Im Zahnradbahngespräch spricht Cacau über das Auf und Ab in seinem Leben.Der 34-Jährige erzählt von den Erfolgen beim VfB und in der Nationalmannschaft, aber auch über die schwierige Kindheit mit einem alkoholkranken Vater.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Die Vorbereitung auf ein Zahnradbahngespräch läuft ja fast immer nach demselben Muster ab. Man bereitet sich mit Hilfe von Zeitungsartikeln, Biografien oder Interneteinträgen so gut es geht auf den Interviewpartner vor und bittet zum Abschluss dann noch Kollegen, die zuletzt viel mit diesem prominenten Sportler zu tun hatten, um eine ganz persönliche Einschätzung zum nächsten Zacke-Fahrgast. Der VfB- und Nationalmannschafts-Reporter der StZ hat dann folgenden Ratschlag parat und kündigt ihn so an: „Achtung, ganz wichtig!“ Cacau erscheine grundsätzlich überpünktlich zu einem Termin, sagt der Kollege, und er erwarte das auch von anderen. „Wenn ihr euch um 9.30 Uhr verabredet habt, dann würde ich schon um 9.20 Uhr bereit stehen“, so der Fachmann.

 

Wer dann um 9.30 Uhr nicht am verabredeten Treffpunkt am Marienplatz bereit steht, ist: Claudemir Jerônimo Barreto, wie Cacau in der Original-Longversion heißt. Doch der Blick auf das Display des mal wieder versehentlich leise gestellten Handys ist so etwas wie die ganz schnelle Wiederherstellung eines guten Rufs. Cacau hat zwischen 9.24 Uhr und 9.28 Uhr gleich dreimal vergeblich angerufen. Um 9.32 Uhr lässt er es wieder klingeln und sagt: „Entschuldigung, ich stand eine halbe Stunde lang im Stau und komme drei Minuten zu spät.“ Und da biegt er auch schon um die Ecke – noch mit dem Handy am Ohr. Auf Cacau scheint wirklich Verlass zu ein.

In besonderem Deutsch und mit leiser Stimme

Und dann gehört der ehemalige Stürmer des VfB Stuttgart auch zu der Sorte Zahnradbahn-Mitfahrer, die sich ihrerseits auf das Gespräch vorbereitet haben. Beim 34-Jährigen setzt nicht das große Grübeln ein, wenn das Gespräch nach der Abfahrt direkt auf die Karrierehöhepunkte zusteuert. „Sportlich gibt es bei mir zwei herausragende Erlebnisse“, sagt Cacau. Zuvor erzählt er aber vom „größten Glücksfall“ in seinem Leben: „Das ist meine Frau Tamara, mit der ich drei Kinder habe.“ Schon als Jugendliche haben sie sich in ihrer brasilianischen Heimatstadt Mogi da Cruzes, die 40 Kilometer östlich von São Paulo liegt, kennengelernt. Und dann sagt Cacau etwas ziemlich Nettes. „Ich finde meine Frau heute noch hübscher als am Anfang unserer Beziehung und wertschätze sie immer mehr.“ In diesem Satz steckt sehr viel Cacau. Er sagt ihn so ganz nebenbei – mit seiner leisen, ruhigen Stimme und in diesem besonderen Deutsch. Wertschätzen, um dieses schöne Wort mal wieder zu hören, muss man sich mit einem Brasilianer unterhalten, der als ganz junger Mann sein Glück in Deutschland gesucht und tatsächlich gefunden hat. Und dann sagt er, dass sein Weg von Gott vorbestimmt gewesen sei. Cacau spricht nur kurz über seinen tiefen Glauben. Dabei ist es sehr wohltuend, dass bei ihm so überhaupt kein missionarischer Eifer mitschwingt.

Jetzt soll es aber auch mal um den Sport gehen, findet Cacau und spricht zwei Höhepunkte in seiner Karriere an. Er beginnt mit der Deutschen Meisterschaft des VfB im Jahr 2007. Cacau lacht. „Dieser Titel war wirklich überraschend und deshalb auch so schön“ , sagt er und erzählt zur Verdeutlichung, wie er sich vor dieser Stuttgarter Traumsaison mit dem Teamkollegen Fernando Meira unterhalten hat. „Wir hatten gerade ein Testspiel in Augsburg 0:3 verloren und waren uns absolut sicher, dass es in dieser Runde gegen den Abstieg gehen würde.“ Bestätigt fühlen sie sich auch vom Saisonstart in der Bundesliga, der gegen den 1. FC Nürnberg ebenfalls mit 0:3 verloren geht. Doch am Ende der Saison ist der VfB tatsächlich Meister, mit der tatkräftigen Unterstützung von Cacau, der 13 Bundesliga-Tore zum Titel beiträgt. „Nur eine Woche später verlieren wir das Pokalfinale gegen Nürnberg“, sagt Cacau, der in Berlin auch noch vom Platz gestellt wird: „Da sieht man ganz deutlich, wie nahe im Fußball Hochs und Tiefs beisammen liegen. Aber zu den Tiefpunkten kommen wir ja eigentlich erst später, oder?“ Stimmt.

Die Gefühlsexplosion in Südafrika

Vorher springen wir erst noch ins Jahr 2010, Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika. Die deutsche Nationalmannschaft, die am Ende Dritter wird, trifft in ihrem ersten Spiel in Durban auf Australien. In der zweiten Halbzeit kommt Cacau ins Spiel und trifft zum 4:0. So weit die trockenen Fakten zu einem Tor, das Cacau mit ganz viel Emotionen verbindet.

Eineinhalb Jahre zuvor hat Cacau neben der brasilianischen Staatsangehörigkeit die deutsche angenommen. „Da dachte ich überhaupt nicht an die DFB-Auswahl“, sagt Cacau, der mit diesem Schritt zum Ausdruck bringen wollte, dass er sich nicht nur Brasilien, sondern auch Deutschland ganz eng verbunden fühlt. Und dann dieses Tor. „Ich muss mich zwingen, es nicht ständig auf Video anzuschauen. Sonst verliert es womöglich die große Bedeutung für mich“, sagt Cacau, der die Szene sowieso in allen Einzelheiten in seinem Kopf abgespeichert hat – wie Mesut Özil sprintet, den Ball hereingibt und er selbst mit der ersten Ballberührung den Treffer erzielt. „Es war eine Explosion der Freude“, erzählt Cacau, „an den ganzen Weg, auf dem ich hierher gekommen bin, habe ich in diesem unglaublichen Moment gedacht.“

Erste Station in Deutschland: Türkgücü

Als 19-Jähriger hat sich der aus einfachen Verhältnissen stammende Cacau nach Deutschland aufgemacht. „Ich war ein guter Jugendfußballer, aber es gab bei uns bessere““, sagt er. Cacau landet in München. Einen Anzug hat er sich für die lange Reise angezogen, weil ihm gesagt wurde, dass brasilianische Fußballer bei der Ankunft in Europa noch im Flughafen eine Pressekonferenz geben müssten. Auf ihn warten allerdings keine Journalisten, es kennt ihn 1999 in Deutschland ja auch niemand. Er ist einer von unzähligen namenlosen jungen brasilianischen Kickern, die sich Jahr für Jahr nach Europa aufmachen, um dort einen Profivertrag zu ergattern.

Erste Station in Deutschland: Türkgücü

Über Kontakte in Brasilien kommt er zu seinem in München lebenden, mittlerweile ehemaligen Berater Osmar de Oliveira. Der vermittelt ihn zum Fünftligisten Türkgücü München. Der Landsmann organisiert in Deutschland Samba-Veranstaltungen und berät jetzt eben auch noch einen jungen Fußballer, von dem nicht klar ist, ob er überhaupt das Zeug zum Profi hat. Cacau arbeitet nebenbei als Kulissenschieber im Sambabetrieb.

Cacau kämpft sich durch – zunächst einmal durch den kalten deutschen Winter, dem er auf Anraten seiner Mutter so begegnet: „Wenn es bei Spielen sehr kalt war, habe ich mir Pfeffer in die Stutzen gestreut, um warme Füße zu bekommen“, erzählt Cacau lachend, der mit dieser Methode auch später beim VfB für sehr viel Furore in der Kabine sorgen wird.

2003 landet Cacau nach der Zwischenstation Nürnberg in Stuttgart, wo er seinen ersten Profivertrag unterschreibt und elf Jahre lang spielt. Auch heute noch wohnt er in Korb. Nach seinem Engagement in Japan hält er sich gerade bei der zweiten VfB-Mannschaft fit für die nächste Aufgabe im Profifußball. Denn aufhören will Cacau jetzt noch nicht.

Das schwierige Verhältnis zum Vater

Die Zahnradbahn hat vom Berg- in den Tal-Modus umgeschaltet, und Cacau weiß, was das bedeutet: „Oje, die Tiefpunkte kommen.“ Die Probleme lassen sich in Cacaus Kindheit verorten, die in seiner Biografie „Immer den Blick nach oben“ sehr eindrucksvoll beschrieben werden. Es geht erst um das Leben mit einem alkoholabhängigen Vater. Später, nachdem sich die Mutter von ihrem Mann getrennt hatte, darum, wie es ist, mit einer alleinerziehenden Mutter, zwei Brüdern und ganz wenig Geld aufzuwachsen. „Ich bin meiner Mutter für alles dankbar, sie musste als Putzfrau und Hausangestellte sehr viel arbeiten, um uns zu ernähren. Sie hat uns trotzdem gut erzogen und die Familie zusammengehalten“, sagt Cacau und erzählt auch wie seine Mutter die Söhne vor dem Vater und seinen schlimmen Wutausbrüchen geschützt hat.

Der Umgang mit seinem Vater gehört zu den ganz schwierigen Entscheidungen in Cacaus Leben: „Ich habe mich gefragt: lass’ ich ihn fallen, oder unterstütze ich ihn?“ Er hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden, dem Vater und seiner neuen Familie einen kleinen Bauernhof gekauft, den Kontakt nie abreißen lassen. „Vor kurzem hat er aufgehört zu trinken“, erzählt Cacau und davon, wie sehr er sich als Kind gewünscht hatte, dass sein Vater ihm einmal beim Fußball zuschauen würde. Stattdessen hat er immer wieder seinem Vater zugeschaut – wie der mit der Flasche in der Hand torkelnd nach Hause gekommen ist, wie er die Familie fast zugrunde gerichtet hat. Auch daran hat Cacau gedacht, als er dieses für ihn so wunderbare Tor in Südafrika geschossen hat.