Willi Stächele muss vor dem Staatsgerichtshof zittern. Ohne seine Mitwirkung hätte Mappus die EnBW-Aktien nicht am Landtag vorbei kaufen können.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der „Was wäre, wenn“-Frage ist Willi Stächele bisher konsequent ausgewichen. Was wäre, wenn der Staatsgerichtshof ihm einen Verfassungsbruch bescheinigen würde? Wenn er sich als Finanzminister zu Unrecht auf eine für Erdbeben oder Seuchen vorgesehene Klausel gestützt hätte, als er auf Geheiß des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (beide CDU) am Landtag vorbei fast sechs Milliarden Euro für den Kauf der EnBW-Aktien bewilligte? Könnte er dann noch Präsident eben jenes, von ihm trickreich ausgeschalteten Parlaments bleiben?

 

Die Antworten von SPD und Grünen, die noch zu Oppositionszeiten Klage erhoben, sind eindeutig. „Ich würde ihm empfehlen, dass er sich die Konsequenzen gut überlegt“, sagt die Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann; ein Verfassungsbruch sei schließlich keine „Lappalie“. Und ihr SPD-Kollege Claus Schmiedel malt gewohnt wortgewaltig aus, zu welcher Last ein verurteilter Stächele werden könnte: „Denn jedes Mal, wenn er auf den Stuhl des Landtagspräsidenten steigt, kommt die ganze Schandtat wieder ans Licht.“

Stächele hingegen lässt alle rätseln, ob er im Fall des Falles seinen Rückzug erwägen würde; absetzen lässt sich der für fünf Jahre gewählte Parlamentschef nämlich nicht. Er bemüht sich lediglich, die Angelegenheit vor der heutigen Verhandlung zu relativieren: „Es geht nicht um einen Straftatbestand, sondern um eine Rechtsfrage.“ Richtig – aber um eine überaus folgenschwere.

Geheimhaltung vor dem Landtag

Es war wohl einmalig in der Landesgeschichte – und soll es auch bleiben –, was sich am Abend des 5. Dezember 2010 in der Staatskanzlei abspielte. Stächele wurde an jenem Sonntag kurzfristig von Staatsminister Helmut Rau einbestellt; es gebe Wichtiges zu besprechen. Gegen 23 Uhr wurde er dann in einen Raum gebeten, wo ihm Ministerpräsident Mappus, dessen Freund (und Trauzeuge) Dirk Notheis von der Investmentbank Morgan Stanley und Anwälte der Kanzlei Gleiss Lutz ihr Vorhaben eröffneten: Am nächsten Morgen solle ein Vertrag unterzeichnet werden, mit dem das Land 45 Prozent der EnBW-Anteile vom französischen Staatskonzern EdF erwirbt.

Aus Geheimhaltungsgründen könne man den Landtag nicht vorab informieren, deswegen müsse er, Stächele, die Milliarden auf der Grundlage einer Notbewilligungsklausel in der Verfassung bereitstellen. „Der Unterzeichner nahm diese Information und Rechtsberatung entgegen“, notierte der Minister in einem Vermerk über den denkwürdigen Abend.

Wie gewünscht machte er den Weg frei, tags darauf ging der Deal über die Bühne. War Stächele lediglich ein willfähriges Werkzeug oder ein von dem Coup überzeugter Akteur? Obwohl nur wenig Zeit blieb, betonte er heute, habe er sich „eine eigene Rechtsauffassung gebildet“. Es gebe eben Situationen, wo man im Interesse des Landes handeln müsse. Andererseits war es gewiss kein Zufall, dass kurz vor der Wahl – als der EnBW-Kauf längst als hochproblematisch galt – Auszüge aus seinem Vermerk publik wurden.

Hat Stächele an der Täuschung mitgewirkt?

Nun sah es so aus, als habe Mappus den Minister gleichsam zur Unterschrift genötigt. Die neue Regierung hat das Dokument übrigens nicht in den Akten gefunden, und Stächele will es nicht herausrücken: es handele sich um einen „persönlichen Vermerk“, lässt er zur Begründung ausrichten. Dabei wäre es hochinteressant zu wissen, was sonst noch drinsteht.

Der Staatsgerichtshof hätte ihn das fragen können, doch auf die beantragte Vernehmung von Zeugen wollen die Richter verzichten; auch Mappus bleibt der Auftritt so erspart. Unabhängig von der Verhandlung stellt sich die Frage, inwieweit Stächele an einer Täuschung des Landtags mitgewirkt hat. Neun Tage nach dem Vertragsabschluss verteidigte Mappus im Parlament die Anwendung der Notbewilligungsklausel.

Nicht nur die beratende Kanzlei habe das Vorgehen des Ministers als verfassungskonform eingestuft. „Das Finanzministerium hat diese Frage des Geschäfts ebenfalls geprüft und ist zu demselben Ergebnis gelangt“, sagte er laut Protokoll. Vorab, musste man verstehen – denn danach gab es nichts mehr zu prüfen. Wann aber sollte das Ministerium angesichts der Abläufe tätig geworden sein? Am frühen Montagmorgen kurz vor der Sondersitzung des Kabinetts?

 Stächele hält sich weiterhin bedeckt

Die Zweifel, ob das Ressort wirklich eingeschaltet war, haben sich nun massiv erhärtet. Anhand der vorgefundenen Unterlagen ergebe sich ein anderes Bild, ließ der neue Hausherr Nils Schmid (SPD) ausrichten. Man sei „vor der Unterzeichnung des Kaufvertrages ... nicht in den Kaufvorgang und damit auch nicht in eine Prüfung einbezogen“ gewesen. Mappus’ Aussage vor dem Landtag erscheint damit zumindest irreführend. Doch Stächele, der die Wahrheit kannte, ließ den falschen Eindruck unwidersprochen stehen.

Als alter Fuchs war er immerhin schlau genug, nicht selbst von einer Prüfung durch das Ministerium zu sprechen. Derartige Äußerungen, die ihm heute auf die Füße fallen könnten, sind jedenfalls nicht dokumentiert. Stattdessen ließ der Minister bewusst schwammig formulieren. Auf die StZ-Frage, ob das Ressort wirklich selbst geprüft habe, teilte sein Sprecher im Dezember 2010 mit: „Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen wurden geprüft und bejaht.“ Von wem, blieb offen.

Auch heute gibt Stächele keine Auskunft, inwieweit die Prüfung alleine durch ihn oder auch durch das Ministerium erfolgte. Für die Großkanzlei Gleiss Lutz, auf die sich der Finanzminister vertrauensvoll verließ, ist die – noch heute erwartete – Entscheidung des Staatsgerichtshofs ebenfalls bedeutsam. Schon in den Tagen nach dem EnBW-Deal agierten die eigentlich renommierten Anwälte seltsam kopflos; Abgeordnete klagten über dezidiert falsche Auskünfte. Würde Gleiss Lutz bescheinigt, einen Verfassungsbruch legitimiert zu haben, wäre die Blamage perfekt. Eine „Was wäre, wenn“-Frage beantwortete Stäche übrigens doch. „In dieser Situation und nach der Rechtsberatung“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur, „würde ich diese Entscheidung noch mal treffen.“ 

Über den Auftrag an Mappus' Freund Notheis gibt es keine Akten

Akten Denkbar "dürftig" ist laut Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Aktenlage zum EnBW-Deal: Weder in der Staatskanzlei noch im Finanz- und Wirtschaftsministerium hat die neue Regierung Unterlagen aus der Zeit vor dem Vertragsabschluss am 6. Dezember 2010 gefunden. Auch die Auftragsvergabe an die Investmentbank Morgan Stanley und die Großkanzlei Gleiss Lutz, die das Geschäft beratend mit vorbereitet haben, ist offenbar nicht dokumentiert. Dabei dürften die Investmentbanker um den Mappus-Freund und CDU- Landesvorständler Dirk Notheis und die Anwälte einen Großteil der Nebenkosten von 15 Millionen Euro (zuzüglich Steuern) eingestrichen haben.

Firma Laut dem Finanz- und Wirtschaftsministerium von Nils Schmid (SPD) wurden die Vereinbarungen mit Morgan Stanley und Gleiss Lutz nicht durch das Land, sondern mit der eigens gegründeten, bei der Staatskanzlei angedockten Landesgesellschaft Neckarpri GmbH geschlossen. Damaliger Geschäftsführer: der Mappus-Vertraute und Staatsminister Helmut Rau (beide CDU). Das wirft allerdings die Frage auf, wann und wie die Auftragsvergabe erfolgte. Mappus und Notheis haben das Geschäft nach eigenen Angaben bereits seit Sommer vorbereitet. Die Neckarpri wurde dagegen erst im Oktober von einem Dienstleister für Firmenmäntel gegründet und erst Ende November auf das Land übertragen.

Regeln Hätte die Vergabe der Aufträge in zweistelliger Millionenhöhe nicht dokumentiert werden müssen? Nicht unbedingt, so der Landesrechnungshof auf StZ-Anfrage. Eine Pflicht finde sich im Gesetz nicht. Die Prüfer verweisen - wie Mappus - auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, wonach die Vergabevorschriften bei finanziellen Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Ankauf von Wertpapieren nicht anwendbar seien. In der Vergabeordnung für Leistungen sei eine Dokumentationspflicht zwar vorgesehen, aber es bleibe offen, wann sie gelte. Für Beratungen durch Anwaltskanzleien gebe es nach der maßgeblichen Vergabeordnung keine Dokumentationspflicht. mül