Moderne Computertechnik ermöglicht neue Hörerlebnisse im Publikum – auch bei lauten Rockkonzerten. Im Stuttgarter Club Zapata wird eine solche Anlage eingesetzt und 3-D-Sound simuliert.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Als die Beatles 1963 ihren Hit „She loves you“ im Kasten hatten, wurde dieser in Mono abgemischt und das Originalband gelöscht. Später erschien der Song in einem Pseudostereomix, der damals neu klang und der heutigen Hörerschaft höchstens ein nostalgisches Lächeln abringt, weil die Frequenzen einfach auf den linken oder rechten Kanal aufgeteilt wurden. Die Technik, Audioaufnahmen in Stereo abzumischen, ist seit „She loves you“ deutlich verfeinert worden. Surroundsysteme verteilen sogar mehrere Lautsprecher im Raum, um im Kinosaal oder bei Heimkinosystemen einen räumlichen Klangeindruck zu erzeugen.

 

Doch sowohl der Stereoklang als auch aktuelle Surroundsysteme haben einen wichtigen Nachteil: Wer nicht exakt zwischen den – oft ohnehin nicht perfekt ausgerichteten – Boxen sitzt, für den ergibt sich ein Hörerlebnis, das eher nach den ersten Beatles-Platten klingt als nach 3-D.

Technisch geht im Jahr 2012 schon viel mehr, wie im Stuttgarter Club Zapata zu hören ist. Dessen Chef Javier Arévalo hat im Frühjahr den großen Wurf gewagt und eine 300.000 Euro teure Anlage einbauen lassen. Mit 27 rund um den Zuschauerraum angebrachten Lautsprechern und einer entsprechenden Steuerungselektronik sind die Töne nicht mehr wie bei herkömmlichen Stereosystemen nur links oder rechts lokalisiert – sondern auch oben oder unten, vorne oder hinten. Die Schallquellen können überall im Raum und sogar außerhalb des Raums positioniert werden, und sie behalten ihren Standort, auch wenn sich der Hörer durch den Raum bewegt. Bei traditioneller Stereobeschallung, wie man sie in den meisten Clubs findet, ist der Klang nur dann optimal, wenn man in der Mitte und im ausreichenden Abstand vor den Lautsprechern steht.

Prinzip der Wellenfeldsynthese

Der Rundumklang orientiert sich am physikalischen Prinzip der Wellenfeldsynthese. Die Grundüberlegung dahinter ist, dass sich jede Schallwelle aus vielen Elementarwellen zusammensetzt. Indem man die Elementarwellen geschickt zusammenführt, lassen sich Schallwellen nach Wunsch konstruieren (siehe Infokasten). Ein Computer zerlegt zu diesem Zweck die Tonsignale in Elementarwellen und steuert jeden Lautsprecher individuell an, damit sich für jeden Hörer an jedem Punkt im Raum aus allen Elementarwellen zusammen derselbe Klangeindruck ergibt.

Neu ist der simulierte Raumklang nicht: Er wurde schon Ende der 80er Jahre an der Technischen Universität Delft (Niederlande) erfunden. Doch er hat sich seither trotz mancher Versuche – etwa auf der Bregenzer Seebühne und in der Oper von Sydney – noch nicht als Standard etablieren können.

Für den physikalisch perfekten Raumklang, also eine „echte“ Wellenfeldsynthese, bräuchte das System unendlich viele Lautsprecher. In einem Hörsaal der Technischen Universität Berlin hat man versucht, sich diesem Ideal anzunähern: Dort sind mehr als 2000 Lautsprecher auf Höhe der Zuhörerreihe platziert. So kann das menschliche Gehör die Schallquellen besonders gut verorten. Die Berliner Anlage kann 42 Schallquellen frei im Raum positionieren. Für dieses weltweit größte Wellenfeldsynthese-Klangsystem gibt es sogar eigens angepasste Kompositionen.

Für den Veranstaltungsalltag ist selbst diese vergleichsweise pragmatische Lösung nicht geeignet. Im Zapata in Stuttgart setzt man deshalb auf Rechenleistung. Der Computer, der die Verteilung der Schallquellen im Raum berechnet, ist nicht einmal koffergroß. „In der Prototypenphase waren noch schrankgroße Rechner nötig“, erzählt eine Sprecherin des Herstellers Iosono. Die Firma ist eine Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie in Ilmenau, das bereits seit vielen Jahren an der Wellenfeldsynthese forscht. Heute sind die Chips leistungsfähige, günstiger und kompakter. Der Rechner kennt die Maße des Raumes und die Verteilung der Lautsprecher. Im Zapata werden 27 Boxen angesteuert; das System könnte bis zu 500 Lautsprecher bedienen.

Der Sound klinge fast wie eine Beschallung mit einer „echten“ Wellenfeldsynthese, versichert Ralf Zuleeg. Der Tontechniker hat die Anlage in dem Club installiert und zeigt, wie sie technisch funktioniert: Die Tonsignale laufen in eine Steuerungskonsole ein. Auf einem großen Bildschirm lassen sich die Klangquellen – also beispielsweise Gitarre, Schlagzeug und Gesang – im Raum positionieren, indem man sie auf dem Monitor an die gewünschte Stelle zieht. Das geht für Livebands wie auch für das Abspielen einer Aufnahme. Der Computer berechnet dann die Schallwellen für die 27 Boxen.

Verbesserung bei gewöhnlichen Rockkonzerten

Die Einsatzmöglichkeiten, schwärmt Zuleeg, seien fast unbegrenzt. Schon bei gewöhnlichen Rockkonzerten bringe es für die Zuschauer eine große Verbesserung, wenn der Klang nicht aus zwei Boxentürmen links und rechts der Bühne komme, denn dann würden nur die Zuhörer in der Mitte vor der Bühne – im sogenannten „Sweet Spot“ (lieblicher Punkt) – ein realistisches Klangbild erleben.

Aber auch dort können die Zuhörer dem Sänger nicht „folgen“, wenn er in den Zuschauerraum tritt. Sie hören ihn immer noch so, als würde er auf der Bühne stehen. Mit der Wellenfeldsynthese lässt sich der Sänger als Schallquelle jedoch beliebig im Raum verschieben. Auch für DJs, erläutert Zuleeg, biete der Rundumklang ganz neue Möglichkeiten: So sei es möglich, ein Gitarrensolo quer über die Tanzfläche zu jagen.

„Wir stehen erst ganz am Anfang“, sagt der Tontechniker. Das jedoch nicht nur, weil die Technik in Veranstaltungsräumen relativ neu ist und viele DJs oder Tontechniker Respekt davor haben. „Die Bedienung muss einfacher werden“, sagt Zuleeg. Im Zapata müssen DJs mit der rechten Hand auf einem großen Bildschirm die Schallquellen im Raum verteilen und mit der linken Platten auflegen und Songs mischen. In einem nächsten Schritt müsse daher das Mischpult in die Steuerungskonsole integriert werden, sagt Zuleeg.

Und dann braucht das Kind noch einen Namen: „3-D-Sound trifft es nicht und ist zu abstrakt“, meint der Tontechniker. Ihm gefällt der Begriff „Holofonie“ am besten, weil ähnlich wie bei einem Hologramm ein räumlicher Effekt simuliert wird. Auf dass der 3-D-Welle im Kino nun eine in den Musikclubs und Discotheken folgt.