Am Mittwoch rufen mehrere Bundesminister das Wissenschaftsjahr 2012 aus. Ein Schwerpunkt werden die Städte sein – denn dort mischen sich die meisten Probleme.

Stuttgart - Vor 40 Jahren warnte die Stuttgarter Zeitung ihre Leser, dass keine „uferlos wuchernde Industrie“ und auch kein „Konsumrausch“, sondern nur „die Beschränkung auf das Notwendige“ die Welt retten werde. Man müsse zu einem „ausgeglichenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem“ kommen. Die Forderung stützte sich auf den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“, den eine Gruppe junger US-Wissenschaftler um das Ehepaar Donella und Dennis Meadows veröffentlicht hatte. Darin berichtete das Team von zwölf Szenarien, die sie mit Supercomputern berechnet hatten und die alle zeigten, dass die Welt im 21. Jahrhundert nach Jahrzehnten des rasanten Wachstums jäh abstürzen wird.

 

Heute passt die Computersimulation von damals auf eine CD und die Leistung eines herkömmlichen Computers reicht völlig aus, um zu berechnen, wie sich Bevölkerung, Kalorienproduktion pro Kopf oder Umweltverschmutzung entwickeln werden. Doch auch wenn es heute ausgefeiltere Simulationen gibt, die nur auf modernen Supercomputern laufen, sind die Prognosen von damals erstaunlich akkurat. Graham Turner von der australischen Forschungsbehörde CSIRO hat die Daten 2008 untersucht: Von den zwölf Szenarien passt demnach das sogenannte Business-as-usual-Szenario am besten zur tatsächlich beobachteten Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. In diesem Szenario werden Entwicklungen der Jahre 1900 bis 1970 einfach fortgeschrieben.

Den Enkeln keine lädierte Welt hinterlassen

Auch das vorherrschende Gefühl von damals, dass man den Enkeln und ihren Kindern eine lädierte Welt hinterlasse, ist geblieben. Am Mittwoch werden drei Bundesminister – Annette Schavan (Forschung), Norbert Röttgen (Umwelt) und Peter Ramsauer (Verkehr) – gemeinsam das „Zukunftsprojekt Erde“ ausrufen, das dazu dienen soll, „die Erde auch für kommende Generationen zu bewahren“, wie es in der Ankündigung heißt. Es ist eine Neuauflage der früheren Jahre der Wissenschaft, in denen sich meist eine Disziplin ein Jahr lang in Vorträgen, Festivals und Schulaktionen der Öffentlichkeit präsentiert hat. In diesem Jahr soll die ganze Wissenschaft zeigen, was sie zum „Zukunftsprojekt Erde“ beisteuern kann.

Es wirkt fast so, als sei die Zeit stehen geblieben und die Gesellschaft müsse erneut wachgerüttelt werden. Hat sich in den vergangenen 40 Jahren nichts bewegt? Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie, sieht die Dinge in einem besseren Licht. Natürlich gehe es langsam voran und die UN-Klimagipfel seien ernüchternd, sagt er, doch dass dort 194 Staaten gemeinsam nach Wegen suchen, den Klimawandel zu bremsen, findet er „faszinierend“. Er ist zuversichtlich, dass man vorankommen wird.

Städte sind wichtige Labore

Schneidewind wird beim Auftakt dabei sein, ebenso wie eine Reihe von Bürgermeistern. Das deutet auf einen ersten Schwerpunkt des Projekts hin: die Städte. In Städten lebt nicht nur die Mehrheit der Menschen, in ihnen mischen sich auch viele Probleme. In Städten wird viel konsumiert, geheizt und Auto gefahren. Ebenso experimentieren Stadtbewohner eher mit neuen Lebensstilen. „Städte sind daher wichtige Labore“, sagt Schneidewind. Um zum Beispiel den Klimawandel zu bremsen, braucht man nicht nur Techniken für grünen Strom, sondern auch ein funktionierendes Geschäftsmodell und eine Politik, die solche Techniken fördert, ohne die Bürger gegen sie aufzubringen.

So kommen Ingenieure, Ökonomen und Sozialwissenschaftler zusammen. Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer will diese Kooperation weiter fördern. Bis 2015 stünden acht Millionen Euro für innovative Projekte bereit, sagt sie zum Auftakt des neuen Wissenschaftsjahrs. Außerdem wolle sie die Hochschulen des Landes bei Forschung und Lehre zur nachhaltigen Entwicklung stärker vernetzen.

Vor 40 Jahren dachte man anders

Vor 40 Jahren dachte man noch anders. Im renommierten US-amerikanischen Forschungsmagazin „Science“ schrieb der Chefredakteur damals, dass die Untersuchung von Dennis Meadows und seinen Kollegen den menschlichen Einfallsreichtum nicht angemessen berücksichtige. Sollten Öl oder Kupfer knapp werden, werde sich die Technik anpassen.

Auch Schneidewind setzt seine Kritik bei den natürlichen Ressourcen an: In „Grenzen des Wachstums“ hätten sich die Autoren auf die Ressourcenknappheit eingeschossen. Ihre Prognose ist widerlegt: Nicht zuletzt durch den steigenden Ölpreis ist es rentabel geworden, auch Lagerstätten auszubeuten, an die in den 70er Jahren niemand gedacht hat. Doch das entwerte nicht die Studie, sagt Schneidewind, denn die Natur setze dem Menschen andere Grenzen: Man erkenne sie im Artensterben, in der Umweltverschmutzung und im Klimawandel.

Die Blockade muss politisch beendet werden

Es ist also weiterhin Einfallsreichtum gefragt. Schneidewind fordert, schon heute „die Politik für nachfolgende Generationen zu machen“, und nennt dies eine „Kulturleistung“. Auch andere Wissenschaftler warten noch auf einen Wandel, darunter die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung (WBGU), der die Gesellschaft zu einer „großen Transformation zur nachhaltigen Gesellschaft“ auffordert. Die nötigen Technologien seien vorhanden, aber falsche Anreize müssten überwunden und die „Blockade“ politisch beendet werden. Allerdings: einen Königsweg gebe es nicht, man müsse die jeweiligen Besonderheiten der Regionen der Welt berücksichtigen.

Zum Glück, schrieb der Beirat vor einem Jahr in einem Gutachten, gebe es einen „relativ breiten, kulturübergreifenden Konsens“, die Wirtschaftsweise zu verändern. Auch Uwe Schneidewind sieht Potenzial für eine Veränderung von unten: Wenn Menschen in der Stadt beispielsweise ein Leben ohne Auto ausprobieren, dann sei dies ein guter „Resonanzboden“ für politische Maßnahmen, die diesen neuen Lebensstil fördern. „Das treibt die Entwicklung voran.“