Klimaskeptiker und Kreationisten werfen der Wissenschaft vor, dogmatisch zu sein: Die Wissenschaft verrate ihr eigenes Ideal, immer kritisch zu bleiben. Wie reagiert man am besten auf diesen Vorwurf?

Stuttgart - Im Schuldistrikt Cobb County hat man vor einigen Jahren mit einem Aufkleber in den Biologiebüchern darauf hingewiesen, dass die Evolutionstheorie nur eine Theorie sei und keine Tatsache. Der Hinweis stimmt natürlich und wäre nicht der Rede wert, wenn er nicht als Breitseite gegen die Wissenschaft aufgefasst worden wäre. Ausgerechnet die US-amerikanischen Kreationisten meinen erklären zu müssen, wie die Biologie funktioniert! Eltern klagten gegen den Aufkleber und man entfernte ihn schließlich, doch der Vorwurf bleibt: Die Wissenschaft versteife sich in einer Weise auf ihre Theorien, die so gar nicht dem wissenschaftlichen Geist der Selbstkritik entspreche.

 

Die Klimaskeptiker argumentieren ähnlich, und die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes hat das vor einigen Jahren (gemeinsam mit Erik Conway) im Buch „Merchants of Doubt“ (Händler des Zweifels) beschrieben. Als zum Beispiel im September 1995 der Entwurf des zweiten Weltklimaberichts geleaked wurde, schrieb der Physiker Fred Singer einen Leserbrief an das Wissenschaftsmagazin „Science“: Ihm sei es ein Rätsel, warum der Weltklimarat den Klimawandel als „die größte globale Herausforderung der Menschheit“ bezeichne. Das klingt, als habe das UN-Gremium die in der Wissenschaft übliche Vorsicht abgelegt und sei politisch aktiv geworden.

Das Gebäude der Wissenschaft muss stehen – mehr nicht

Mit der wissenschaftlichen Skepsis sind so prominente Namen wie René Descartes und Karl Popper verbunden. In seiner ersten „Meditation“ schrieb Descartes über die menschlichen Sinne: „Nun bin ich dahinter gekommen, dass diese uns bisweilen täuschen, und es ist ein Gebot der Klugheit, niemals denen ganz zu trauen, die auch nur einmal uns getäuscht haben.“ Er machte sich auf die Suche nach etwas Verlässlicherem als seinen Eindrücken von Farben und Klängen. Und Popper sah nach den Umwälzungen in der Physik am Anfang des 20. Jahrhunderts im strengen Prüfen das Markenzeichen der Wissenschaft. Er forderte daher von allen wissenschaftlichen Behauptungen, dass sie falsifizierbar sein müssen – Grundbedingung für eine kritische Diskussion.

Sollten diese Gedanken zu den Grundlagen der Wissenschaft etwa verloren gegangen sein, so dass man Kreationisten und Klimaskeptikern nun eine offene Flanke bietet? Manchem Laien mag es so vorkommen, wenn ihm wissenschaftliche Erkenntnisse dargeboten werden wie die Zehn Gebote. Bei öffentlichen Vorträgen und auch in Medienberichten ist vom systematischen Zweifel zuweilen wenig zu spüren.

Aber wer verlangt eigentlich, dass sich die Wissenschaft in klaren Fällen zurückhält – aus falsch verstandener Rücksicht auf die Tugend der Selbstkritik? Das fordern nur Klimaskeptiker und Kreationisten. Descartes stößt hingegen gleich in der zweiten „Meditation“ auf das „Ich denke, also bin ich“ und gründet auf dieses Fundament alle weitere Erkenntnis. Und von Popper stammt das schöne (und modernere) Bild der Wissenschaft als Gebäude im Sumpf. Die Wissenschaft sei, schreibt er 1934 in seinem Hauptwerk „Logik der Forschung“, „ein Pfeilerbau, dessen Pfeiler sich von oben her in den Sumpf senken, aber nicht bis zu einem natürlichen, ‚gegebenen‘ Grund.“ Man treibe die Pfeiler nur so weit in den weichen Boden, wie es nötig ist. „Wenn man hofft dass sie das Gebäude tragen werden, beschließt man, sich vorläufig mit der Festigkeit der Pfeiler zu begnügen.“

Naomi Oreskes schreibt in ihrem Buch, dass der Klimaskeptiker Fred Singer den Weltklimarat falsch zitiert habe: Das Gremium hat den Klimawandel nicht als größte Herausforderung für die Menschheit bezeichnet. Man mag sich fragen, ob Singer darauf gesetzt hat, dass viele Leser den engagierten Klimaforschern eine so vollmundige Behauptung trotzdem zutrauen.

(Die Serie zu den wissenschaftlichen Tugenden wird fortgesetzt.)