dass die Kanzlerin und der Wirtschaftsminister eine Rede halten, gehört fast schon zur Routine. In diesem Jahr machen darüber hinaus auch EU-Kommissar Günther Oettinger und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer den Firmenlenkern ihre Aufwartung. Das Schaulaufen ist für die großen Spitzenverbände der Wirtschaft immer auch Beweis dafür, über welchen Einfluss sie verfügen.

 

Abseits vom Scheinwerferlicht müssen sich Wirtschaftsverbände kritische Fragen zu ihrer Aufstellung gefallen lassen. Die Diskussionen über die Zukunft der Verbände sind zwar nicht neu, doch sie werden nun mit mehr Nachdruck geführt. Der Vorstandschef eines börsennotierten Unternehmens aus dem Südwesten drückt das so aus: „Wir sollten als deutsche Wirtschaft unsere Kräfte bei der politischen Vertretung bündeln.“ Der Manager, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sieht die Spitzenorganisationen der Wirtschaft in Frankreich und Italien als Vorbild: Dort spricht ein großer Verband für alle Unternehmen. In Deutschland gehört es dagegen seit Jahrzehnten zur Tradition, dass vier Spitzenverbände um die Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit buhlen.

Jeder Verband hat dabei sein eigenes Profil: Der BDI nimmt die Interessen der Industrie wahr, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberbände (BDA) kümmert sich um die Sozial- und Tarifpolitik. Daneben gibt es die Kammerschiene: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) vertreten in Berlin und Brüssel die Anliegen der Pflichtmitglieder. Ob diese Arbeitsteilung noch zeitgemäß ist, darüber wird seit Jahren auch in den Gremien diskutiert. Versuche, die Verbände zusammenzuführen, sind bisher gescheitert. Von der Politik fordert die Wirtschaft Reformen. Für ihre eigene Aufstellung hat das bisher nicht gegolten.

Doch unter den Mitgliedern nimmt die Unzufriedenheit zu. Im Vordergrund stehen dabei nicht einmal finanzielle Motive. Die Arbeit der großen Lobbyorganisationen hat ihren Preis (siehe Kasten). Angesichts der Bedeutung der deutschen Wirtschaft sind die Unternehmen bereit, sich ihre Vertretung etwas kosten zu lassen. Die Verbände werden aber immer öfter mit der Frage konfrontiert, wie schlagkräftig sie noch sind.

Unter besonderem Druck steht der BDI. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung steht dem Verband mit den 180 Mitarbeitern eine Umstrukturierung ins Haus. Ende November will dies die Mitgliedsversammlung beschließen. Nach dem Willen der Mitgliedsverbände soll der BDI seine Lobbyarbeit stärker auf Brüssel ausrichten. Das Brüsseler Büro wird aufgestockt. Damit reagiert der Verband darauf, dass immer mehr Gesetze und Verordnungen von der EU gemacht werden. Mehr Personal soll es nicht geben. Aus BDI-Kreisen verlautet, es solle weniger Assistenten und Referenten geben.

Das Sparprogramm macht auch bei der üppig besetzten Führung nicht halt. Zur Hauptgeschäftsführung sollen künftig höchstens drei Verbandsmanager gehören, bisher sind es vier. Offiziell wiegelt der BDI zwar ab, es gehe beim internen Programm „Deutsche Industrie 2020“ um strategische Änderungen und keineswegs um ein Sparkonzept, erklärt der Verband. Von mehreren Seiten wird aber bestätigt, dass der BDI effizienter werden müsse. Dazu gehört auch eine schlankere Organisation.

Dass sich einst so mächtige Institutionen wie der BDI für Planstellen rechtfertigen müssen, war vor Jahrzehnten kaum vorstellbar. Vor 60 Jahren hatte der erste BDI-Präsident Fritz Berg einmal gesagt, er müsse bei einem missliebigen Projekt nur einmal zum Kanzler gehen und schon sei das Vorhaben vom Tisch. So funktioniert Verbandsarbeit schon schon lange nicht mehr.

Vor allem der BDI spürt den Bedeutungsverlust. Nicht nur die Dax-Konzerne, sondern auch immer mehr Mittelständler wie der Schraubenhändler Würth und der Autozulieferer Schaeffler sind in Berlin mit eigenen Repräsentanzen vertreten. Die Bindungskraft nimmt ab. Einzelne Branchenverbände wie der Optik- und Medizintechnik-Verband Spectaris sind vor Jahren aus dem BDI ausgetreten, weil er mittelständischen Betrieben kaum Unterstützung bietet. Doch auch die Konzerne sind verärgert. Sie verübeln dem BDI, dass er in der Debatte um das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP kaum vorkommt. Dabei zählt dies zu seinen Kernaufgaben.

Als Erfolg kann der BDI zwar verbuchen, dass der seit zwei Jahren amtierende Präsident Ulrich Grillo es in kurzer Zeit zu einiger Bekanntheit geschafft hat. Grillo ist oft in Talkshows zu Gast und bezieht eloquent Stellung. „Grillo ist zurzeit das bekannteste Gesicht der Wirtschaft“, sagt ein Manager aus einem anderen Verband. Der Mann mit den dezenten Einstecktüchern und dem akkuraten Haarschnitt verkörpert das, was man sich unter einem Unternehmer vorstellt. Ob der Verband mit seinen Interessen durchdringt, steht aber auf einem anderen Blatt. Die große Koalition stellt alle Spitzenverbände vor Herausforderungen: „Die Verbände finden in weiten Teilen nicht statt“, sagt ein Lobbyist. Die Koalition mit ihrer breiten Mehrheit geht über Einwände aus der Wirtschaft leicht hinweg. Hinzu kommt, dass die Unternehmen sowohl in der Koalition als auch in der Opposition kaum Ansprechpartner finden.

Die bescheidenen Erfolge der Verbandsmanager in der großen Koalition erhöhen den Druck. Einerseits ist es der Industrie zwar gelungen, dass energieintensive Betriebe auch künftig von der Ökostromumlage befreit werden. Doch die teuren Rentenpakete, der Mindestlohn und die Selbstzufriedenheit der Politik sorgen auf den Chefetagen zunehmend für Frust. Den müssen Verbandspräsidenten aushalten, die noch nicht lange im Amt sind. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer trat erst vor gut einem Jahr die Nachfolge des langjährigen BDA-Präsidenten Dieter Hundt an.

„Natürlich haben die neuen Präsidenten nicht die Durchschlagskraft der alten“, sagt ein Verbandsfunktionär. Dieter Hundt war 17 Jahre lang Präsident und kannte jeden. Sein Nachfolger hat sich in Berlin schnell zurechtgefunden. Doch Kramer muss sich auch um seinen Anlagenbaubetrieb in Bremerhaven kümmern. Auf der Berliner Bühne ist er deutlich weniger präsent als Hundt. Kramer will nicht über jedes Stöckchen springen, das ihm Politik und Medien hinhalten. Der BDA-Präsident konzentriert sich auf die großen Themen. Als Hanseat ist er durch und durch konsensorientiert. Vor Zuspitzungen und verbalen Attacken schreckt er zurück. Das birgt die Gefahr, in der Hauptstadt kaum wahrgenommen zu werden.

Das gilt auch für den DIHK-Präsidenten Eric Schweitzer. Der jugendlich wirkende Chef eines Entsorgungskonzerns bildet zwar wie der BDI-Chef einen Kontrast zu den meist älteren Verbandspräsidenten. Schweitzer hält mit Kritik an der Regierung auch nicht hinterm Berg. Zurzeit ist der Berliner IHK-Präsident aber vor allem mit seinem Unternehmen Alba beschäftigt. Der Recyclingkonzern expandierte stark, leidet unter niedrigen Rohstoffpreisen und hohen Bankschulden. Den Rücken frei hat demgegenüber sein Kollege vom Handwerk. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer arbeitet sich noch ein, er ist erst seit Jahresbeginn im Amt.

Zu schaffen machen den Spitzenverbänden auch Stiftungen und Branchenverbände, die am Anspruch von Dachorganisationen rütteln. Die Stiftung Familienunternehmen unter Führung des Stuttgarter Rechtsanwalts Brun-Hagen Hennerkes hat es in den vergangenen Jahren vermocht, ein enges Netzwerk in die Politik aufzubauen. Bei ihren Veranstaltungen lässt sich die Politprominenz sehen.

Erheblich an Einfluss gewonnen haben auch Einzelverbände wie der Verband der Automobilindustrie (VDA) und Arbeitgeberverbände wie Gesamtmetall, dem Dachverband der Metall- und Elektroindustrie. Gesamtmetall mischt sich immer stärker in die Arbeit der BDA ein. Während sich Gesamtmetall früher auf Tarifpolitik konzentrierte, betreibt der Verband nun politische Lobbyarbeit. Gesamtmetall ist der größte Beitragszahler der BDA. Die Überschneidungen mit der BDA sind gewollt. An der Spitze steht Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger, ein Unternehmer aus Heidelberg. Dulger verfügt über gute Kontakte ins Kanzleramt. Über ihn wird gesagt, er könnte eines Tages Arbeitgeberpräsident werden.

Persönlich verstehen sich Dulger und der BDA-Präsident Kramer sehr gut. Doch auf der Ebene der Hauptgeschäftsführer kommt es öfters zu Spannungen. Der Gesamtmetall-Geschäftsführer Oliver Zander kontrolliert misstrauisch die Arbeit des BDA-Hauptgeschäftsführers Reinhard Göhner. Göhner, der seit Jahrzehnten die Strippen zieht, hat vor eineinhalb Jahren selbst gesagt, er wolle den neuen Arbeitgeberpräsidenten einarbeiten und dann in den Ruhestand gehen. Ein Wechsel auf diesem wichtigen Posten könnte alte Fusionspläne neu beleben.