Im Zahnradbahngespräch erinnert sich der ehemalige Stürmer Ralf Vollmer an große Momente der Suttgarter Kickers wie das Pokalfinale. Sein persönlicher Höhepunkt ist aber, dass er den schwierigen Wechsel vom Fußballer ins normale Arbeitsleben geschafft hat.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Im Café Kaiserbau wird Ralf Vollmer am Ende des Zahnradbahn-Gesprächs mit dem Ende seiner Karriere konfrontiert. Zufälligerweise sitzt hier nämlich gerade auch Peter Zettler, der sich mit seinem Abi-Jahrgang 1966 des Karlsgymnasiums zum Jubiläumsfrühstück trifft. Der ehemalige Sportreporter der „Bild“- Zeitung hatte in seiner Funktion als Abteilungsleiter der Sportfreunde Stuttgart 2001 den damals 39-Jährigen Vollmer zu einem Comeback in der Kreisliga A überredet, um so den Abstieg zu verhindern. Was dann auch gelang. Es kommt zu keinem großen Hallo zwischen den alten Bekannten, eher zu einem kleinen freundlich-höflichen.

 

Ralf Vollmer neigt nicht zur ausladenden Kumpelmasche, wie sie unter Fußballern häufig Usus ist. Der ehemalige Profi der Stuttgarter Kickers ist im Auftreten dezent. Mehr der Mann aus der Versicherungsbranche, in der der 54-Jährige seit über 20 Jahren arbeitet, als der typische Fußball-Vertreter. „Dass ich den Wechsel vom Spieler ins normale Arbeitsleben geschafft habe, würde ich als einen meiner größten Erfolge bezeichnen.“ Das sagt Ralf Vollmer anderthalb Stunden zuvor, als er gerade in der Zahnradbahn Platz genommen hat und dem Gesprächs-Fahrplan folgend zunächst auf die Höhepunkte in seinem Leben zu sprechen kommt. Mit 32 beendete er seine Karriere bei den Kickers, die ihm eine Stelle beim damaligen Sponsor, der Stuttgarter Versicherung, vermittelt hatten. Nur so konnte es der damalige Präsident Axel-Dünnwald-Metzler schaffen, den Stürmer in Degerloch zu halten, den erst der Hamburger SV und dann Schalke 04 verpflichten wollte.

„Der Schritt ins Berufsleben war extrem hart“, sagt Ralf Vollmer, der von einigen Kollegen nicht mit offenen Armen empfangen wurde, weil er gleich auf eine „sehr ordentliche Position“ gesetzt wurde. Auf die hatten auch andere spekuliert.

„Als Fußballer hatte ich zweimal am Tag Training, machte also drei Stunden das, was ich beherrscht habe. In der Versicherung musste ich acht Stunden das tun, was ich noch nicht beherrschte, und viel lernen.“ Das sei knallhart gewesen, erinnert sich Vollmer, der jetzt für den Konzern HDI arbeitet. Er sei froh darüber, dass er sich auch in seiner zweiten Karriere durchgesetzt und die Skeptiker von sich überzeugt habe.

Als die Kickers in Berlin gefeiert wurden

Die Zahnradbahn nähert sich langsam Degerloch und Ralf Vollmer den Stuttgarter Kickers, die einst der sportliche Stolz dieses Stadtbezirk gewesen sind. Stolz ist Vollmer auch auf einiges, was er und die Kickers in elf gemeinsamen Jahren erreicht haben. „Das zentrale Ereignis war sicher das Pokalfinale 1987, auf diesen Tag in Berlin werde ich heute noch ständig angesprochen“, sagt er. 8000 Stuttgarter Fans begleiten den Zweitligisten damals zum Endspiel gegen den Hamburger SV. Und dann geht der Außenseiter auch noch durch den Treffer von Dirk Kurtenbach mit 1:0 in Führung, versäumt es aber nachzulegen. Am Ende gewinnt der HSV glücklich mit 3:1. Gefeiert wurden aber auch die Kickers.

Gestärkt gehen sie so unter dem Trainer Manfred Krafft in die neue Saison, die dann mit dem souveränen Aufstieg in die erste Liga endet. „Ein Höhepunkt“, sagt Ralf Vollmer, „doch der zweite Aufstieg hat für mich eine viel größere Bedeutung, weil er so unerwartet kam.“

Der Saison 1990/1991 wird bei den Kickers nämlich äußerst skeptisch entgegen geblickt. Rainer Zobel heißt der neue Trainer, der auch auf viele neue Spieler baut, unter ihnen Marcus Marin, Dimitrios Moutas und Juan Cayasso. Die wenigen Konstanten im Kickers-Team sind Ralf Vollmer und Wolfgang Wolf. Und die handeln vor der Saison lediglich eine Nichtabstiegsprämie aus, an etwas anderes denkt da noch niemand.

Völlig überraschend landen die Kickers in der Abschlusstabelle der zweiten Liga aber auf Platz drei und gehen so in die Relegation gegen den FC St. Pauli. Nach zwei Unentschieden muss eine Partie an neutralem Ort die Entscheidung bringen. Vor dem Spiel im Schalker Parkstadion beziehen die Kickers ein Trainingslager in Köln. „Von dieser Idee waren wir von Anfang nicht begeistert“, erzählt Vollmer. Auf der Fahrt ins Stadion gerät der Mannschaftsbus der Kickers dann auch noch in einen Nichts-geht-mehr-Stau: „Jetzt hatten wir extra in der Nähe eine Woche lang Quartier bezogen und bekamen trotzdem dieses Problem.“ Mit Hilfe der Polizei und aktiviertem Blaulicht kommen die Stuttgarter Kickers gerade noch 20 Minuten vor dem Anpfiff im Stadion an. „Wir hatten gar keine Zeit, uns gedanklich mit dem Spiel zu beschäftigen. Wir waren nicht mehr nervös. Wir fragten uns nur, ob das Spiel überhaupt stattfinden kann“, sagt Vollmer zur Psychologie dieser Partie. „Im Parkstadion gab es diese langen Rolltreppen, dort sahen uns die Pauli-Spieler kurz vor Spielbeginn noch nicht einmal umgezogen nach oben fahren. Die dachten sich, dass wir eine ganz abgezockte Truppe sein müssen – wenn man auf den allerletzen Drücker zu so einem Spiel anrückt.“

Aus der kalten Hose heraus gewinnen die Kickers locker 3:1 und steigen zum zweiten Mal in die erste Liga auf. „Ein großartiges Erlebnis“, sagt Ralf Vollmer am Zacke-Wendepunkt in Degerloch, der jetzt zu den Tiefpunkten in seiner Karriere kommen muss. Der direkte Bundesliga-Abstieg ist so ein Negativerlebnis, das Ralf Vollmer allerdings mit einem Kickers-Jubeltag in Verbindung bringt. Denn erst nach dem sensationellen 4:1-Sieg beim FC Bayern am 5. Oktober 1991 geht es bergab. „Wir sind danach aufs Oktoberfest, haben uns dort von den vielen 60er-Fans feiern lassen und viel getrunken. Das hat uns nicht gut getan.“

Der Sieg beim FC Bayern hat nicht gutgetan

Wichtige Heimspiele wurden danach im Neckarstadion verloren, erinnert sich Vollmer: „Wenn wir in Degerloch gespielt hätten, wären wir aber sicher nicht abgestiegen.“ Am Ende ist es ein Punkt, der den Kickers am 16. Mai 1992 fehlt. „Das war ein ganz bitterer Tag, der VfB feierte die Deutsche Meisterschaft, und uns erwischte es“, sagt der Mann, der in 337 Spielen für die Kickers 70 Tore geschossen hat. „Ich habe mich so versucht zu trösten: Dem VfB haben 200 000 zugejubelt, die anderen 400 000 Stuttgarter haben mit uns gelitten.“ Und alle zusammen dürften immer noch fassungslos darüber sein, dass der VfB mittlerweile in der zweiten und die Kickers in der vierten Liga spielen. Der Niedergang seines Clubs macht Ralf Vollmer zu schaffen: „Ich kann im Moment keine Spiele der Kickers mehr anschauen, die Niederlagen haben mich zuletzt noch drei Tage danach intensiv beschäftigt. Ich brauche im Moment eine emotionale Distanz zu diesem Verein.“

Trotzdem kommen ihm auch immer wieder Erinnerungen an seinen schlimmsten Abstieg in den Sinn, als die Kickers in Vollmers letzter Profisaison 1994 in die dritte Liga absteigen müssen. „Ich hätte mir ein anderes Karriereende gewünscht. Ich hatte zuvor aber schon das verloren, was für mich immer das Wichtigste beim Fußball war: Spaß und Leidenschaft.“

Dennoch ließ er sich in der Saison 1999/2000 dazu bewegen, erst die zweite Kickers-Mannschaft und dann auch noch die ebenfalls abstiegsgefährdeten Profis aushilfsweise als Trainer in der zweiten Liga zu übernehmen. Beide Teams retteten sich. In der Folge wurde Vollmer Sportvorstand bei den Kickers und unterbrach dafür seine Versicherungstätigkeit. Nach der Entlassung von Trainer Rainer Zobel zog er sich dann im Herbst 2001 endgültig aus dem professionellen Fußballgeschäft zurück, mit dem er heute nicht mehr besonders viel anfangen kann.

Lieber Zuschauer in Bad Wimpfen als bei Hoffenheim

„VIP-Logen und gläserne Spielertunnel sind nicht so mein Ding“, sagt Vollmer, der in Hardthausen im Unterland wohnt. Zu den Heimspielen der TSG Hoffenheim wäre es nicht weit, doch Vollmer fährt am Wochenende lieber mit den beiden Söhnen per Fahrrad zu Kreis-, oder Bezirksliga-Spielen – nach Bad Wimpfen zum Beispiel, wo er auch schon zwischenzeitlich als Trainer ausgeholfen hat. „Dort trinke ich ein Bier, esse eine Wurst und fühle mich wohl“, sagt Ralf Vollmer bei der Rückkehr am Marienplatz.

Im Café Kaiserbau trinkt er dann ein Mineralwasser und isst nichts. Dafür erzählt Ralf Vollmer noch eindrucksvoll von einem Tiefpunkt in seinem Leben. „Nach meiner Zeit als Kickers-Manager war ich kurze Zeit arbeitslos. Ich musste einen Kurs belegen, in dem den Teilnehmern erklärt wurde, dass man sich vor einem Bewerbungsgespräch rasieren und duschen sollte.“ Das sei dann schon eine ganz brutale Standortbestimmung gewesen, für einen, der selbst Versicherungsmakler coacht.

Bevor es für ihn wieder an die Arbeit geht, erzählt Ralf Vollmer noch von turbulenten Kickers-Zeiten, als zum Beispiel Manfred Krafft ein ganz anderes Verständnis von einer USA-Reise hatte als die Spieler. Der Trainer wollte unter der Sonne Floridas Kondition bolzen, während die Profis die Einladung des Präsidenten Axel Dünnwald-Metzler in der Winterpause als entspannendes Dankeschön für die Zweitliga-Tabellenführung interpretierten. Die Sichtweise der Spieler setzte sich zunächst zwar durch, sie mussten aber im anschließenden Trainingslager im Schwarzwald dafür büßen.

Ob er heute gerne Profi wäre, wird Vollmer noch gefragt. „Sicher nicht wegen des Geldes, sondern nur aus einem Grund: ich würde gerne unter einem modernen Trainer spielen. Bei uns drehte sich alles nur um Fitness, was spielerisch und taktisch passierte, war im Grunde nur Zufall.“ Kein Zufall ist dagegen, dass Ralf Vollmer zu den wenigen Ex-Profis gehört, die außerhalb des Fußballs Fuß gefasst haben.

Zum Abschluss bekommt Ralf Vollmer noch eine Geschichte erzählt – von seinem Gegenüber, der vor vielen Jahren als Zivildienstleistender in einem Degerlocher Altenheim den Fußballer schon einmal traf. Zusammen mit einer Heimbewohnerin, die ein großer Fußballfan war, wurde den Kickers ein Trainingsbesuch abgestattet. Auf dem Weg zum Trainingsplatz begrüßte Vollmer die ihm unbekannte Dame im Rollstuhl mit den Worten: „Schön, dass Sie hier sind, dann werden wir uns heute besonders anstrengen.“ Diese Begegnung hat Eindruck hinterlassen. Ralf Vollmer lächelt, als er die Episode hört, aber erinnern kann er sich nicht mehr an diese Begegnung.