Sänger Xavier Naidoo fühlt sich „missverstanden“ und erklärt die Genese seiner Rollenprosa. Aber wirkliche Niedertracht ist vielleicht auch nochmal etwas Anderes.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Auf Facebook ist schon früh der Sänger Xavier Naidoo unterwegs, der noch einmal „das Wort für die Kunst“ ergreifen möchte, nachdem er und seine Band ein Krisentreffen mit der Mannheimer Stadtspitze hinter sich gebracht haben (Mannheim verlangt „klare Kante“, steht aber zu den „Söhnen“). Naidoo gilt, wie zuletzt schon öfter thematisiert, in vielerlei Hinsicht als Botschafter der Kommune, ist in etliche Projekte vor Ort integriert und sitzt mithin oft in einem Boot mit Politikern, die in „Marionetten“, einem Song des neuen Albums „MannHeim“, von „Puppenspielern“ manipuliert werden. Dass der Puppenspieler das antisemitische Klischee schlechthin verkörpert, kann Naidoo nicht entgangen sein. Ebenso wenig wird er übersehen haben, dass der „wütende Bauer mit der Forke“ aus der Nazi- und Metaphernkiste von Tatjana Festerling kommt, einer einschlägig bekannten Pegida-Aktivistin.

 

Interessant ist, wie Naidoo – familiär Spross indisch-deutscher-südafrikanisch-irischer Eltern – in seinem Post die Geburt des Songs aus dem Unbewussten erklären möchte: assoziativ gleichsam fliege ihn über einen musikalischen Impuls ein Gedanke an, den er dann, weiterhin unbewusst, thematisch treiben lasse. Allmähliche Verfertigung beim Nichtgroßdenken also. Im Falle von „Marionetten“, haben wir es, dem Sänger zufolge, deshalb weniger mit einer Gesellschaftsanalyse zu tun, als vor allem mit einer Wiedergabe von O-Tönen, die sich Naidoo mitgeteilt hätten.

Somit fungiert er, wie in anderen Fällen auch, gewissermaßen als Medium, und das möge in diesem Fall „missverständlich“ gewesen sein. In jedem Fall ist es Rollenprosa. Es spricht auch Naidoo, aber nicht nur Naidoo, der sich auf Facebook noch einmal zur „offenen, freiheitlichen, liberalen und demokratischen Gesellschaft“ bekennt, deren Segnungen, das ist der Zusatz, leider nicht mehr allen, wie versprochen, teilhaftig würden: wir erlebten, setzt Naidoo fort, im Augenblick eine Zeit, „in der viele Menschen zumindest das Gefühl haben, dass es ihnen nicht mehr ganz so gut geht, oder dass sie nicht mehr ,mitgenommen‘ werden“. Auch wenn Letzteres eine gewisse Nähe zu bekannten Positionen der AfD aufweist: so falsch ist der Gedanke nicht.

Innerhalb der Welt der Populärkultur jedoch, von der die meisten Menschen in Deutschland, die irgendwann in sie eintauchen, zunächst einmal unbefangen annehmen, sie sei so pluralistisch, wie sie kunterbunt daherkommt, gibt es eherne Gesetze. Das liegt, unter anderem, am nationalen Hang zu einem Diskurs, der oft wenig offen an Phänomene herangeht. Literatur-, Musik- und mittlerweile auch Popmusikpäpste gibt es eigentlich nur hierzulande. Ausgerechnet die zumeist aus der linken Sozialisation hervorgekommene Popkritik erweist sich da nicht selten als besonders rigoros. Was sie nicht mag, soll es am liebsten gar nicht geben. Was ihr nicht taugt, wird häufig ignoriert. Dass es, im Gegenteil, innerhalb einer Streitkultur aber besser kein monotones „Gut“ oder „Böse“, „Richtig“ oder „Falsch“ geben solle, daran erinnert Naidoo in seinem Post nicht von ungefähr.

Ebenfalls gerne mit Rollenprosa arbeitet der im Gegensatz zu Naidoo bei der Kritik beliebtere Jan Böhmermann, der stets genau weiß, was „seelenlose Kommerzkacke“ ist, wie er jüngst bei der Echo-Verleihung sagte, und was nicht. Böhmermann, der im letzten „Neo Magazin Royale“ die „Hurensöhne Mannheims“ mit ihrem „nicht antisemitischen Album ,Death to Israel‘“ ankündigte. Im „Schmähgedicht“ über den türkischen Präsidenten Recip Tayyip Erdogan behauptete er seinerzeit, dieser wolle „Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken, Kurden treten, Christen hauen und dabei Kinderpornos schauen“. Böhmermann galt daraufhin als Held. In Wirklichkeit ist er wohl derjenige, dem man am ehesten den totalen Tabubruch bescheinigen kann. Als Campino und die Toten Hosen noch einmal im Gefolge von Bob Geldof 2014 für ein Projekt in Sierra Leone trommelten (resultativ konnte für 240 Kinder eine Schule gebaut werden), taufte Böhmermann die Aktion in Anlehnung an Geldofs altes Motto: „Do they know it’s Scheiße?“ Die Hosen hatten fünf Millionen Euro gesammelt. In seiner Show zeigte Böhmermann, gegen dessen so genannte Satire (die ja angeblich alles darf) sich keinerlei Widerspruch erhob, eine Fotomontage von Campino mit einem Doppelkinn, das einem Hodensack nachgebildet war.

Es wurde sehr gelacht damals. Dabei war es keine Kunst und auch keine anrüchige, irrlichternde Rollenprosa, sondern einfach: Niedertracht.