Die Zahl der Alleinerziehenden steigt stetig. In Deutschland wächst inzwischen jedes fünfte Kind in einer Ein-Eltern-Familie auf. Zu 90 Prozent sind es Frauen, die ihre Kinder alleine großziehen – mit meist gravierenden Nachteilen.

Stuttgart - Andrea T. (Name geändert) muss jeden Monat neu organisieren. Die Flugbegleiterin bekommt erst drei Tage vor Monatsende ihren Dienstplan – und plant die Betreuung ihrer zwei Kinder für die nächsten vier Wochen. „Das ist jedes Mal ein enormer Kraftakt“, sagt die 43-Jährige. Zwar besuchen Sohn und Tochter Schulen mit zuverlässiger Nachmittagsbetreuung bis 17 Uhr, aber ihre Flugtouren dauern oft drei bis sechs Tage. „Da hilft nur eine flexible Kinderfrau, die von 17 Uhr bis morgens um 7 Uhr bei mir zuhause einspringt.“ Ihr Arbeitgeber, die Lufthansa, hat bei der Vermittlung geholfen, die Kosten sind beachtlich. Manchmal springen Freundinnen und die Schwester bei der Betreuung ein.

 

Zurzeit arbeitet Andrea T. auf einer 50-Prozent-Stelle, das sind zwölf Einsatztage im Monat. Mehr geht nicht. „Wie soll ich das machen? Ich kann die Kinder doch nicht ständig alleine lassen.“ Ihr Exmann sieht das anders. In Kürze geht es wieder vor Gericht um den Unterhalt. Andrea T. hat sich vor sechs Jahren getrennt – vor Inkrafttreten des neuen Unterhaltsrechts, wonach Mütter ab dem dritten Lebensjahr ihrer Kinder in Vollzeit arbeiten müssen und kein Unterhaltsrecht haben. Seit ihr Sohn das Gymnasium besucht, sind der Stress und Zeitaufwand für sie gestiegen: „Die Schule erwartet, dass der Stoff zuhause nachgearbeitet wird. Mit einem Kind geht das vielleicht noch mit einer Vollzeitstelle, aber nicht mit zwei Kindern.“ Sie ist sicher: „Wenn ich mehr arbeite, geht das auf Kosten der Kinder.“

Armutskarriere sei häufig vorprogrammiert

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für viele Alleinerziehende nur schwer zu leisten. Als „Quadratur des Kreises“ bezeichnet es Edith Schwab. Die Vorstandsvorsitzende des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) ist Anwältin für Familienrecht in Speyer und kennt aus ihrer Praxis viele Beispiele, die daran scheitern. „Alleinerziehende sind als Frauen und Mütter auf dem Arbeitsmarkt stark benachteiligt. Sie sind häufiger schlechter bezahlt und können Vollzeitjobs nur schwer mit der Kinderbetreuung vereinbaren“, sagt die Anwältin. Eine Armutskarriere sei häufig vorprogrammiert. Das Armutsrisiko liegt bei Alleinerziehenden bei 40 Prozent – daran hat sich in all den Jahren nichts geändert und das wurde auch im Armutsbericht der Bundesregierung im Frühjahr 2013 wieder bestätigt. „Das ist ein Skandal“, sagt Edith Schwab. „Ich kenne Ärztinnen und Juristinnen, die in der Hartz-IV-Falle stecken und arbeiten wollen – sie bekommen aber wegen fehlender Kinderbetreuung keine Stelle.“

Und selbst wenn sie Arbeit haben: viele berufstätige Alleinerziehende müssen wegen zu geringem Arbeitslohn mit Hartz IV aufstocken. „19 Prozent der Alleinerziehenden sind so genannte working poor“, sagt Edith Schwab, „und das, mitten in Deutschland.“ 14 Prozent der Verbraucher, die im vergangenen Jahr eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchten, waren alleinerziehende Frauen, teilte das Statistische Bundesamt kürzlich mit. Vor allem die Kinder leiden unter den finanziell schwierigen Verhältnissen. Der Alleinerziehenden-Verband fordert deshalb eine Kindergrundsicherung von 500 Euro, um die Kinder aus der Armut herauszuholen.

Sie musste gegen viele Vorurteile ankämpfen

Für Roswitha R. ist das nichts Neues. „Eigentlich hat sich in den letzten 25 Jahren nichts verändert“, stellt die 61-Jährige fest. Sie hat ihren Sohn Sebastian alleine großgezogen, war immer voll berufstätig. Die ehemalige Hauswirtschaftsleiterin eines Pflegeheims musste dabei ständig gegen die Vorbehalte ihres Arbeitgebers ankämpfen. „Schon als ich von meiner Schwangerschaft erzählte, wollten die mir meine Position wegnehmen“, erzählt sie. Nicht mit mir, dachte sich die damals 36-Jährige – und arbeitete schon während der Elternzeit halbtags. Nach sechs Monaten kehrte sie in Vollzeit auf ihre Leitungsstelle zurück – um den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn zu verdienen.

Sie musste gegen viele Vorurteile ankämpfen. Heute ist sie stolz auf ihre Leistung und darauf, dass sie ihrem Sohn einiges bieten konnte. Der 25-Jährige studiert in der Schweiz und steht auf eigenen finanziellen Beinen. Roswitha R. ist inzwischen aus gesundheitlichen Gründen aus ihrem Beruf ausgestiegen und betreut privat die Kinder von berufstätigen und alleinerziehenden Familien. Dort erlebt sie auch die ungenügenden Betreuungszeiten in Kitas, Kindergärten und Schulen. Bis zu den Abendstunden, bis die Eltern von der Arbeit kommen, oder in den Ferien betreut sie die Kinder und verdient sich damit ein Zubrot zu ihrer Erwerbsminderungsrente.

Für die Altersvorsorge fehlt oft das Geld

Im Alter sind Alleinerziehende überproportional von Armut bedroht. Für die Altersvorsorge fehlt oft das Geld. Es triff vor allem Frauen: mehr als 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen, kaum ein Mann traut es sich zu, Kinder alleine großzuziehen.

Eine Ausnahme ist Jürgen Z.. Seit sieben Jahren lebt er alleine mit seinem zehnjährigen Sohn in Stuttgart: „Für mich war klar, dass ich Verantwortung übernehmen will. Ich habe mich schon vor der Trennung intensiv um meinen Sohn gekümmert.“ Sein Sohn war drei, als sich der Redakteur von seiner Freundin trennte. „Ich hatte keine Lust, nur den Wochenendclown zu geben“, begründet er seine Entscheidung, die er vor Gericht durchkämpfen musste. „Ich wollte den Alltag mit meinem Kind leben: Arztbesuche, zur Kita und zur Schule bringen und abholen, kochen – eben das volle Programm.“

Inzwischen hat sein Sohn die Grundschule mit Ganztagesbetreuung durchlaufen und geht ab September aufs Gymnasium. Wieder ein organisatorischer Kraftakt. Das Anstrengendste am Alleinerziehen sei, „dass das Organisieren nie aufhört“, sagt er. Bei der Arbeit hatte Jürgen Z. in der ersten Zeit ziemlich zu kämpfen. Der Redakteur merkte, dass er auf Grund seiner privaten Situation bei der Jobvergabe benachteiligt wurde. Kurzerhand ging er zur Frauenbeauftragten seines Arbeitgebers, „jetzt heißt sie Gleichstellungsbeauftragte“, sagt er amüsiert. Gemeinsam suchten sie das Gespräch mit dem Chef. „Danach war das Thema vom Tisch – seitdem hatte ich beruflich keine Nachteile mehr“. Auch damit ist er die große Ausnahme.