Der oberschwäbische Maler Manfred Scharpf hat den Wurzacher Altar zusammen mit Schülern des Salvatorkollegs neu interpretiert – gar nicht zur Freude der katholischen Kirche.

Bad Wurzach - Der Wurzacher Altar von Hans Multscher (1400–1467) zeigt in je vier Szenen das Leben Mariens und die Leidensgeschichte Christi. Zwei Flügel sind noch erhalten, der Rest ist bei einer abenteuerlichen Rettungsaktion des Grafen Waldburg-Zeil-Wurzach verloren gegangen, als er das Kunstwerk 1783 vor den napoleonischen Truppen wegbringen ließ. Die Bildtafeln gelten als herausragendes Zeugnis spätgotischer Malkunst und hängen heute in der Berliner Gemäldegalerie.

 

Multscher stammte von Reichenhofen bei Leutkirch im Allgäu. Manfred Scharpf, gebürtig aus Kißlegg (Kreis Ravensburg), ist sein Landsmann. Er wohnt im früheren Schulhaus des Grafen Waldburg-Zeil. Scharpf hatte die Idee, den Wurzacher Altar wiederauferstehen zu lassen, in einer modernen Interpretation. Das Salvatorkolleg in Bad Wurzach stand hinter dem Projekt, und ein Dutzend künstlerisch begabter Gymnasiasten sollte das Werk mitgestalten. Nun wurde es im Schloss Bad Wurzach der Öffentlichkeit vorgestellt.

Scharpf ist mit den alten Maltechniken wohl vertraut

Scharpf, ein Künstler von Weltruf, der auch schon in New York ausgestellt hat, arbeitet am liebsten mit jungen Leuten zusammen. Seien es Behinderte, Schüler oder Strafgefangene. Das Salvatorkolleg belegt einen Flügel des Schlosses, des Grafen Franz Anton von Waldburg-Zeil-Wurzach (1748–1813). Just jener Raum in der dritten Etage, der einst die berühmte Truchsessengalerie beherbergte, sollte Scharpfs Atelier werden. „An dieser Wand hingen schon Rembrandts und Vermeers und auf der Rückseite der Wurzacher Altar selbst“, schwärmte der 67-Jährige, der viel davon versteht, weil er selber ausgebildeter Kirchenmaler und mit den alten Technikern gut vertraut ist.

Mit christlicher Symbolik zeigt Scharpf das Leiden des modernen Menschen an seiner Umwelt, die ihm Not, Tod und Verderben bereithält. Daher soll das in siebenmonatiger, harter Arbeit geschaffene Werk mit seinen acht Flügelbildern auch gar kein Altarbild sein. Er hat sein Werk Wurzacher Retabel (Altaraufsatz) genannt, aber nur im Untertitel. „Einen Altar zu malen würde ich mir nie anmaßen“, sagt Scharpf. Tatsächlich heißt das Werk „Beatrice – Weg aus dem Dunkel“. Es soll eine Hommage an Beatrice sein, die positive Gestalt in der „Göttlichen Komödie“ von Dante Alighieri. Wie dort in der Höllenfahrt verkörpert Beatrice bei Scharpf die „Liebe, Güte und das Mitgefühl“, der Gegenentwurf zu Verkommenheit, Verderbnis und Tod.

Unbefleckte Empfängnis in der Retorte

Beatrice trägt Jesus, den Schmerzensmann in ihren Armen. Tödlich verletzt versinnbildlicht er alle Menschen und ihr Leiden an der Welt. Doch Scharpfs Jesus hat ein ungewöhnliches Vorbild namens Patrick, den Scharpf bei seinem Malprojekt kennengelernt hatte. „Er war ein 19-jähriger drogenabhängiger Strafgefangener, der sich an meinem letzten Tag in der Justizvollzugsanstalt Ebrach das Leben nahm“, erzählt der Maler. Die Krone besteht nicht aus Dornen, sondern aus Spritzen. Auch trägt er einen graublauen Turnschuh. Scharpf zitiert christliche Symbole: Die unbefleckte Empfängnis ist eine Retortenreproduktion, Mariä Auffahrt wird als Organtransplantation interpretiert, wobei Maria eine käufliche Frau ist und ihre Wiedergeburt als Barbiepuppe stattfindet.

Daneben sieht man in Grau gehaltene hoffnungslos düstere Tafelbilder, die nur von einem schwachen Violettton der Gnade durchzogen sind. „Violett ist ja die Farbe der Passion“, erläutert Scharpf. Wie in einem Kaleidoskop zeigt er Scheußlichkeiten: ein Folteropfer von Abu Ghreb, das einem Todesengel gleicht, oder eine von giftiger Luft, Atommüll und Abfällen verseuchte Landschaft, eingeschlossen von den KZ-Mauern von Auschwitz.

Für ein Gotteshaus sei das Kunstwerk „nicht geeignet“

Als man seine Neufassung des Wurzacher Altars zu Ostern in der Stadtpfarrkirche St. Verena präsentieren wollte, verhinderte dies die Kirche. Ein Gotteshaus als „Ort der inneren Einkehr“ sei „nach unserer Meinung dafür nicht geeignet“, schrieb Pfarrer Stefan Maier in einem im Internet veröffentlichen Brief. Zuvor hatte der Kirchengemeinderat einen entsprechenden Eindruck gewonnen. „Der Wucht der Bilder“, so Pfarrer Maier weiter, könnten die Gläubigen in dieser Zeit nicht ausweichen, da sie zu Ostern die Kirche quasi „zwangsläufig“ aufsuchen müssten.

Maler Scharpf begreift diesen Vorgang als „Unfähigkeit der Kirche, sich den drängenden Fragen unserer Zeit zu stellen“. Dies trete „nicht nur in Rom“ zu Tage, „sondern leider auch an der Basis“. Sein Werk wird aber Ende des Jahres in der baden-württembergischen Landesvertretung in Brüssel hängen. Ganz verloren gibt der Künstler die menschliche Sache dann doch noch nicht. Das Werk soll auch ein Vermächtnis sein für seine dreieinhalbjährige Tochter. Ihr Name? Beatrice natürlich.