Als vor 10 Jahren das Elterngeld eingeführt wurde, war damit die Hoffnung auf eine steigende Geburtenrate verbunden. Sie hat sich nicht erfüllt. Doch die staatliche Familienleistung hat dazu beigetragen, das überkommene Bild von Elternschaft zu modernisieren.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Stuttgart - Wie sensibel das Thema Elterngeld sein kann, konnte kürzlich die Autorin Kerstin Lottritz erfahren. In der Süddeutschen Zeitung hatte sie ihre Beobachtung geschildert, dass Gutverdienerpaare das Elterngeld „missbrauchen“, um im ersten Lebensjahr ihres Kindes gemeinsam „Urlaub auf Staatskosten“ zu machen. Das aber, kommentierte Lottritz, sei „unverschämt“ und gehe an den eigentlichen Zielen des Elterngelds vorbei.

 

Zwei Stunden lang musste die Autorin daraufhin in einem Live-Chat mit überwiegend wütenden Leserinnen und Lesern diskutieren, die sich durch ihre Thesen wahlweise beleidigt, bevormundet, missverstanden – aber manchmal vielleicht auch ertappt fühlten. Der Fall zeigt: Die Sinnhaftigkeit des Elterngeldes ist umstritten. Und zehn Jahre nach seiner Einführung sollte man die Frage stellen, was diese staatliche Familienförderung tatsächlich gebracht hat.

Als der Deutsche Bundestag 2006 beschloss, Elterngeld zu zahlen, war das eine kleine Sensation. Immerhin ließ der Staat damit Eltern – nach skandinavischem Vorbild – eine nie dagewesene finanzielle Unterstützung zum Start ins Familienleben zukommen, die die öffentliche Hand derzeit jährlich rund 5,8 Milliarden Euro kostet. Zum Vergleich: Für das zuvor ausgezahlte Erziehungsgeld wurde gerade mal etwa die Hälfte der Summe aufgewendet.

Paradigmenwechsel in der Familienpolitik

Seit dem 1. Januar 2007 erhalten Eltern, die sich im ersten Lebensjahr zuhause um ihr Kind kümmern, rund 67 Prozent ihres letzten Nettolohnes, mindestens 300, maximal 1800 Euro. Entschließen sich beide Elternteile, eine Zeit lang zuhause zu bleiben, verlängert sich der Zeitraum, in dem das Geld fließt, auf 14 Monate. Mittlerweile ist es außerdem möglich, das Elterngeld auf 24 Monate gestreckt zu beziehen, wenn Mutter oder Vater bereits wieder Teilzeit arbeiten gehen wollen – Elterngeld plus genannt.

Die Entscheidung der schwarz-roten Koalition war damals kein uneigennütziges Geschenk an die Bürger, sondern Teil eines von der demografischen Entwicklung vorangetriebene Paradigmenwechsels in der Familienpolitik. Gerade mal 1,36 Kinder pro Frau betrug die Geburtenrate im Jahr 2006, Deutschland drohte der Nachwuchs an Steuer- und Rentenzahlern auszugehen. Mit der Einführung der großzügigen Transferleistung verfolgte nicht nur die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) deshalb klare Ziele: Junge Familien sollten gut versorgt sein, mehr Väter Elternzeit nehmen und Frauen wieder schneller und auch besser in den Beruf einsteigen können. Das alles sollte Elternschaft für junge Männer und Frauen wieder attraktiv machen.

Dabei lag Bundeskanzlerin Merkel vor allem eine Zielgruppe am Herzen: Akademikerinnen, die der damaligen Forschung nach überproportional häufig kinderlos blieben. Eine Studie der Universität Oldenburg ergab 2006, dass 44 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss keine Kinder bekamen. Das traf hingegen nur auf 21 Prozent der Frauen mit Hauptschulabschluss zu.

Wurde aus den Hoffnungen Wirklichkeit?

Zehn Jahre später haben sich einige der ursprünglichen Ziele eingelöst: Tatsächlich entspannt das Elterngeld die finanzielle Situation von Familien in der ersten Zeit nach der Geburt. Den Zahlen des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) zufolge läge ohne Elterngeld „die Armutsrisikoquote von Familien mit Neugeborenen um rund zehn Prozentpunkte höher“. Kritikern ist das nicht genug. Sie monieren, dass Menschen mit geringem Haushaltseinkommen kaum vom Elterngeld profitierten, während sich Gutverdiener ein besonders entspanntes erstes Jahr gönnen. Allerdings ist das Elterngeld bislang auch nicht als Umverteilungsinstrument konzipiert. Um das zu ändern, müsste man es vom Einkommen unabhängig machen, zum Beispiel einen höheren Sockelbetrag für jedermann einführen.

Auch die Hoffnung, dass mehr Väter für die Betreuung der Kinder in den ersten Lebensmonaten eine Auszeit nehmen, wurde erfüllt. Jeder dritte Vater bleibt mittlerweile eine Zeit lang zuhause, 2006 taten das nur vier Prozent. Allerdings beträgt die durchschnittliche Auszeit der Väter nur 3,1 Monate. Außerdem nehmen viele Männer ihre Vätermonate nicht im Anschluss an die Mutter, sondern parallel zu ihr, wodurch die eigentliche Idee, nämlich der Frau den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern, konterkariert wird.

Väter verbringen mehr Zeit mit ihren Babys

Dennoch: Die gemeinsam von Vätern und Babys verbrachte Zeit verändert offenbar etwas in den Familien. In einer Befragung des BMFSFJ sagte eine Mehrheit der Väter, die Elterngeld bezogen, „dass Familie und Beruf danach in einem besseren Gleichgewicht zueinander stehen. Väter, die nach einer Elternzeit wieder in den Beruf zurückkehren, verbringen im Durchschnitt eine Stunde mehr pro Tag mit ihren Kindern als vor der Elternzeit“, schreibt das Ministerium in einer Bilanz zu zehn Jahren Elterngeld.

Eine Entwicklung, die nicht nur die Frauen entlastet, sondern auch für die Kinder gut ist. So haben Studien gezeigt, dass es positive Effekte hat auf die Entwicklung des Intellekts und des Gedächtnisses. Außerdem entwickeln die Kinder bessere Problemlösungsstrategien, profitieren im Bereich der sprachlichen Entwicklung, bei den Schulleistungen und der Empathiefähigkeit, wenn Väter sich aktiv an der Pflege und Erziehung beteiligen.

Trotz dieser Schritte in die richtige Richtung hat der Geldsegen das übergeordnete Ziel, die Steigerung der Geburtenrate, nicht nachweislich erreicht. Zwar liegt diese derzeit tatsächlich höher als vor seiner Einführung – zuletzt bei 1,5 Kindern pro Frau – doch dafür nennen Demografen andere Gründe. Etwa, dass vor allem die Geburtenrate in Familien mit ausländischer Staatsangehörigkeit steigt. Oder dass die zahlreichen Kinder der Babyboomer, also der geburtenstarken Jahrgänge, mittlerweile in einem Alter sind, in dem Frauen hierzulande üblicherweise Kinder bekommen. Entsprechend wenig optimistisch ist deshalb die Prognose der Statistiker: Ab 2020 schrumpfe die Zahl der Frauen im Alter zwischen 26 und 35 wieder, dadurch könnte ein neues Geburtentief entstehen, warnt das Statistische Bundesamt. Um diesen Trend ernsthaft zu stoppen, sehen Forscher eine vermehrte Zuwanderung als einziges probates Mittel.

Perspektiven und Prioritäten

Eine Entwicklung gibt es allerdings, die nicht nur Angela Merkel freuen dürfte: Unter Akademikerinnen über 30, jener Zielgruppe, die die Kanzlerin einst für das Elterngeld ausgemacht hat, ist die Geburtenrate zumindest minimal angestiegen. Das legen die Zahlen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung nahe. Soziologen beobachten gar in der gehobenen Mittel- bis Oberschicht einen Trend zum Dritt-Kind als eine Art Statussymbol. Insgesamt herrsche ein besseres Klima fürs Kinderkriegen, so die Analyse. Aber woran liegt der Klimawandel? An den 25 200 Euro, die Gutverdiener maximal durch das Elterngeld bekommen, wohl kaum, wenn man bedenkt, dass ein Kind seine Eltern bis zum 18. Geburtstag laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich rund 130 000 Euro kostet.

Kulturwissenschaftler und Trendforscher sehen das vermehrte Ja zum Kind auch als Ausdruck einer gewissen neuen Bürgerlichkeit, eines Rückzugs ins Private (Cocooning genannt) – in unsicheren, krisengeprägten, globalisierten Zeiten. Die Familie als Bollwerk gegen den Unbill der Welt. Familienforscher hingegen sind sich einig, dass die Entscheidung für oder gegen ein Kind vor allem in Akademikerkreisen das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Rechnung ist, eines „Abwägungsprozesses der Vor- und Nachteile im Hinblick auf die eigenen Lebensziele, Perspektiven und Prioritäten“, wie etwa der emeritierte Oldenburger Familienforscher Wolf-Dieter Scholz schreibt. Faktoren in dieser Rechnung seien unter anderem die Bedeutung von Kindern für das eigene emotionale Lebensgefühl, aber auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. „Insbesondere für gut ausgebildete junge Frauen wird es zu einer entscheidenden Frage, ob und unter welchen Bedingungen sie Beruf und Familie miteinander so vereinbaren können, dass die beruflichen Ambitionen nicht hinter die Familienverpflichtungen zurück treten“, schrieb Scholz bereits 2007.

Mehr Betreuungsplätze für die Kleinsten

Und tatsächlich hat sich in diesem Bereich geradezu Erstaunliches in Deutschland getan. Das Elterngeld war nur Teil eines familienpolitischen Maßnahmenbündels der schwarz-roten Koalition, zeitgleich beschloss der Bundestag den massiven Ausbau der Kleinkindbetreuung im Land. 2003 gab es in Westdeutschland gerade mal für zwei Prozent der Unter-drei-Jährigen einen Betreuungsplatz (im Osten für 16 Prozent). Kinder zu bekommen bedeutete für die allermeisten Frauen und sehr wenige Männer, drei Jahre lang unbezahlt zu Hause zu bleiben und dabei den Anschluss ans Berufsleben zu verpassen – oder sich mit einem komplizierten Betreuungspuzzle aus Tagesmüttern, Großeltern und teuren privaten Krippen notdürftig zu behelfen.

Gerade einmal zehn Jahre später stellt sich die Situation ganz anders dar: 2016 ging jedes dritte Kind unter drei Jahren in eine Betreuungseinrichtung. Gleichzeitig war etwa jede zweite Frau mit einem Kind im Alter zwischen einem und zwei Jahren – zumindest in Teilzeit – wieder berufstätig. Dass sich mehr Akademikerinnen heute für Kinder entscheiden, hat also sicherlich damit zu tun, dass sie sich – auch wenn das Angebot an Betreuungsmöglichkeiten längst noch nicht ausreichend, vielseitig und flexibel genug ist – nicht mehr zwischen Kind und Beruf entscheiden müssen, sondern beides kombinieren können. Und Frauen müssen sich dafür nicht mehr so häufig schief anschauen lassen.

Was muss sich noch tun?

Denn auch in den Köpfen hat ein Klimawandel stattgefunden: Dass Mütter schnell wieder an den Schreibtisch zurück kehren wollen und können, ist – auch für die Arbeitgeber – fast schon Normalität geworden. Natürlich gibt es auch die andere Seite: Es gibt die Großmütter, (männlichen) Kollegen oder auch gleichaltrigen Mütter, die Frauen unaufgefordert erklären, für sie wäre es auf keinen Fall in Frage gekommen, ihr Kind mit einem Jahr von „fremden Menschen“ betreuen zu lassen. Es gibt die Diskussion unter Fachleuten, wie lange ein Kind optimalerweise nur von den Eltern betreut wird. Und es gibt die Arbeitgeber, die Frauen den Wiedereinstieg schwer machen, sie in Teilzeit ohne Aufstockungsmöglichkeiten aufs karrieretechnische Abstellgleis stellen. Aber allein die Entscheidungsfreiheit zu haben, wieder arbeiten zu können, nimmt Druck von jungen Eltern.

Flexible Arbeitszeitmodelle

Wer will, dass das Ja zum Kind noch lauter wird, der muss also weiter in den Ausbau guter Kindertagesbetreuung investieren, der muss Ganztagsschulen und Hortplätze schaffen und diese Angebote kostenlos für alle machen. Und der muss es Eltern ermöglichen, flexible Arbeitszeitmodelle zu wählen, wie es derzeit die Familienministerin Manuela Schwesig plant.

Die Sicht auf Mutter- und Vaterschaft in Deutschland ändert sich fortlaufend. Dass das überkommene, noch aus der Nazizeit stammende Familienbild mit klarer Rollenverteilung abgelöst wird, und über die Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen gleichermaßen diskutiert wird, hat durchaus mit den familienpolitischen Instrumenten zu tun, die vor zehn Jahren beschlossen wurden. Es ist eine langsame Entwicklung hin zu pluralen Familienmodellen, die einer hochgradig individualisierten Gesellschaft angemessen sind und die auf längere Sicht sogar zu mehr Kindern führen könnten. Wenn in diesem Prozess auch mal ein etwas absurd anmutender Schlagabtausch darüber geführt wird, ob man mit dem Elterngeld gemeinsam Urlaub machen darf oder nicht, dann ist das ein gutes Zeichen. Denn es ist ein Zeichen dafür, dass sich etwas bewegt.