Am Tag der Deutschen Einheit sprach der Sänger Xavier Naidoo in Berlin auf einer Demo der so genannten Reichsbürger, einer vom Verfassungsschutz beobachteten Vereinigung. Damit manövriert sich der Mannheimer bei vielen ins Abseits.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Mannheim - Schon immer durfte man ein bisschen an der Gedankenkraft des sehr bibeltreuen Christen Xavier Naidoo zweifeln. Aber vor gut zwei Wochen hat er den Bogen überspannt. Am Tag der Deutschen Einheit sprach der Mannheimer Soulsänger in Berlin auf einer Demo der so genannten Reichsbürger, einer vom Verfassungsschutz beobachteten Vereinigung, die die Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik Deutschland anzweifelt.

 

Im Publikum befand sich unter anderem der Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke, der lauschen durfte, wie Naidoo dort über den 11. September 2001 als „Warnschuss“ sprach und die Berichte über das Attentat mit den Worten „Wer das als Wahrheit hingenommen hat, was da erzählt wurde, hat einen Schleier vor den Augen“ bezeichnete – ehe er laut der Zeitung „Die Welt“ das Mikrofon „an eine Führungskraft der NPD weiterreichte“. Zuvor sprach Naidoo am gleichen Tag auf einer anderen Kundgebung, die von einem als Antisemit geltenden Mann organisiert wurde. Rein zufällig sei Xavier Naidoo dort vorbeigekommen, zitiert Spiegel Online seine Managerin Merle Lotz.

Er hält Deutschland für ein von den USA „besetztes Land“

Purer Zufall ist es dann wohl auch, dass er bei beiden Anlässen ein T-Shirt mit dem Slogan „Freiheit für Deutschland“ trug. Zufall, dass er mit seinem Bandprojekt Straßenunterhaltungsdienst ein Stück mit dem Titel „Die Wahrheit“ im Repertoire hat, das Joachim Gauck als US-Büttel verunglimpft und die Frage „Haben wir nicht bald alle Staatsformen ausprobiert?“ aufwirft. Zufall dann vermutlich auch, dass Naidoo 2011 im ARD-„Morgenmagazin“ erzählte, dass er Deutschland nach wie vor für „nicht frei“ und für ein von imperialistischen Amerikanern „besetztes Land“ halte. Und Zufall dann gewiss auch, dass Gerhard Fontagnier, Stadtrat der Grünen in Mannheim, im Jahr 2012 versuchen musste, das von Ritualmorden kündende Stück „Wo sind wir jetzt“ auf einem Album von Naidoo mit dem Rapper Kool Savas auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien setzen zu lassen.

Der selbsternannte „Neger aus Kurpfalz“ hat ein Problem, und die Verteidigungsstrategie des dunkelhäutigen Sängers mit indisch-südafrikanischen Wurzeln ist gelinde gesagt dilettantisch. In der SWR-Sendung „Zur Sache, Baden-Württemberg“ rechtfertigte er seine Auftritte in Berlin vor einigen Tagen mit den Worten „Ich möchte auf Menschen zugehen, auch auf ,Reichsbürger’ und auch auf die NPD“, weil schließlich auch Angela Merkel vor Vertretern der Partei Die Linken sprechen müsse, ob es ihr nun schmecke oder nicht. Mittlerweile allerdings hat man die Notbremse gezogen und dem frommen Mann – oder er sich selbst – wohl eine Art Schweigegelübde auferlegt; die Causa möchte Naidoo neuerdings nicht mehr kommentieren.

Mannheimer Repräsentanten gehen auf Distanz

Den Salat hat er trotzdem. „Wir distanzieren uns von den fragwürdigen und irritierenden politischen Äußerungen und dem Auftritt Xavier Naidoos“, hieß es jetzt von der Mannheimer Popakademie, deren Mitinitiator der Sänger ist. Seine Gastdozententätigkeit sei ausgesetzt, bis die Direktion mit ihm über die Angelegenheit gesprochen habe. „Komplett ins Abseits befördert“ habe er sich mit seinem jüngsten Treiben, sagt der Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier, der auf die missliche Lage hinweist, dass jüngst die Kommunalwahl einen vorbestraften NPD-Mann in den Landtag befördert habe, den man zu isolieren gedenke – wobei Naidoo diesem Ansinnen einen Bärendienst erweise. Der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) fand in einer Stellungnahme ungewöhnlich offene Worte: Naidoo stelle sich „mit seinen politischen Äußerungen ins Abseits“ und in eine Ecke, mit der sich Mannheim nicht identifizieren könne. „Eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit zur Darstellung der Stadt ist nicht aktuell und derzeit auch nicht denkbar“, sagt Kurz.

Die Deutlichkeit dürfte deshalb delikat daherkommen, da doch dem derzeit diabolisierten Darstellungskünstler durchaus droht, dass der schwere und steinige Weg, den die Stadt Mannheim gemeinsam mit ihm zu gehen gedachte, nun noch beschwerlicher wird. Denn die Marketingstrategen der Stadt hatten ihn eigentlich als „Testimonial“ auserkoren, um mit dem Musikhändler und Naidoo-Geschäftspartner Michael Herberger ausgerechnet auf einem Gelände der ehemals (oder noch immer?) imperialen Besatzer von der US-Armee eine so genannte „repräsentative Eingangspforte“ im Norden von Mannheim zu errichten. Überdies wollten die Marketingmenschen mit Naidoos Hilfe auch nach dem prestigeträchtigen Titel „Unesco-Musikstadt“ streben.

Wie das alles zu bewerten ist, wird an diesem Dienstag auf Antrag der Grünen-Fraktion der Mannheimer Gemeinderat debattieren. Ob er künftig im Vorprogramm der Böhsen Onkelz auftreten sollte, muss Naidoo entscheiden. Die jedenfalls spielen demnächst in der Kurpfalz, sage und schreibe vier Riesenkonzerte am Hockenheimring. Es werden sehr viele Brüder im Geiste erwartet.