In der Reihe „37 Grad“ zeigt das ZDF an diesem Dienstag die Reportage „Rettung in letzter Sekunde“: Ein junger Berliner bewahrt vor der libyschen Küste Flüchtlinge vor dem sicheren Tod. Eine drängende Frage lässt der Film allerdings offen.

Stuttgart - Humanität hinterfragt nichts, Nächstenliebe ist eine Herzens- und keine Kopfsache. Die ZDF-Reihe „37 Grad“ funktioniert ganz ähnlich und zielt ebenfalls eher aufs Herz. Gemessen daran ist die an diesem Dienstag laufende Reportage „Rettung in letzter Sekunde“ über den selbstlosen Einsatz junger Europäer, die vor der libyschen Küste Flüchtlinge vor dem sicheren Tod bewahren, fast schon zurückhaltend.

 

Die Autorin Nathalie Suthor hat den sechsundzwanzigjährigen Titus zwei Wochen bei seiner Mission begleitet. Ihr Film vermittelt, was in den Nachrichten nur noch eine Randnotiz ist. Ihre Bilder zeigen völlig erschöpfte Menschen, darunter viele Kinder, die zum Teil über dreißig Stunden in seeuntauglichen Booten ohne Nahrung und Wasser unterwegs waren. Und sie beschreibt die Ohnmacht und Niedergeschlagenheit der Helfer, die sich nur kurz über eine gelungene Rettungsaktion freuen können, weil sie wissen, dass sie vielen anderen nicht beistehen konnten. Gleich zu Beginn findet die Besatzung nach einem Notruf nur noch Überreste eines Schlauchboots, in dem sich 120 Menschen befunden haben.

Im Unterschied zu den sonstigen Beiträgen der Reihe kommt der Protagonist allerdings überraschend kurz. Suthor und ihr Team haben Titus zwar daheim besucht und zeigen ihn zusammen mit den sympathischen Eltern, die ihren Sohn mit gemischten Gefühlen verabschieden, und natürlich darf der junge Mann auch über seine Motive sprechen. Fortan ist er jedoch nur noch ein Reisebegleiter, der die Ereignisse kommentiert. Der Untertitel des Films lautet zwar „Titus’ gefährliche Mission“, doch Titus ist bloß Mittel zum Zweck. Die Reportage wirkt, als sei sie notdürftig den Gegebenheiten des Sendeplatzes angepasst worden.

Die Helfer werden von italienischen Carabinieri verhört

Aus Zuschauersicht ist das nicht weiter relevant, zumal der junge Berliner ein interessanter Typ ist. Außerdem liefern die verschiedenen Rettungsaktionen packende Bilder. Und schließlich streut die Autorin in Form von Zahlen und Fakten noch diverse Zusatzinformationen ein, was ihren Film ebenfalls positiv von den üblichen Gewohnheiten der Reihe abhebt. Ausgerechnet in einem Punkt, der konkrete Konsequenzen hat, bleibt sie allerdings vage: Plötzlich bekommen Titus und seine Mitstreiter von der Seenotrettungsleitstelle den Befehl, die Aktion unverzüglich abzubrechen, obwohl gleich mehrere akute Notrufe eingegangen sind. Stattdessen sollen sie sich in Lampedusa einer Vernehmung durch die italienischen Carabinieri unterziehen. Der Verdacht ist aus Sicht der Betroffenen ungeheuerlich: Angeblich soll die Crew mit Schleppern zusammenarbeiten. Titus ist empört: In den sozialen Netzwerken müssten sie sich ständig von Nazis anfeinden lassen – und nun ermittele auch noch die Staatsanwaltschaft gegen sie!

Leider geht Suthor der Frage, wie es zu dieser Anschuldigung kommen konnte, nicht nach. Die Vorwürfe, heißt es, „erweisen sich als haltlos“, aber jeder Hintergrund, etwa die Frage, wer ein Interesse daran haben könnte, die Rettungsmissionen in Verruf zu bringen, bleibt ausgespart. Natürlich ist das einerseits nicht Thema des Films, aber andererseits ist der Vorfall auch weit mehr als bloß eine Randnotiz.

Womöglich wollte die Autorin vermeiden, sich auf dünnes Eis zu begeben, denn die Zusammenhänge sind in der Tat zynisch: Ausgerechnet die Nächstenliebe von Titus und all den anderen jungen Leuten aus ganz Europa spielt den Schleppern in die Hände. Ohne die Hoffnung, von den Mitgliedern einer Organisation wie „Jugend Rettet“ aus dem Wasser gezogen zu werden, würde sich vermutlich mancher Flüchtling gar nicht erst auf den Weg nach Europa machen. Die Menschlichkeit verbietet es, diesen Gedanken zu Ende zu denken, doch mit Titus hätte Suthor unbedingt darüber sprechen müssen, schließlich deutet er mehrfach an, dass er sein Tun durchaus kritisch hinterfragt.

Schweigsame Momente sind rar

Aber „Rettung in letzter Sekunde“ soll offenkundig vor allem eine Verbeugung vor der Selbstlosigkeit der jungen Helfer sein. In der Tat ist ihre Arbeit aller Ehren wert, weshalb jeder Zweifel am Sinn ihres Engagements beschämend wäre. Den Film allerdings schützt dies nicht vor Kritik: Wie fast immer bei „37 Grad“ verkündet der wortreiche Kommentar viel zu oft, was jeder Zuschauer selber sieht („Die Dämmerung bricht ein“) – entsprechend rar sind die wenigen schweigsamen Momente, in denen sich die Bilder entfalten können. Immerhin kommt Suthor ohne die bei solchen Themen gern in den Blick genommenen Tränen aus, aber das liegt nicht an ihr: Am Ende tauchen die Eltern wieder auf. Sie führen ein Videogespräch mit Titus. Der Kameramann geht vorsorglich schon mal in eine Nahaufnahme des Gesichts der Mutter, doch die tut ihm den Gefallen nicht und hält ihre Tränen der Erleichterung zurück.