Der VfB Stuttgart benennt den umstrittenen Wolfgang Dietrich offiziell für das Präsidentenamt. Einen anderen wird es nicht geben – was den Club vor eine Zerreißprobe stellen könnte.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Das Schreiben an die Mitglieder des VfB Stuttgart ist raus. Darin wird Wolfgang Dietrich offiziell als der Präsidentschaftskandidat des Fußball-Zweitligisten vorgestellt. Ihn oder weiterhin keinen – das ist die Wahl, die es am 9. Oktober gibt. Knapp acht Wochen bleiben also noch, um sich ein Bild zu machen. Oder andersherum: um die Mitglieder von sich zu überzeugen. Ein Überblick.

 

Der Aufsichtsrat

Der Aufsichtsrat hat sich viele Gedanken gemacht. Seit dem 7. Mai immer konkretere, wie Martin Schäfer berichtet. 1:3 hatte der VfB da gerade gegen Mainz verloren. Es war der gefühlte Abstieg, unten auf dem Rasen des Stuttgarter Stadions brachen sich die Emotionen der Fans Bahn, und oben im Businessbereich führte der Aufsichtsratsvorsitzende ein erstes Gespräch mit Wolfgang Dietrich. Unverbindlich war es. Nicht einmal war die Rede davon, dass Dietrich wenige Wochen später als Präsidentschaftskandidat nominiert werden könnte.

Doch nun ist es so weit. Dietrich stellt sich zur Wahl. Der 68-jährige Leonberger ist der Mann des Aufsichtsrats. Einen zweiten Kandidaten wird es nicht geben, weil Martin Schäfer sowie Hartmut Jenner und Wilfried Porth in ihren Überlegungen, wen sie im Organigramm des Vereins oben platzieren wollen, immer wieder bei Dietrich gelandet sind. „Er kennt sich im Profisport aus, er bringt Erfahrungen aus der Wirtschaft mit, und er hat Erfahrungen in gehobenen Führungspositionen“, sagt Schäfer.

Außerdem ist Dietrich bereit, das Amt des VfB-Präsidenten wieder ehrenamtlich auszuüben. Auch das behagt Schäfer, der mit dieser Variante schon länger liebäugelt. Nicht um nach gut schwäbischer Sitte Geld zu sparen, sondern weil er die Clubführung gut aufgestellt sieht: „Die Aufgaben sind verteilt, und wir wollen selbstbewusste Vorstandsmitglieder.“

Jan Schindelmeiser (Sport), Stefan Heim (Finanzen) und Jochen Röttgermann (Marketing) sind das sowie Oliver Schraft (Kommunikation) noch zusätzlich in der Geschäftsleitung. Das soll auch so bleiben. Dagegen soll der Aufsichtsrat noch wachsen – von drei auf sechs Personen. Wobei vor allem die Fußballkompetenz gestärkt werden soll: mit dem Ex-Profi und Ehrenrat Hermann Ohlicher. Mit einem zweiten Fachmann werden Gespräche geführt, ebenso mit Franz Reiner vom Hauptsponsor Mercedes-Benz-Bank.

Der Kandidat

Zwei Schlüsselerlebnisse nennt Wolfgang Dietrich, die ihn dazu bewegt haben, sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Erstens: zwei Stadionbesuche nach Jahren der Enthaltsamkeit in der vergangenen Saison. Gegen Hannover 96 und Mainz 05. „Sehr bitter war das“, erinnert sich Dietrich. Zweitens: das Testländerspiel der deutschen Nationalmannschaft am 29. Mai in Augsburg gegen die Slowakei (1:3). „Da standen sechs beim VfB ausgebildete Spieler auf dem Platz, und auf der Bank saßen drei Trainer mit VfB-Vergangenheit“, erzählt Dietrich. Zu sich selbst sagte er: „Will ich weiter eines von 47 000 VfB-Mitgliedern sein oder aus meiner Bruddelecke herauskommen?“

Eindeutig hat Dietrich die Frage für sich beantwortet: Der Mann mit der Mitgliedsnummer 836 (seit 42 Jahren dabei) will den VfB in eine bessere Zukunft führen, ihn wieder profilieren und „uns allen den Stolz auf den VfB zurückgeben“ – und zwar nicht als Ratgeber hinter den Kulissen, wie er es zuvor getan hat, sondern in der Rolle eines aktiven Moderators. Vielleicht wäre sogar der Begriff des Universalstrategen besser, wenn man berücksichtigt, was der Aufsichtsrat dem avisierten Nachfolger des nach dem Abstieg zurückgetretenen Bernd Wahler alles zutraut – und was beim einst erfolgreichen Verein für Bewegungsspiele alles angeschoben werden muss.

„Ich bin politisch, finanziell und auch persönlich unabhängig“, sagt Dietrich über seine Startvoraussetzungen. Allerdings ist er als ehemaliger S-21-Sprecher kein unbeschriebenes Blatt. Als jemand, der den Club aufgrund seiner Vergangenheit als Frontfigur des Bahnprojekts gar vor eine Zerreißprobe stellen könnte, wird er von Skeptikern wahrgenommen. Dietrich geht das entschieden zu weit – und mit seiner Biografie offensiv um. „Sie können sicher sein, dass ich sehr wohl unterscheiden kann, ob ich ein Unternehmen leite, für ein Bahnprojekt stehe oder ob ich für das Präsidentenamt beim VfB kandidiere“, sagt er.

Das Programm

Wer glaubt, dass Wolfgang Dietrich mit einem fertigen Konzept in das Rennen um den neuen Posten geht, ist auf dem Holzweg. Acht Wochen vor dem Stichtag hat er bislang nur klare Vorstellungen darüber, wo der VfB möglichst bald wieder stehen soll: sportlich oben. Dazu will er den Club finanziell stabil halten und gesellschaftlich fest in der Stadt verankern. „Wir brauchen Leute, die dem Verein dienen“, sagt der in Stetten im Remstal geborene und in Backnang aufgewachsene Schwabe. Und er will der erste Diener sein.

Welche Mehrheit er am 9. Oktober erzielt, ist für Dietrich zweitrangig. Er akzeptiert jede – und will sich lieber an Ergebnissen messen lassen. „Ich bin kein Revolutionär“, sagt Dietrich. Mit dem bestehenden Personal will er arbeiten, sich in den vorhandenen Strukturen bewegen. Dennoch kann man davon ausgehen, dass Dietrich nicht alles beim Alten belassen wird. Jedenfalls gilt er nicht als Zauderer und erklärt: „Kein Verein wird erfolgreich sein, wenn er an der richtigen Stelle nicht auch mal unpopuläre Entscheidungen trifft.“

Noch aber schaut der Kandidat von außen auf den VfB, und erst die Innensicht wird dazu führen, dass er Maßnahmen einleitet. Zum Beispiel im Nachwuchsbereich, wo die Stuttgarter sang- und klanglos, aber ebenso klaglos aus der dritten Liga abgestiegen sind und wo die einstige Entwicklungsabteilung „Jugend forsch(t)“ nur noch Mittelmaß ist.

Eigene, potente und regional verwurzelte Sponsoren für den Jugendbereich kann sich Dietrich da vorstellen, um mit den Hoffenheims dieser Fußballwelt wieder Schritt zu halten. Ein schöner Gedanke, den seine Vorgänger ebenso formuliert haben. Nur an der Umsetzung hat es anschließend gehapert, wie Dietrich weiß.

Die Ausgliederung

An der geplanten und heiß diskutierten Ausgliederung der Profiabteilung aus dem Gesamtverein hält die VfB-Spitze fest. Nur: Der Zeitpunkt, wann diese zur Abstimmung gestellt wird, ist offen. Noch gibt es Überzeugungsarbeit zu leisten. Noch gilt es, zunächst andere Probleme zu lösen. Eines ist jedoch schon klar – sofern die Ausgliederung irgendwann mal Wirklichkeit auf dem Wasen wird: Wolfgang Dietrich will dann weiter Präsident des Hauptvereins sein, „und die Mitglieder und deren 75-Prozent-Anteil in der neu gegründeten Aktiengesellschaft vertreten“.

Das allein sei schon eine große Aufgabe, betont Dietrich. Schließlich will der Verein nicht mehr als 24,9 Prozent der Anteile an Investoren veräußern. Oder an „strategische Partner“, wie es beim VfB gerne heißt. Aus der Region sollen die Geldgeber kommen, sich mit den Werten des VfB identifizieren und die Stuttgarter mit ihren Millionen wieder wettbewerbsfähiger machen. Mit mindestens 50 Millionen Euro wird in einem ersten Schritt gerechnet. 30 Millionen Euro davon sollen aus dem Hause Daimler kommen. Etwa 40 Prozent des Gesamterlöses sollen letztlich direkt in die Mannschaft fließen.

Das sind die Kenngrößen, an denen auch unter einem neuen Präsidenten nicht gerüttelt wird – der im Falle Wolfgang Dietrich ja in einem anderen Leben selbst Investor ist. Mit der Firma Quattrex (auch bei den Stuttgarter Kickers involviert) hat er im Fußball Geld verdient. Daher kommen auch ein Teil seiner Einblicke und Kontakte in die Kicker-Szene. Mittlerweile führt aber Dietrichs Sohn Christoph die Geschäfte, und der Senior hat sich zurückgezogen.

„Im Falle des VfB ist es aber keineswegs egal, woher das Geld kommt“, sagt Dietrich. Kein herzloses Fußballunternehmen soll aus dem VfB werden, sondern ein Verein, der seinen Platz zwischen Tradition und Moderne findet. Mit einem kleinen Team an der Spitze will Dietrich diese „Symbiose aus alten Werten und wirtschaftlichen Notwendigkeiten“ hinbekommen.

VfB Stuttgart - 2. Bundesliga

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