In der Stuttgarter Wohnungsbaubranche wird der Streit über die richtige Politik immer heftiger. Immerhin gibt es es jetzt eine breite Mehrheit für die Fortführung eines Modells, das Investoren verpflichtet, 20 Prozent öffentlich geförderter Wohnungen zu bauen.

Stuttgart - Das Luxusgut der Stuttgarter ist die Wohnung. Die Suche nach einer bezahlbaren Bleibe kostet vor allem Zeit und Nerven. Die Situation ist angespannt: Immobilienpreise und Mieten erreichen ständig neue Rekordwerte, Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) spricht sogar von Wohnungsnot. In dieser Gemengelage wird erbittert über den richtigen Weg im Wohnungsbau gestritten. Während die Politik nach Wegen sucht, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, rät die Eigentümerlobby Haus und Grund ihren Mitgliedern, die Mieten zu erhöhen.

 

Das vermeintlich mächtigste Mittel, mit dem die Kommunalpolitik Einfluss auf den Immobilienmarkt nehmen will, heißt SIM. Die Abkürzung steht für Stuttgarter Innenentwicklungsmodell. Dieses Konzept funktioniert – vereinfacht gesagt – so: wird für ein Gebiet neues Baurecht geschaffen, muss der Investor 20 Prozent öffentlich geförderte Wohnungen mit festgelegten Mietobergrenzen schaffen. „Wer SIM nicht möchte, tritt die wohnungspolitischen Ziele des Oberbürgermeisters damit in die Tonne“, sagte der Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU). OB Kuhn hatte Anfang Dezember vergangenen Jahres sein Strategiepapier zum Thema vorgestellt. 1800 neue Wohneinheiten sollen demnach in Stuttgart jährlich fertig gestellt werden – 600 davon öffentlich gefördert.

Meinungen über das Konzept gehen weit auseinander

Die Meinungen über das Modell, das nun fortgeschrieben werden soll, gehen im Gemeinderat auseinander. „SIM ist kein Erfolg“, sagte der FDP-Stadtrat Michael Conz im Wirtschaftsausschuss. „SIM ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein“, erklärte der Fraktionschef von SÖS/Linke, Thomas Adler. Die anderen Fraktionen orientieren sich dazwischen, sie wollen das Modell inzwischen aber grundsätzlich unterstützen.

SIM wurde vom Gemeinderat im März 2011 per Grundsatzbeschluss eingeführt. Andere Großstädte mit einem schwierigen Wohnungsmarkt wie München haben ähnliche Modelle etabliert. In der bayerischen Hauptstadt liegt die Quote geförderter Wohnungen sogar bei 30 Prozent. Sämtliche Beschlüsse zur sogenannten sozialen Bodennutzung wurden in München seit 1994 großteils einstimmig getroffen.

Für private Investoren ist der geförderte Wohnungsbau finanziell nicht lukrativ. Daher sieht SIM einen Ausgleich vor. Wird ein Grundstück durch neues Baurecht – hier in der Regel eine neue Wohnnutzung – aufgewertet, steigt es im Wert. Ein Drittel dieser Wertsteigerung soll beim Investor verbleiben. Im Gegenzug trägt dieser die Kosten des geförderten Wohnungsbaus, der Erschließung und in Teilen die Kosten für die notwendige Infrastruktur.

Was passiert, wenn die Kosten höher sind als der Gewinn

„Doch was passiert, wenn die Kosten höher sind als der Gewinn“, fragte die Fraktionsvorsitzende der SPD, Roswitha Blind. Wo wird gespart, wenn die vorgesehenen Investitionen die Entschädigung für den Investor auffressen? „Bisher wurde in einem solchen Fall verhandelt, was gestrichen wird“, sagte Blind. Ihrer Aussage nach sieht die Fortschreibung des Gemeinderatsbeschlusses zu SIM aber vor, in einem solchen Fall zuerst am geförderten Wohnungsbau zu sparen. „Das wäre etwa bei der Hälfte der Verfahren der Fall“, sagte Blind.

„Dieser Vorstoß ist angesichts der Situation in der Stadt nicht tragbar“, sagte Rolf Gaßmann, der Vorsitzende des Stuttgarter Mietervereins. „Der Anteil des geförderten Wohnungsbaus ist ohnehin schon gering.“ Er verstehe nicht, aus welchem Grund mindestens 30 Prozent des Gewinns beim Investor verbleiben müsse, sagte Gaßmann.

Gemeinderat entscheidet am Donnerstag

Über die Fortschreibung des SIM-Beschlusses wird der Gemeinderat am kommenden Donnerstag beschließen. Der Wirtschaftsausschuss debattierte am vergangenen Freitag mehrere Stunden darüber. „Die Kosten für die Erschließung müssen an erster Stelle stehen“, zog Föll ein Fazit, „sonst kann ein Gelände erst gar nicht bebaut werden. Danach sollen Wohnungsbau und Infrastruktur gleichrangig behandelt werden.“ Die FDP stimmte gegen den Vorschlag, SÖS/Linke enthielt sich.

Wie hitzig die Debatte über die Wohnungspolitik geführt wird, zeigt der Schlagabtausch zwischen OB Kuhn und Haus und Grund. Der Eigentümerverein hatte seinen Mitgliedern empfohlen, angesichts drohender staatlicher Eingriffe wie der Mietpreisbremse die Mieten deutlich zu erhöhen. Bereits im September 2013 sagte der Geschäftsführer Ulrich Wecker gegenüber der Stuttgarter Zeitung: „Im Fall der Fälle würden wir empfehlen, die größtmöglichen Erhöhungen durchzusetzen.“ Kuhn forderte den Verein daraufhin zur Mäßigung auf. „Haus und Grund muss sich schon überlegen, ob sie nur als Lobbyist oder als Gesprächspartner unter den ernsthaften Akteuren der Wohnungswirtschaft wahrgenommen werden will“, entgegnete er.