Im Zahnradbahn-Gespräch spricht Markus Baur über das Auf und Ab in einem Handballer-Leben, über den WM-Titel 2007 und seine Trainertätigkeit in Stuttgart. Aber auch über das schwierige Verhältnis zu seinem Vater.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Markus Baur hat sich an diesem herbstlichen Vormittag für eine ungewöhnliche Kombination entschieden. Mit Thermojacke und einem zweikugeligen Stracciatella-Eis in der Hand wartet der Trainer des Handball-Bundesligisten TVB Stuttgart am Marienplatz überpünktlich auf das, was auf ihn zukommt: das Zacke-Gespräch, für das er auch gleich eine Fahrplanänderung vorschlägt: „Mir wäre es lieber, zuerst von Degerloch runter zum Marienplatz zu fahren und über die Tiefpunkte zu sprechen. Dann hat man das gleich weg.“

 

Auf diese Idee lässt sich jetzt leider nicht mehr eingehen. Bitte einsteigen. Abfahrt. Los geht’s Richtung Degerloch und zu den Höhepunkten in der Karriere von Markus Baur. „Klar, die WM 2007“, sagt der 46-Jährige, der damals als Spielmacher und Kapitän das deutsche Team zum Titel lenkte. Zunächst habe es aber gar nicht nach dem großen Erfolg im eigenen Land ausgesehen. Sehr schleppend verlief die Vorrunde. „Und im Abschlusstraining vor dem ersten Hauptrundenspiel hat überhaupt nichts mehr geklappt“, erinnert sich Baur.

Doch dann besiegte das Team die Slowenen überraschend deutlich mit sechs Toren Differenz. „Das war der entscheidende Push, den wir gebraucht haben“, erzählt Markus Baur. Und lacht – über den damaligen Bundestrainer Heiner Brand, der seine Mannschaft für die K.-o.-Spiele in einem Hotel in der nordrhein-westfälischen Pampa nahe Gummersbach einquartiert hatte. Dort versprach er den Spielern viel Ruhe. „Als wir in Wiehl ankamen, waren allerdings schon unglaublich viele Fans auf dem Parkplatz und machten Party. Das war der Dauerzustand vor unserem Hotel“, sagt Baur. Geschadet hat die Euphorie aber nicht. Es folgte der Viertelfinalsieg über Spanien, das dramatische Halbfinale gegen Frankreich, das zweimal verlängert werden musste, und der große Triumph im Finale gegen Polen.

Allein schon die Busfahrt zum Endspielort Köln-Arena hat bleibenden Eindruck bei Markus Baur hinterlassen: „An der gesamten Strecke standen die Menschen Spalier, und an den Brücken waren Plakate aufgehängt.“

Markus Baur würde noch viel mehr zum WM-Sieg einfallen, doch sonst kommt womöglich Olympia zu kurz. „Die Spiele 2000 in Sydney waren vom ganzen Drum und Dran einmalig, auch wenn sportlich mehr drin gewesen ist als Platz fünf. Wir waren wahrscheinlich das beste Team des Turniers, haben dann aber blöd im Viertelfinale verloren.“ Vier Jahre später sprang dafür in Athen die Silbermedaille heraus.

Unaufgeregt, bescheiden, offen – typisch Handballer, eben

Kurz vor der Haltestelle Nägelestraße erhöht Markus Baur das Tempo, um bis zum Wendepunkte in Degerloch weitere Höhepunkte anzuschneiden. Dabei erwähnt er gar nicht, dass er auch zweimal zu Deutschlands Handballer des Jahres gewählt worden war. Scheint ihm nicht besonders wichtig zu sein.

Markus Baur präsentiert sich im Zacke-Gespräch unaufgeregt, bescheiden und offen. Das hat möglicherweise etwas mit der Sportart zu tun. Ähnlich unkompliziert verliefen schon die Zahnradbahn-Gespräche mit dem ehemaligen Bundestrainer Martin Heuberger und dem Nationalspieler Mimi Kraus. Der spielt jetzt unter dem Coach Markus Baur beim TVB Stuttgart. „Ich wurde früher auch von allen im Handball Mimmi genannt – weil ich aus Mimmenhausen stamme“, sagt Baur. Der Teilort von Salem im Bodensee-Hinterland ist weiterhin die Familienbasis, wo seine Frau mit dem jüngsten Sohn wohnt. Er selbst pendelt, hat in Stuttgart-Lederberg eine Wohnung, die Markus Baur mit der Tochter und dem älteren Sohn nutzt. Der spielt Fußball, in der U 14 des VfB Stuttgart, während die 18-jährige Tochter gerade zum Handball-Zweitligisten FSG Waiblingen-Korb gewechselt ist. Die sportliche Familie soll demnächst auch wieder zusammengeführt werden. Markus Baur würde es sich gerne in einem Häuschen im Remstal gemütlich machen.

„Die Geburten meiner Kinder waren die wahren Höhepunkte“, sagt Markus Baur, der allerdings einschränkend hinzufügt: „Ich war da aber keine große Hilfe. Einmal war ich bei der WM, das andere Mal bei einer EM. Bei der Geburt des älteren Sohnes kurz vor den Spielen in Athen konnte ich wenigstens dabei sein.“

Seit der WM 1999 kann Markus Baur sportlichen Erfolg und Misserfolg relativieren. Er war in Ägypten, als seine Frau Tochter Chiara per Notkaiserschnitt zur Welt brachte und beide in Lebensgefahr schwebten. Die Viertelfinalniederlage gegen Jugoslawien wurde so völlig nebensächlich.

Auf der Fahrt zurück zum Marienplatz spricht Markus Baur dann über den Tod seines Vaters im vergangenen Jahr. „Krebs, das ging ganz schnell.“

Manfred Baur erkannte als Handball-Trainer früh das große Talent seines Sohnes, der aber auch ein sehr guter Fußballer war. „Mein Vater hat das ganz geschickt gemacht, wenn es kalt war und geregnet hat, ließ er mich Fußball spielen, damit ich die Lust verliere.“

Es ist kein einfaches Vater-Sohn-Verhältnis im Hause Baur. Manfred Baur, der Betriebsratsvorsitzende bei Dornier in Friedrichshafen, ist ein großer Organisator und will die Karriere des Sohnes mit planen. Darüber kommt es zwischenzeitlich zum Bruch, nachdem Markus Baur sich für eine dritte Saison als Spieler des Zweitligisten Pfullingen entscheidet und deshalb zunächst das Angebot des Erstligisten Wallau-Massenheim ausschlägt. „Mein Vater war sauer auf mich und ich dann auf ihn.“ Ein Jahr später landete Markus Baur doch noch beim Bundesligisten in Frankfurt, wo er auch Sport studierte.

Die Verbindung zum Vater war gestört. Die wollte die Mutter wieder herstellen, als sie ihren Sohn telefonisch um drei Karten für sein letztes Spiel in Pfullingen bat. Zwei Freikarten für die Mutter und die Schwester ließ Markus zurücklegen – auch ein drittes Ticket für seinen Vater. Das war dann allerdings extra eine ganz normale Karte, die der Vater unbeeindruckt an der Kasse bezahlte. „Er hatte seine Ansichten, war überhaupt nicht emotional und hat immer geplant, für die Familie vorgesorgt. Ich glaube, das ist typisch für Leute, die im Krieg geboren wurden und während des Wiederaufbaus aufgewachsen sind“, sagt Baur, der sich selbst auch Schwächen auf emotionaler Ebene attestiert: „Das gleicht aber meine Frau zum Glück aus.“

Wenn einer nicht im Heute, sondern im Morgen lebt

Markus Baur beneidet Menschen, die Gefühle ganz offen zeigen und den Moment genießen können. So wie einige seiner Mitspieler, die nach großen Erfolgen sich am Hier und Jetzt berauschten. „Ich bin auch erst morgens ins Bett, dachte dabei aber auch schon an den Sponsorentermin ein paar Stunden später und daran, wie ich den einigermaßen über die Bühne bekomme.“ Das planerische Denken von Markus Baur fiel natürlich auch Heiner Brand auf, der seinem Kapitän schon früh eine Trainerkarriere empfahl. Zuvor spielte er aber noch in Niederwürzbach, Wetzlar, wurde 2003 mit Lemgo Meister, bevor er als Spielertrainer im schweizerischen Winterthur anheuerte.

2007 wurde Baur Trainer in Lemgo. Dort erlebte er die erste größere Enttäuschung im Job mit seiner Entlassung nach anderthalb Jahren, in denen er die Westfalen aus dem Mittelfeld zurück in die Spitze geführt hatte. Doch das war den Verantwortlichen zu wenig. Danach ging es über Lübbecke zu den Kadetten Schaffhausen, die er zu Schweizer Meistern machte. Nebenher trainierte Baur auch die deutsche Juniorennationalmannschaft. Im vergangenen Jahr landete er beim TVB Stuttgart, der sich mit ihm in der Bundesliga etablieren will. Zwischendurch wurde er auch als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Bundestrainers gehandelt.

Darüber redet Markus Baur im Café Kaiserbau, wo das Zahnradbahn-Gespräch traditionell endet. Und über sein Selbstverständnis als Trainer. „Ich halte es für das Wichtigste, dass die Spieler dahinter stehen, was sie tun.“ Ist für ihn Heiner Brand eine Orientierungshilfe? „Welchen Heiner Brand meinen Sie? Den frühen Disziplinfanatiker oder der späte, der seine Spieler in Entscheidungen eingebunden hat?“ Es ist dann wohl eher die mildere Heiner-Brand-Ausgabe, an der sich Markus Baur orientiert, der aber auch sagt: „Ein Trainer muss auf Disziplin achten und sich Respekt verschaffen.“ Dieser Satz hätte wohl auch von seinem Vater stammen können.