Das Herz der Wirtschaftsregion Stuttgart schlägt im Takt mit Unternehmen wie Daimler, Porsche und Bosch. Auf einer Erkundungstour durch den Landkreis Böblingen wirft unser Autor einen Blick hinter die Kulissen.

Renningen - Von der Terrasse im sechsten Stock des 60 Meter hohen Neubaus in Renningen aus kann man den Autolandkreis Böblingen gut überblicken. Bis Oktober errichtet Bosch für 1700 Mitarbeiter einen so genannten Wissenscampus, eine Art High-Tech-Kreativschuppen für Ingenieure. Boschs beste Kunden liegen in Sichtweite: Am Horizont sieht man die Schornsteine des Sindelfinger Mercedes-Werkes, und nach Osten hin im Wald liegt das Entwicklungszentrum von Porsche. Innerhalb eines Radius von 20 Kilometern schaffen zigtausende Menschen in der Automobilindustrie, sie bescheren den Kommunen einen außergewöhnlichen Wohlstand.

 

Blicken wir genauer auf die Ballung von automobiler Kompetenz und deren Folgen für die Menschen. Wir springen in ein strahlend silbernes Gebäude mitten im Weissacher Porsche-Entwicklungszentrum und nehmen in einen Panamera Platz. Die Luxuslimousine steht in einem gleißend hellen Raum. Die Fahrertür fällt mit einem satten Klang zu, Stephan Bayer legt eine CD ein. „Es muss genau so gut klingen wie bei der Anlage mit Surround-Lautsprechern zu Hause“, sagt der Hifi-Spezialist.

Der Porsche-Kunde will den perfekten Sound, nichts soll den Hörgenuss stören. Design und Technik gehen eine Symbiose ein: Die Bassbox ist im Windfangblech unterhalb der Windschutzscheibe versteckt.

Das Soundlabor des Sportwagenherstellers Porsche ist mitten im Elektro-Integrationszentrum untergebracht. Hier laufen alle Fäden zusammen, die rund 5700 Ingenieure Tag für Tag spinnen. Ein gigantisches Laboratorium ist das, gerade wird es für 150 Millionen Euro erweitert. Eine Brutstätte für Ideen, die gleich vor Ort umgesetzt werden können.

Science Fiction im Heckengäu

Kaum einen Kilometer weiter wird zurzeit ein riesiges Gebläse montiert. 18 Meter hoch ist der neue Windkanal, er kann Geschwindigkeiten von 300 Stundenkilometern simulieren. „Hier werden Aerodynamik und Akustik getestet“, erklärt Peter Röser, der Leiter des Windkanalprojekts.

Nebenan, im so genannten Lichthof, werden die Prototypen dem Porsche-Vorstandschef Matthias Müller präsentiert. Es ist sehr hell, weiße Wände erinnern eher an Science Fiction als an das Heckengäu. „Hier muss ein Licht sein wie mittags um 12 Uhr bei Sonnenschein im Freien“, sagt Peter Röser.

Das Weissacher Entwicklungszentrum ist eine Perle an einer glänzenden Kette, die sich durch die ganze Region Stuttgart zieht. Was hier an Ingenieurskunst, an PS-Träumen zusammenkommt, schafft Arbeitsplätze, gründet Existenzen. Vor allem bringt es Wohlstand. Das zeigt sich schon, wenn man von dem Ingenieurstempel wenige hundert Meter weiter in den Ort Weissach fährt: Im Schnitt 40 Millionen Euro hat Porsche zuletzt jedes Jahr an Gewerbesteuer eingebracht. Das Geld hat die Gemeinde in Betongold angelegt.

Das Herz der Region Stuttgart schlägt im Takt der Automobilindustrie. Jeder Erwerbstätige im produzierenden Gewerbe erwirtschaftet im Schnitt 76 300 Euro im Jahr, das steht im Strukturbericht des Instituts für Angewandte Wissenschaften (IAW) der Region Stuttgart. Die Wirtschaftswissenschaftler sprechen von einem „Automotive-Cluster“, also einer Verbindung von Werken und Denkfabriken. Allein 191 000 Beschäftigte werden diesem Cluster zugeordnet. Mehr als die Hälfte des Umsatzes in der Region erwirtschaften sie.

Manager von Weltfirmen besuchen Höfingen

Der Landkreis Böblingen hängt in besonderer Weise im Geschirr dieses Zugpferds. „Darauf können wir stolz sein“, sagt der Landrat Roland Bernhard. Die Investitionen von Daimler und Porsche zeugten von Vertrauen in den Standort. Und tatsächlich: die Dichte an großen und kleinen Unternehmen, die direkt mit den beiden Branchenführern zusammenhängen, ist im Landkreis Böblingen noch höher als anderswo in der Region Stuttgart.

Ein Beispiel: im Leonberger Stadtteil Höfingen sitzt der Modellbauer Ralph Kurz. Als er das Unternehmen von seinem Vater geerbt hat, war es noch eine kleine Werkstatt. Was der Senior im Jahr 1972 als klassische Gießerei mit Holzmodellbau alleine aufgebaut hatte, ist durch die Umtriebigkeit des cleveren Juniors zu einem wichtigen Partner für die großen Autofirmen geworden. Aber auch für andere Branchen stellt die Kurz Modellbau GmbH Prototypen her – etwa mal einen Kühlschrank. Die Büroräume in der Röntgenstraße sind vollgepackt mit Modellen. Ralph Kurz präsentiert einen handgegossenen Wassermalkasten. „Die Firma Herlitz hat ihn genauso verkauft, wie wir ihn gebaut haben“, sagt er und zeigt stolz auf das fast identisch aussehende Endprodukt.

Aber das ist Beiwerk. Vor allem entstehen in dem auf 40 Angestellte angewachsenen Unternehmen Prototypen von Autos. „Die Entwicklungschefs von Daimler oder Porsche kommen oft mit einer Idee und wollen sehen, wie das Auto real aussieht“, berichtet Kurz. Das Produktdesign ist inzwischen vollkommen digitalisiert, oft wird ein ganzes Fahrzeug in Form von Bits und Bytes über das Internet angeliefert. Doch irgendwann will der Vorstand etwas Handfestes haben. Dann stellen die Höfinger ein Modell im Maßstab eins zu vier oder eins zu drei her. Das kann auch gleich im Windkanal getestet werden.

Alles hängt mit allem zusammen

Die Manager der Weltfirmen gehen bei Kurz mittlerweile ein und aus. Erst neulich saß der Vorstandschef eines globalen Konzerns zum Gespräch in Leonberg-Höfingen. Ralph Kurz’ Referenzliste wird immer länger: Für den neuen Sportwagen SLS von Daimler hat sein Team den Innenraum gestaltet, für den Porsche Panamera die Außenspiegel, außerdem Schaumstoffverkleidungen für fast sämtliche Automarken. Manchmal wird sogar in Serie produziert, zum Beispiel das neue Schiebedach der G-Klasse, des Daimler-Geländewagens. 10 000 Stück werden in Höfingen in einem eigenen Gebäude angefertigt.

Alles hängt mit allem zusammen. Am Südende des magischen Dreiecks im Landkreis Böblingen liegt die Stadt Sindelfingen. Seit 1908 ist hier die als Daimler-Motorenwerk gegründete Fabrik ansässig, in der unter anderem die legendäre S-Klasse gebaut wird. Viele, die früher Landwirte in Holzgerlingen oder Gärtringen waren, gingen in den 1970er-Jahren nach Sindelfingen „ans Band“, verdienten dort gutes Geld und stellten sich einen 200er-Diesel-Jahreswagen in den Hof.

Längst führen Daimler und Sindelfingen eine symbiotische Beziehung. Nach dem Krieg war die Stadt ein Kaff mit 8500 Einwohnern, in den goldenen 1980er Jahren galt sie als die reichste Kommune Deutschlands. „Damals kam der Kämmerer am Ende vom Jahr noch zu den Amtsleitern und fragte: ,Wollt ihr nicht noch etwas ausgeben?’“, erzählt der Oberbürgermeister Bernd Vöhringer. So konnte sich die Stadt eine beeindruckende Infrastruktur leisten. Im Glaspalast finden noch heute internationale Sportevents statt, die Sindelfinger waren lange stolz auf das einzige städtische Krankenhaus weit und breit sowie auf das riesige Badezentrum.

Die Gefahr der Abhängigkeit

Das Daimler-Gelände ist von der Fläche her fast genau so groß wie das restliche besiedelte Stadtgebiet. „Ich habe zum Amtsantritt ein Luftbild bekommen“, erinnert sich Bernd Vöhringer, „das hat mich schon beeindruckt.“ Die Verflechtungen mit dem größten Arbeitgeber am Ort reichen bis in die Bereiche Kultur und Sport hinein. In der städtischen Galerie gibt es regelmäßig Ausstellungen aus dem Daimler-Kunstschatz. Unter dem Stichwort „Werkstatt" kooperieren Fabrik und Rathaus, einmal im Jahr gibt es einen großen „Werkstattlauf“. Und der VfL Sindelfingen konnte Anfang der 2000er Jahre ein Zentrum mit Fitnessstudio bauen, weil der Daimler-Sportverein SG Stern als Dauermieter mit mehreren Tausend Mitgliedern eine stabile Basis bildet.

Aber in Sindelfingen zeigt sich auch die Gefahr der Abhängigkeit. Seit Mitte der 1990er Jahre überweist Daimler immer weniger Gewerbesteuer, 2009 musste die Stadt sogar neun Millionen Euro zurückzahlen. „Da mussten wir ein Jugendhaus schließen, das war ziemlich bitter“, sagt Bernd Vöhringer.

Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück, zur Bosch-Baustelle in Renningen. Das 60 Meter hohe Hochhaus ragt wie ein Leuchtturm aus dem Heckengäu – und löst in der bislang beschaulichen Stadt Renningen einen Bauboom aus. 5000 neue Einwohner ziehen in ein neues Wohngebiet, Straßen und Kreisel werden gebaut, ein Schulzentrum, Kitas. Die Innenstadt wird auf Hochglanz gebracht. „Der Fortschritt ist spürbar“, sagt der Bürgermeister Wolfgang Faißt. So wie im benachbarten Weissach Porsche lange Zeit Milch und Honig fließen ließ, so kann Renningen nun auf stabile Gewerbesteuereinnahmen bauen.

Selbst im Kleinen zeigt sich, wie das Automobil die Wirtschaft im Landkreis Böblingen prägt. Zurück in Weissach, in einem Gewerbegebiet im Ortsteil Flacht. Loni Fünfer ist eine resolute Frau von Anfang 50. Jahrzehntelang war sie Chefsekretärin im Rathaus, kürzlich hat sie sich selbstständig gemacht – als Expertin dafür, wie man Porsche-Jahreswagen vor der Zurückgabe lupenrein pflegt. Loni Fünfer verdient in dieser Marktnische gutes Geld. Inzwischen kommen nicht nur Porsche-Mitarbeiter zu ihr, sondern auch Oldtimerfans aus ganz Baden-Württemberg, um die Ledersitze ihrer geliebten Fahrzeuge wieder auf Hochglanz bringen zu lassen. „Es ist toll, sein eigener Chef zu sein“, sagt Loni Fünfer. Ihre Firma liegt am Hang. Von hier oben sieht sie das Weissacher Porsche-Zentrum in der Sonne glitzern. Die nächste Perle an der glänzenden Kette ist im Landkreis Böblingen niemals fern.