Ministerpräsident Winfried Kretschmann will SWR & Co im Internet bremsen. Beim Jahreskongress der Verleger in Stuttgart sagt er der Zeitungsbranche umfassende Unterstützung zu.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Winfried Kretschmann hat keinerlei Ähnlichkeiten mit Donald Trump. Weder im Auftreten noch im Denken. Der Ministerpräsident ist am Montagmorgen aber kurz in Trumps Rolle geschlüpft, um die in Stuttgart versammelten deutschen Zeitungsverleger zu verblüffen. „Wenn die Villa Reitzenstein das Weiße Haus wäre“, sagte er in seinem Grußwort, „dann wäre ich nicht zu Ihrer Veranstaltung gekommen, sondern hätte einen Tweet abgesetzt.“ Kretschmann führte weiter aus, was die Verleger von Trump zu erwarten hätten: „Heute große Fake-News-Versammlung!“, so seine fiktive Twittermeldung. „Total desaster! So sad!“ Die US-Kollegen können darüber schon lange nicht mehr lachen. Und Kretschmann fügte hinzu: „Sie merken, es macht eben doch einen Unterschied, wer regiert.“

 

Kritische Journalisten – unverzichtbar, aber „nicht vergnügungssteuerpflichtig“

Anders als Trump sang der Grünen-Politiker ein Hohelied auf die „Vielzahl von starken, selbstbewussten Zeitungen“ in seinem Land und den „ungewöhnlich vielen eigenständigen Verlagshäusern“ – obwohl das journalistische Selbstbewusstsein „für mich nicht immer vergnügungssteuerpflichtig“ sei.

Damit die Vielfalt der Medienlandschaft in Baden-Württemberg erhalten bleibt, soll Anfang 2018 ein Runder Tisch installiert werden. So sei es im Koalitionsvertrag der Landesregierung vereinbart. Die Regie liegt beim Staatsministerium. Das Treffen mit den Zeitungsverlegern in der Villa Reitzenstein dient dem Zweck, Vorschläge auszuloten, wie die Medienvielfalt zu sichern ist.

Die Demokratie ist „auf Zeitungen existenziell angewiesen“

Der Ministerpräsident sparte in seinem Grußwort die aktuellen Probleme der Zeitungsbranche, verursacht durch die Konkurrenz im Internet, nicht aus. Er halte es aber für „etwas verfrüht“, über umfassende Staatshilfen zu reden. Er kenne bisher zwar kein funktionierendes Geschäftsmodell für Zeitungen im Netz, vertraue aber auf „das menschliche Grundbedürfnis nach Orientierung“, das „nur mit Profis“ zu stillen sei. Deshalb werde sich „Qualitätsjournalismus langfristig auch im Netz durchsetzen“, so Kretschmann. Er wolle jedenfalls davon „abraten, die Papierzeitung vorschnell in den Wind zu schießen“. Er persönlich könne sich „ein gutes Frühstück ohne Zeitung und Kaffeeduft nicht vorstellen“. Zudem sei auch die Demokratie „auf Zeitungen existenziell angewiesen“. Deren Orientierungsangebot für Bürger sei allemal nahrhafter als die „undurchsichtige Infosuppe, die uns aus dem Netz teilweise entgegen schwappt“.

Die Zeitung ist das Medium des abwägenden Denkens

Kretschmann versprach den Zeitungen auch Schutz gegen übertriebene Konkurrenz durch die gebührenfinanzierten Onlinedienste öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Wenn diese ihr Telemedienangebot ausweiten wollten, müsse über eine Einschränkung des Textumfangs gesprochen werden. SWR & Co müssten der Zeitungskonkurrenz „ausreichend Luft zum Atmen lassen“. In die Schranken weisen will Kretschmann auch mit öffentlichen Mitteln finanzierte Amtsblätter und kommunale Onlinedienste. Sie sollten sich „auf ihr Kerngeschäft konzentrieren“. Unterstützung sagte er den Zeitungsverlegern zudem bei deren Bestreben zu, die Kosten der Zustellung zu begrenzen. Die große Koalition hatte sich gegen eine Senkung der Lohnnebenkosten für geringfügig beschäftigte Zeitungszusteller ausgesprochen. Nach der Wahl ergebe sich unter einer neuen Regierung wohl die Chance, dies noch einmal anzugehen. Kretschmann sagte: „Bei mir ist vollkommen angekommen, welch entscheidend wichtige Rolle das spielt“. Es sei „ein schlechter Scherz“, wenn die wirtschaftlich unter Druck geratene Zeitungsbranche an dieser Stelle nicht entlastet würde. Darüber hinaus will sich der Ministerpräsident dafür stark machen, dass auch E-Paper-Ausgaben von Zeitungen dem reduzierten Mehrwertsteuersatz unterliegen, der für die gedruckten Blätter gilt. Bisher ist für eine Papierzeitung ein Steuersatz von sieben Prozent zu entrichten. Von jedem verkauften E-Paper sind hingegen 19 Prozent an den Fiskus abzuführen.

Bei der Krise der Zeitungsbranche, so Kretschmann, stehe „nicht irgendein beliebiges Produkt auf dem Spiel, sondern eines, was für unsere Demokratie ganz entscheidend ist“. Während im Netz „kübelweise Hass und Lüge“ ausgekippt würden, „Erregungs- und Eskalationsspiralen“ das Angebot bestimmten und „Armeen von social bots Falschmeldungen verbreiten“, bürgten die klassischen Medien für solide Information. Auch in der digitalen Welt müssten „ein paar analoge Tugenden“ verteidigt werden, zum Beispiel das „langsame, rational prüfende, abwägende Denken“ gegenüber gedanklichen Schnellschüssen. Kretschmann mahnt: „Nur so können die Köpfe für die Sphäre der Vernunft geöffnet werden.“