Ein Modellhaus für Senioren soll zeigen, was möglich ist.

Tübingen - Wissenschaftliche Studien belegen, was viele Menschen längst wissen. „Alte Menschen wollen ein Leben in der Häuslichkeit“, sagt Professor Gerhard Eschweiler, Leiter des Geriatrischen Zentrums des Tübinger Universitätsklinikums. Technische Lösungen können viel dazu beitragen, dass ein gutes und lange währendes Leben im eigenen Zuhause möglich wird. Den aktuellen Stand der dieser Vielfalt an Hilfen und Ideen fasst in Tübingen ein Gebäude zusammen, das sich Lebensphasenhaus nennt.

 

Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) hat es am Montag, 18. Mai 2015, eröffnet. Es gebe zwar bereits zahlreiche interessante Ansätze im Bereich der alltagsunterstützenden Technologien, erklärte sie, diese seien aber oftmals noch im Entwicklungsstadium oder ihr Verbreitungsstadium sei noch nicht hoch. „Das wollen wir mit dem Lebensphasenhaus ändern“, führte die Ministerin aus. Das Land Baden-Württemberg unterstützt das Projekt auf der Tübinger Rosenau mit 550 000 Euro.

Offen für viele Interessenten

Nach einem ersten Tag der offenen Tür am 5. Juli wird das Gebäude vielen Interessenten offen stehen. „Man soll die Technik ausprobieren können“, erklärt Professor Udo Weimar, der an der Uni Tübingen seit Jahren über die Verhaltensweisen älterer Menschen in ihren Wohnungen forscht. Der Einsatz technischer Assistenzsysteme soll praktisch getestet, demonstriert und erlebbar gemacht werden. Öffnungszeiten werden noch festgelegt, Mitglieder des Kreisseniorenrates werden als ehrenamtliche Technik-Botschafter vor Ort sein.

Gegen den Gebrauch technischer Geräte bestehen in der älteren Generation zum Teil erhebliche Vorbehalte, ist vom Kreisseniorenrat zu hören. Er möchte mithelfen, das Lebensphasenhaus bekanntzumachen, und wirbt für die Nutzung seiner Angebote.  Zudem bietet das Lebensphasenhaus Raum für Lehrveranstaltungen für Studierende sowie Schulungen für Pflegekräfte, Ärzte oder Handwerker. Das Projekt ist auf zehn Jahre angelegt. In enger Anbindung daran sollen zehn Wohneinheiten im ganzen Land entstehen, um weitere Erfahrungen zu sammeln.

Manche Ideen dieses Hauses können wohl nur bei der Planung von Neubauten umgesetzt werden, andere rasch zum Einsatz kommen. Stichworte sind ein erhöhter Toilettensitz oder eine optimierte Datenanbindung zu Ärzten oder Familienmitgliedern. Über Tablets lassen sich sehr viele der unsichtbaren Helfer steuern. Da geht es um das Öffnen von Türen, Herablassen von Rollläden und natürlich die Steuerung des Lichts. Vorwiegend LED-Technik wird in diesem Haus verwandt. Dabei geht es nicht nur um eine helle, weniger helle oder schummerige Beleuchtung, sondern um eine besondere Farbenlehre. Nachts weist ein grünes Lichtband im Boden vom Schlafzimmer den Weg ins Bad. Ebenso wird der Türrahmen durch LED-Beleuchtung grün eingefasst. Blau sei nachts ungeeignet, sagt Professor Eschweiler, der Mediziner, „Blau würde Wachheit provozieren, das möchte man in der Nacht nicht haben“. Die Farben passen sich somit dem Lebensrhythmus der Bewohner an.

Datenautobahn inklusive

Mancher Lichtschalter wird dort an die Wand geheftet, wo er gebraucht wird. Die Steuerung der Lichtquellen erfolgt drahtlos, Kabel in den Wänden werden zumindest fürs Licht nicht mehr benötigt. Wichtig ist es, bereits beim Bau oder der Sanierung einer Immobilie an eine Datenanbindung über Glasfaser zu denken. „Sowohl Kupfer- als auch Koaxialkabel werden bald an ihre physikalischen Grenzen stoßen“, sagt Ortwin Wiebecke, Sprecher der Tübinger Stadtwerke, die sich im Lebensphasenhaus um die Datenautobahn kümmern.

Die Höhe von Arbeitsplatten in der Küche lassen sich individuell anpassen in diesem Musterhaus, Deckenschienen im Bad machen den einfachen Einbau eines Lifts möglich, der Menschen sicher in die Wanne oder Dusche manövriert. „Ein Haus muss einen Garten haben“, sagt Reiner Bierig, Geschäftsführer des Verbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau. Auszubildende von acht Gartenbaubetrieben aus der Region haben Rasen, Beete und stufenfreie Wege gestaltet.

Gartenarbeit im Sitzen

Auch hier geht es um frische Ideen. Bierig verweist auf ein „rollstuhlgerechtes Hochbeet“ – ein Kräutergarten wurde so angehoben, dass er darunter Öffnungen für Rollstühle bietet. So lässt sich Gartenarbeit im Sitzen vollbringen. Bei Mauern wurde darauf geachtet, dass man sich in passender Höhe darauf niederlassen kann. Geländer neben den Wegen sind mit Lichtleisten versehen, so dass sie mit großer Sicherheit gegriffen werden können.

„Technische Assistenzsysteme bieten viele Möglichkeiten, auch indem sie die Arbeit von Angehörigen und Pflegediensten erleichtern“, erklärt Sozialministerin Altpeter. Viele Akteure sollen bei diesem Tübinger Projekt so früh wie möglich in die Entwicklung einbezogen werden. Da geht es um Bewohner samt Angehörigen, Sozial- und Gesundheitsdienste, Medizintechniker, Bauträger, Versicherungen oder Gemeinden. Die Sozialministerin erwartet von dem Lebensphasenhaus somit positive Impulse für Pflege, Wissenschaft und Wirtschaft im Land.