Das Wort des Jahres soll den Nerv der Zeit treffen. Bei der aktuellen Wahl „Rettungsroutine“ ist das nicht der Fall – es kennt schlicht kaum jemand.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - In der Vergangenheit hat die Gesellschaft für deutsche Sprache ja oft den Nerv der Zeit getroffen, wenn sie zum Jahresabschluss das Wort des Jahres gekürt hat. Da war der Stresstest 2011, die Abwrackprämie 2009 oder die Fanmeile, in Erinnerung an das Sommermärchen, im Jahr 2006. Das waren Worte, mit denen man durchaus etwas verbinden konnte. Vertraute Schöpfungen aus Presse, Funk und Fernsehen. Und nun das: Rettungsroutine!

 

Wer sich die Welt durch googeln erschließt, der ist bisher kaum mit dem neuen Wortchampion in Berührung gekommen. Rettungsroutine hatte vor der Preisverleihung schlicht keine Relevanz bei der Suchmaschine. Auch in anderen Archiven muss ziemlich tief gegraben werden, um wenigstens ein paar Quellen zu finden, die eine Existenz des Wortes belegen. Da ist dann der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, der die Rettungsroutine im März während eines Interviews mit der Nachrichtenagentur dpa erwähnt hat. Und da findet sich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die einen Text über Finanzhilfen für strauchelnde Euroländer mit der Überschrift „Europas Rettungsroutine“ versehen hat. Das war allerdings schon im Mai des vergangenen Jahres gewesen. Viel mehr ist nicht.

Das Wort des Jahres solle den Nerv der Zeit treffen, eine Neubildung beziehungsweise Bedeutungserweiterung darstellen und dem Bürger bekannt sein, sagt Andrea-Eva Ewels, die Geschäftsführerin der Sprachgesellschaft. Zumindest die letzte dieser drei Zielvorgaben vermag die Rettungsroutine kaum zu erfüllen. Ewels macht daher auch keinen Hehl daraus, dass sie anders entschieden hätte. Aber: „Ich wurde überstimmt!“ Ihr Wort des Jahres wäre Schlecker-Frauen gewesen, das landete auf Rang vier. Die zehnköpfige Jury bewertete auch die Bildungsabwendungsprämie (Platz drei) und die Kanzlerpräsidentin noch höher.

Trost am Rande: die Wutbürger, die 2010 zum Wort des Jahres gekürt wurden, haben nach Ewels’ Angaben ihre große Karriere auch erst gemacht, nachdem sie den Preis eingeheimst hatten. Und im Januar präsentiert eine institutionell unabhängige Jury ihr Unwort des Jahres. Rettungsroutine wäre dafür auch nicht so völlig undenkbar.