Alle reden über Sport, aber Wissen wird in diesem Schulfach kaum vermittelt. Experten verlangen, dass der Sportunterricht aufgewertet wird, wenn der neue Bildungsplan eingeführt wird.

Stuttgart - Beim Elternabend wird der Lateinlehrer gelöchert, der Deutschlehrer befragt, vom Sportlehrer will keiner etwas wissen. Das ist für Ansgar Thiel, den Leiter des Sportinstituts der Universität Tübingen der typische Ablauf einer Schulveranstaltung und bezeichnend für den Stellenwert des Schulsports.

 

Das Fach gilt als Spaßfach, das nicht so richtig wichtig ist, meist wird es als körperlicher Ausgleich für die geistig anspruchsvollen Fächer betrachtet und als Kompensation für den allgemeinen Bewegungsmangel. Das passt nicht zur Relevanz des Sports in der Gesellschaft, sagen Thiel und mit ihm diverse Sportwissenschaftler und Sportmediziner bei einem Wissenschaftsforum des Württembergischen Landessportbunds (WLSB).

Der Sport ist Wirtschaftsfaktor und Entertainment. Vor allem aber ist die Bedeutung von Sport und Bewegung von entscheidender Bedeutung, wenn es gilt, Menschen in einer rapide alternden Gesellschaft möglichst lange gesund zu erhalten, betonen die Wissenschaftler. Ansgar Thiel sagt: „Sport und Bewegung sind die effizientesten und kostengünstigsten Mittel eine Gesellschaft gesund zu erhalten“. Nur müsse man halt auch wissen, wie man sich richtig bewegt, oder wo es welche Angebote gebe. „Man verschenkt eine riesengroße Chance, wenn man nicht alles daran setzt, das den Leuten richtig zu vermitteln“, sagte Thiel dieser Zeitung. Der Sportunterricht sei die einzige Möglichkeit alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen.

Neuer Bildungsplan als Chance

Die Chance wollen die Wissenschaftler zusammen mit dem WLSB jetzt wahrnehmen. Von September an wird an den baden-württembergischen Schulen der neue Bildungsplan eingeführt. Er biete die Chance, dass sich Sport vom Spaßfach zum Wissensfach entwickeln könne. Über die Bewegungstheorie und die gesundheitlichen Aspekte hinaus, wollen die Wissenschaftler auch die gesellschaftlichen Aspekte des Sports unterstreichen. „Welche Bedeutung hat der Begriff der Fairness in unserer Gesellschaft“, das gelte es im Unterricht ebenso zu erarbeiten wie die Sportpsychologie, die Aufschluss gebe, „was in den Köpfen von Extremsportlern vor sich geht“.

„Die Politik unterschätzt den Sport“, betonen die Wissenschaftler und fordern politische Unterstützung und entsprechende Investitionen ein. „Es gibt nicht einmal für alle Klassenstufen Schulbücher.“ Und wenn es ein Lehrbuch Sport gebe, so würden es die wenigsten Lehrer einsetzen. „Kaum ein Kind hat ein Sportschulbuch zuhause“, hat Thiel festgestellt.

Wissenschaftliche Begleitung verlangt

Auch die wissenschaftliche Begleitung vermissen die Experten. Sie wollen, dass die Kultusministerin die Unterrichtsforschung vorantreibt. Die Politik scheue sich davor, in die Sportwissenschaft zu investieren. An der Universität Tübingen wurde eine neue „School of Education“ eingerichtet. „Es gibt dort Professuren für alles Mögliche, aber nicht für die Vermittlung von Sport“, sagt Thiel. Er regt an, fünf Jahre lang wissenschaftlich zu untersuchen, wie der Sportunterricht an den Schulen laufe, wo die Probleme lägen und ob überhaupt jeder, der Sport unterrichtet, das Fach auch so vermittle wie es sein sollte. Vor allem an Grundschulen und an Werkreal- und Realschulen werde Sport allzu häufig fachfremd unterrichtet, kritisieren die Experten.

Die Qualität soll gesichert und Wissen vermittelt werden. Die Wissenschaftler setzen dabei auf eine Kombination von Bewegung und Lernen. „Wir wollen nicht die Sitzschule auf den Sportunterricht ausdehnen. Aber Sport ist ein komplexes Fach, das nicht auf sportliche Bewegung beschränkt ist“, sagt Thiel.

Können und Wissen verbinden

Nicht jedem Schüler mag schmecken, dass die neue Ausrichtung auch mit neuen Erwartungen verbunden wäre. „Wir wollen die praktische Vermittlung von Können mit dem Wissen über Bewegung verbinden. Aber man muss das Wissen auch abprüfen“, betont Thiel. Dann reichen sportliche Leistungen allein nicht mehr für eine gute Note aus. Das unterscheidet den Sportunterricht von den zusätzlichen Bewegungsangeboten, die jede Schule anbieten sollte, wie die Wissenschaftler meinen. Dazu brauche es aber nicht unbedingt Sportlehrer. Die Bewegungsangebote sollten täglich eine Stunde umfassen, der Sportunterricht drei Wochenstunden.

Dass der Sportunterricht an die neuen Anforderungen angepasst werden muss, ist für Thiel keine Frage: „Es ist doch so: Weit mehr Menschen interessieren sich für Sport als für klassische Musik oder für Theater. Aber wir vermitteln ihnen kein Wissen darüber. Nicht darüber wie Sport funktioniert und schon gar nicht, wie man richtig Sport treibt“.