Vor genau zehn Jahren hat das Stuttgarter Kunstmuseum seine Pforten am Kleinen Schlossplatz geöffnet. Das Programm 2015 steht ganz im Zeichen dieses Geburtstags und beginnt am Wochenende mit einem großen Bürgerfest.

Stuttgart - Kinder, wie die Zeit vergeht! Zehn Jahre soll es nun schon her sein, dass in Stuttgart das Kunstmuseum eröffnet wurde?! Die Erinnerung an die dunkle Epoche, als die städtische Sammlung und der Württembergische Kunstverein unter der Kuppel des Kunstgebäudes aneinandergekettet waren, ist – zumindest bei den über zehn Jahre alten Einwohnern – noch nicht verblasst, ebenso wenig wie das Bild des überdeckelten Verkehrsbauwerks namens Kleiner Schlossplatz, einer Errungenschaft der automobilen Nachkriegsmoderne, die dem barocken Schlossplatz Ende der Sechziger angegliedert wurde.

 

Funktioniert hat beides mehr schlecht als recht, sowohl die Zwangsehe von Kunstsammlung und Kunstverein als auch der aufgebockte Platz über der riesigen Tunnelöffnung, die mitten auf die Königstraße mündete. Erst die provisorische Freitreppe, die zur Leichtathletik-WM 1993 diese Bausünde schamvoll tarnte, brachte den totgeglaubten Platz wieder zum Erblühen und wuchs den Leuten so sehr ans Herz, dass sie es ernsthaft bedauerten, als diese dem Kunstmuseumsneubau weichen musste. Legen wir an dieser Stelle eine Gedenkminute für die Treppe ein!

Bollwerk gegen den Kommerz

Das Kunstmuseum, das am 4. März 2005 seine Pforten öffnete, hat die Stuttgarter dann für diesen Verlust voll entschädigt. Mit dem Glaskubus der Architekten Hascher und Jehle war das graumäusige Dasein der Galerie der Stadt Stuttgart mit einem Schlag beendet. Mit einem Mal wurde weithin sichtbar, dass die Stadt eine formidable Kunstsammlung besitzt und dass diese fester Bestandteil des kulturellen Lebens am Nesenbach ist – nicht im Sinne eines erhabenen Kunsttempels, sondern eines offenen Hauses für alle, das sich mit Kunst, aber auch mit Kaffeeterrasse, Bar, Buchladen und Restaurant in den städtischen Alltag integriert. Und es wurde wohltuend sichtbar, dass das Feld selbst an der Haupteinkaufsmeile nicht allein dem Kommerz überlassen bleiben muss.

Dass mit der Eröffnung des Neubaus auch in der Leitung des Kunstmuseums ein Neuanfang gemacht wurde, trug zu diesem Gefühl des Aufbruchs wesentlich bei. Auf Johann-Karl Schmidt, der sich durch undiplomatische Äußerungen über seine neue Wirkungsstätte am Kleinen Schlossplatz noch vor dem Startschuss selbst ins Aus befördert hatte, folgte Marion Ackermann, bei ihrem Amtsantritt die jüngste Museumschefin Deutschlands.

Buntes, lebendiges Programm

Mit Ausstellungen, die Bezug auf die eigene Sammlung nahmen, brachte die vom Münchner Lenbachhaus kommende Direktorin den Laden in Schwung und schärfte das Profil des Kunstmuseums. Den Hausgöttern Otto Dix, Willi Baumeister und Adolf Hölzel huldigte sie ebenso wie zeitgenössischen Künstlern aus der Region und dem Land, etwa Christian Jankowski, Dieter Krieg, Elger Esser oder Ben Willikens. Dazu gab sie in der Reihe „Frischzelle“ auch dem Nachwuchs eine Plattform und richtete in Themenschauen wie den „Leuchtenden Bauten“ den Blick auf die „Architektur der Nacht“ oder in „Piktogramme“ auf die „Einsamkeit der Zeichen“.

Alles in allem ein buntes, lebendiges Programm, das die Besucherzahlen in die Höhe schießen ließ. Nach seinem ersten Jahr am Kleinen Schlossplatz hatte das Kunstmuseum in der Statistik sogar die große Schwester Staatsgalerie überrundet, was natürlich auch der Neugier des Publikums auf das neue Haus geschuldet war. Der Andrang hat sich mit der Zeit auf ein Normalmaß eingependelt, das immer dann Ausschläge nach oben verzeichnet, wenn die Großbuchstaben an der Glasfassade die Sammlungsstars ankündigen, voran Dix, wie zuletzt 2012/13 („Das Auge der Welt“) oder Baumeister (2013/14).

Marion Ackermann indes hatte ihre Sache ein bisschen zu gut gemacht. Nach knapp fünf Jahren wurde sie bereits abgeworben und übernahm die staatliche Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Dass ihre Nachfolgerin Ulrike Groos wiederum aus Düsseldorf an den Neckar kam, ließ diesen Wechsel fast wie eine Rochade aussehen. Allerdings hatte die neue Herrin des Kunstmuseums nicht die ehrwürdige Kunstsammlung NRW geleitet, sondern die stärker zu Experimenten aufgelegte Kunsthalle Düsseldorf.

Anarchisch-rheinischer Flair

Groos hat Ackermanns Arbeit denn auch fortgeführt und einige neue Aktivitäten entfaltet. So rückt sie die mit dem Museum kooperierenden Privatsammler in größeren und kleineren Präsentationen in den Blick, wie beispielsweise 2014 in der Ausstellung „Cool Place“ mit Werken der Sammlung Scharpff. Sie hat im Verein mit der Sparda-Bank einen Kunstpreis aus der Taufe gehoben, der dieses Jahr wieder vergeben wird. Sie hat aber auch anarchisch-rheinisches Flair ins Spiel gebracht, an das man sich im braven Stuttgart erst einmal gewöhnen musste.

Auch die neue Direktorin selbst brauchte eine Weile, bis sie mit dem hiesigen Publikum warm wurde. Gleich eine der ersten Ausstellungen, die noch aus Düsseldorf importierte „Eat Art“, mutete den Besuchern atmende Braten und über Kopf rotierende Küchen zu, aus deren Schubladen und Schränken sich Ströme von Lebensmitteln ergossen und mit der Zeit zu einem unappetitlichen Ragout vermischten. 2011/12 stellte Groos die Sammlung in der Schau „180°“ buchstäblich auf den Kopf und ließ vor der Tür Michel Majerus’ Skaterrampe aufbauen – sehr zur Freude der ortsansässigen Jugend.

Einladung zum großen Bürgerfest

Und an diesem Mittwoch wird nun am Kleinen Schlossplatz der zehnte Geburtstag eingeläutet: Der Festakt am Abend ist geladenen Gästen vorbehalten, doch am kommenden Samstag und Sonntag erwartet das Kunstmuseum tout Stuttgart zum großen Bürgerfest – bei freiem Eintritt inklusive Kaffee, Kuchen und Sekt, wie sich das für eine ordentliche Geburtstagseinladung gehört.

Das weitere Festprogramm 2015 steht dann ganz im Zeichen des Themas Musik und Kunst, mit Konzerten auf dem Kleinen Schlossplatz, dessen Sanierung gerade rechtzeitig zum Auftakt des Jubiläums abgeschlossen werden konnte, Ausstellungen und Videoreihen sowie – Höhepunkt der Feierlichkeiten – der Schau „I Got Rhythm – Kunst und Jazz seit 1920“, die im Herbst beginnt. Auch dabei knüpft die Direktorin an die bewährte Praxis an, Ausstellungen aus der eigenen Sammlung zu entwickeln: Ausgangspunkt und Nukleus der Jazzschau mit herausragenden Leihgaben ist die „Mona Lisa“ des Kunstmuseums: Otto Dix’ phänomenales „Großstadttriptychon“, auf dem die Berliner Halbwelt der Roaring Twenties zu den Klängen einer Jazzband das Tanzbein schwingt.