Wolf Biermann feiert 80. Geburtstag. Im Jahr 1976 hatte der Liedermacher einen Auftritt in der Schwabenlandhalle. Fast wäre das Konzert ausgefallen.

Fellbach - In diesen Tagen gibt’s in den Feuilletons der Tageszeitungen und den Kultursendungen des Fernsehen vor allem ein Thema: Wolf Biermann und sein 80. Geburtstag an diesem Dienstag. Ein Ereignis, das auch hierzulande eine besondere Bedeutung hat. Schließlich hat der Barde im Laufe seiner langen Karriere Fellbach bereits vier Mal seine Aufwartung gemacht. Am einprägsamsten ist jene Veranstaltung, die bundesweite Aufmerksamkeit erregte: Biermanns erstes Konzert nach seiner Ausbürgerung aus der DDR in der damals niegelnagelneuen Schwabenlandhalle – am 21. November 1976.

 

Biermann war seinerzeit auf Einladung der IG Metall auf Westdeutschland-Tour. Das DDR-Regime nutzte dies indes, direkt nach dem Gastspiel in Köln den missliebigen Kritiker der SED-Bonzen auszuweisen, wegen „grober Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten“ – Biermann durfte nicht mehr zurück nach Ostberlin.

Wolf Biermann ist am Abend des Konzerts aufgewühlt

Fellbach war dann die erste Auftrittstation nach der Ausbürgerung. Der Besucherandrang sprengte alle Erwartungen. Vor dem Eingang drängelten sich immer noch 150 Interessenten, obgleich der Abend längst ausverkauft und der Hölderlinsaal bereits völlig überfüllt war. Nichts geht mehr, hieß es von der Hallenleitung. Zudem machte die Meldung die Runde, die noch Wartenden seien von der Polizei mit Tränengas behandelt worden. Wolf Biermann war aufgewühlt an dem Abend, erinnert sich Friedrich-Wilhelm Kiel – er selbst war seinerzeit erst zweieinhalb Wochen im Amt als Fellbacher Oberbürgermeister. „Wenn die Leute nicht reinkommen, dann trete ich nicht auf“, habe Biermann gedroht. Kiel marschierte nach draußen, vermittelte, nahm „die Sache auf meine Kappe“, wie er es heute schildert. So gab es die von Biermann erhoffte „elegante Lösung“ – und die zusätzlichen Besucher durften sich hinter ihm auf den Bühnenboden setzen.

Der Saal in der Schwabenlandhalle ist rammelvoll

Feuilleton-Redakteur Ruprecht Skasa-Weiß schrieb in der Stuttgarter Zeitung über den Abend: „Verglichen mit der plebejischen Kölner Sechstage-Radrennhalle wirkt der neuerbaute Fellbacher Lüster-Polsterstuhl-Furnierholztempel beinahe traulich; es geht familiär und, dem Fernsehen zum Trotz, halbwegs konzertsaalmäßig zu (schütter ist auch Schickeria da).“ In den Stuttgarter Nachrichten urteilte Hans Fröhlich: „Der Saal war rammelvoll, und die Begeisterung hatte auch nach vier Stunden noch turbulente Ausmaße.“

Die Lokalredaktion der Fellbacher Zeitung allerdings konzentrierte sich eher auf die Tumulte vor Konzertbeginne. Hatte ein hinzugerufener Polizist, in der Menschenmenge eingeklemmt, sich doch nur unter Einsatz eines Sprühgeräts befreien können. Kommentar des FZ-Redakteurs: „Wo der Liederma cher auftritt, haben Kommunisten das große Wort.“

Die Kultur-Verantwortlichen im Rathaus konnte dieses Verdikt allerdings nicht abschrecken. Immer wieder wurde der Lyriker nach Fellbach eingeladen. Das nächste Großereignis folgte 14 Jahre später: Biermann erhielt am 14. November 1991 den erstmals verliehenen Fellbacher Mörike-Preis. Es wurde, wie schon 1976, erneut ein fast nicht endenwollender Abend. Erst um Mitternacht legte der Liedermacher die Gitarrre weg – und zu seiner Überraschung öffneten sich die Türen des großen Ratssaals, Blumenstrauß und Geschenke wurden hereingetragen für den seit wenigen Sekunden 55-Jährigen.

Biermann 2009 in Fellbach Foto: Paricia Sigerist
1996 dann sprach Biermann bei seinem dritten Fellbacher Gastspiel im Rahmen der Reihe „Europäisches Judentum und Israel heute“. Im September 2009 eröffneter der seinerzeit 72-Jährige die Reihe „49/89/09“ – deutsche Zeigeschichten“ in Erinnerung an den Mauerfall. Als erster Mörike-Preisträger wird der „couragierte Rebell“ (Kulturamtsleiterin Christa Linsenmaier-Wolf) auch im Fellbacher Stadtmuseum ausführlicher präsentiert. Zu sehen ist dort eine von Biermann eigenhändig erstellte Abschrift eines seiner Gedichte samt Noten und Titel: „Und als wir ans Ufer kamen. . .“ Biermann hatte es in Ostberlin als eines seiner letzten Lieder vor der Ausbürgerung geschrieben. Dazu schrieb er die Widmung: „Dieses Gedicht passt gut zu Eduard Mörike in Fellbach. Als Lied würde ich es gern mal wieder in Ihrem schönen Städtchen singen.“

Womöglich besteht ja tatsächlich die Chance dazu. Das Kulturamt hat ein Glückwunschkärtchen an den in Hamburg lebenden Liedermacher geschickt; verbunden mit der Einladung für ein fünftes Gastspiel in Fellbach. (Eine ausführliche Würdigung Biermanns zum 80. Geburtstag lesen Sie im Feuilleton im Mantelteil unserer Zeitung).