Die Science Notes in Tübingen erfreuen sich so großer Beliebtheit, dass die Hälfte aller Besucher gar nicht ins Lokal kommt. Und zwar sogar dann, wenn es unter dem Stichwort Artenvielfalt um eher unpopuläre Tiere wie Regenwürmer und Tüpfelhyänen geht.

Tübingen - Die Menschentraube vor dem Eingang verspricht einen besonderen Abend: Einlassstop, und das um 20 Uhr. An einem Donnerstag? In Tübingen? Drinnen wummern Beats aus den Boxen, fröhliche Menschen trinken Bier – wie immer im Schlachthaus, einem Elektro-Club hinter der Tübinger Wilhelmstraße. Doch der große Countdown an der Wand fällt auf. Tatsächlich, mit Ablauf des akademischen Viertels verstummt die Musik, ein Mann hüpft auf die Bühne: „Willkommen zu den Science Notes“, ruft Olaf Kramer, Moderator und Erfinder der Veranstaltung. Forschung aktiv zu vermitteln, Wissenschaftler aus staubigen Bibliotheken und muffigen Labors zu locken und unters Volk zu bringen, das ist das Ziel dieser Vortragsreihe. Das Konzept geht auf, nicht nur an diesem Abend: Rund 250 Zuhörer drängen sich auf der Tanzfläche, für 200 Wartende vor der Türe war kein Platz mehr.

 

Die dunkle Seite der Artenvielfalt

Das Thema der bisher dritten Science Notes ist die Artenvielfalt, die Biodiversität. Fünf Wissenschaftler sind am Donnerstag nach Tübingen gereist, um in je 15 Minuten ihre Welt zu erklären. Was bedeutet Biodiversität? Wie entsteht sie, wodurch ist sie gefährdet? Den Auftakt gibt Nico Eisenhauer mit der „dunklen Seite der Biodiversität“ – dem Boden. „Zwar hat ein Regenwurm nicht das Charisma eines Pandabärs“, sagt der Professor des Centre for Integrative Biodiversity Research in Leipzig. Doch ist der Wurm Teil einer schier unglaublichen Artenvielfalt unter unseren Füßen. Mit Star-Wars-Soundtrack, aufwendigen 3D-Grafiken, Regenwurmvideos und wissenschaftlichem Sachverstand eröffnet Eisenhauer eine Welt, die den meisten Zuhörern bisher wohl verborgen war.

In der zweiten Viertelstunde lädt Gabriele Gerlach von der Uni Oldenburg ein zu einer Reise ans Great Barrier Reef, wo die Professorin für Biodiversität und Evolution der Tiere die Entstehung neuer Fischarten beobachtet; danach erklärt Frank Glöckner vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, wie ganz normale Menschen am Ocean Sampling Day zu Meeresforschern werden können.

Weibliche Dominanz bei den Tüpfelhyänen

Bestens unterhalten, doch mit leicht schwirrenden Köpfen freuen sich die Zuhörer über eine Pause, der DJ pustet die Gehirnwindungen durch. Zweite Runde: Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle beschreibt das bizarre Leben des Ameisenbläulings, der als Parasit für Diversität im Ameisenbau sorgt. Zum Schluss setzt Heribert Hofer einen Höhepunkt mit dem ungewöhnlichen Sozialleben der Tüpfelhyäne. 27 Jahre verbrachte der Direktor des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Ostafrika; die Tüpfelhyäne ist sein Paradebeispiel für weibliche Dominanz: Durch Prügelstrafen, eine sehr spezielle Anatomie und abenteuerliche Sexualpraktiken dominieren die Hyänenweibchen ihre Männchen – und sorgen so für Abwechslung unter den sonst so patriarchalischen Wirbeltiersozialsystemen.

Zugegeben, tiefgehendes Fachwissen kann in bierseliger Atmosphäre im Viertelstundentakt nicht vermittelt werden. Doch die Zuschauer haben gelernt: Biodiversität ist überall – und viel diverser als gedacht. Manch einen wird der Abend zu intensiveren Nachforschungen inspiriert haben.

Beim nächsten Mal geht es um Müll

Mit den Science Notes hat das Seminar für Rhetorik der Universität Tübingen ein Format geschaffen, das Publikum und Referenten gleichermaßen fasziniert. Etablierte Wissenschaftler scheuten oft den Wettbewerbscharakter sogenannter Science Slams, bei denen Referenten um die Gunst des Publikums buhlen, erklärt Olaf Kramer. Bei den Science Notes entfällt diese Konkurrenz – was bleibt, ist der Spaß an der Wissenschaft. Unterstützt wird die Reihe von der Klaus Tschira Stiftung; nach Stopps in Heidelberg und Hamburg nun Tübingen, als nächstes kommt München dran. Der Termin ist noch nicht fix, das Thema schon: Müll. Olaf Kramer macht sich schon auf die Suche nach hochkarätigen Müllspezialisten.