Ein krasser Fall hat den Streit um Abtreibung in Irland neu entzündet. Eine Frau, durch eine Vergewaltigung schwanger, durfte nicht abtreiben. Als sie nach einem Suizidversuch in der Klinik war, wurde das Baby per Kaiserschnitt entbunden.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Dublin - Ein neuer, zorniger Streit über Abtreibung hat sich in der Republik Irland entzündet. Das Thema, das über Jahrzehnte hin die bittersten Kontroversen auf der Grünen Insel verursachte, macht auch nach Erlass eines Reformgesetzes weiter Furore. Gegner des umfassenden Abtreibungsverbots in Irland sprechen von „barbarischen Verhältnissen“, von einer „Kirchendiktatur“ in dieser Frage. Die neue Empörung ausgelöst hat ein krasser Fall, der diese Woche Schlagzeilen machte. Eine Immigrantin, die nach Irland übersiedelte, war noch vor der Abreise in ihrer Heimat vergewaltigt worden. Dass sie schwanger war, entdeckte die junge Frau beim ersten Arztbesuch in Irland. Da befand sie sich bereits in der neunten Schwangerschaftswoche. Sie bat eindringlich um eine Abtreibung, weil sie mit ihrer Situation nicht fertig werden könne.

 

Die Frau wurde durch Vergewaltigung schwanger

Der Hausarzt überwies sie an das gesetzlich vorgeschriebene dreiköpfige ärztliche Expertengremium, die erste Gutachterinstanz in solchen Fällen. Zwei Gutachter stuften die Frau als selbstmordgefährdet ein, aber der dritte sah keinen Grund für einen Abbruch der Schwangerschaft. Die Veto reichte, um einen Abbruch zu untersagen, die Gutachter müssen laut Gesetz einstimmig urteilen.

Der genaue Ablauf der folgenden Ereignisse ist nicht vollkommen klar und muss erst noch ermittelt werden. Die junge Frau kam in die Mühlen der Gesundheitsbürokratie. Angeblich konnte sie wegen ihres Einwanderungsstatus Irland nicht verlassen, um in England eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Sie hätte das aber auch finanziell gar nicht geschafft, hat sie seither der „Irish Times“ erklärt, weil man ihr sagte, die Reise könne 1500 Euro kosten.

In der 25. Woche wurde das Baby per Kaiserschnitt geholt

Als ihr die Abtreibung in Irland amtlicherseits versagt wurde, trat die junge Frau in einen Hungerstreik, weil sie lieber sterben als das Kind austragen wollte. Die Behörden erwirkten eine gerichtliche Verfügung, die ihnen die Zwangsernährung der Frau erlaubte. Daraufhin versuchte sie sich umzubringen. Aus Angst davor, dass sie sich – und vor allem das Kind – töten würde, nahm die Klinik, in der sich die Frau befand, einen Kaiserschnitt vor, da war sie in der 25. Woche und das Frühgeborene schon reif genug.

Es ist bislang nicht klar, ob diese Prozedur de facto eine Zwangsentbindung war oder ob die Frau, am Ende ihrer Kräfte, einwilligte. Das Kind befindet sich seither in der Frühgeborenenstation der Klinik, die Entbundene ist in psychiatrischer Behandlung. Der Fall aber hat zu einem regelrechten Aufruhr gegen die politische Elite im Lande geführt. Irlands neues Abtreibungsgesetz ist erst im Januar dieses Jahres in Kraft getreten – nach einem Skandal an einer Klinik in Galway. Dort wurde 2012 einer in kritischem Zustand eingelieferten jungen indischen Ärztin trotz inständiger Bitten ein Schwangerschaftsabbruch versagt. „Weil wir ein katholisches Land sind“, wie eine Pflegerin sagte. Die Inderin starb an den Folgen einer Fehlgeburt wenige Tage später.

„Weil wir ein katholisches Land sind“

Um solche Fälle zu verhindern und um gleichzeitig auf ein altes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einzugehen, suchte die Regierung Enda Kennys im Vorjahr mit einer Minimallösung das in der Verfassung verankerte irische Abtreibungsverbot eine Spur zu mildern. Das neue Gesetz schafft erstmals in der irischen Geschichte überhaupt die Möglichkeit einer legalen Abtreibung. Es erlaubt einen Abbruch bei direkter Gefahr fürs Leben einer Schwangeren (aber auch nur in diesem Fall). Bei unmittelbarer physischer Gefahr für eine Frau darf ein Arzt eine Abtreibung seit Januar ungestraft vornehmen. Komplizierter ist die Lage dagegen, wo es um Suiziddrohungen geht.

Ärzte und Psychiater sind gegen eine Lockerung des Verbots

Die „Selbstmordgefährdung“ einer Schwangeren muss nämlich von bis zu sieben Ärzten und Psychiatern als erwiesen betrachtet werden. Fast ein Drittel aller irischen Psychiater verwarf aber bereits in einer gemeinsamen Erklärung jegliche Lockerung des Abtreibungsverbots.

Mit Sicherheitsriegeln dieser Art hatte Kennys Fine-Gael-Partei die katholische Lobby im Lande versöhnlich zu stimmen gesucht. Vergewaltigung wurde außerdem als Grund für eine Abtreibung ausdrücklich ausgeschlossen. Vergewaltige Frauen müssen die ihnen aufgezwungenen Kinder austragen. Auch schwere Missbildungen beim Fötus sind kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch in Irland. Im Grunde, versicherte Kenny voriges Jahr konservativen Wählern wörtlich, sei die Gesetzesänderung „ja gar keine Gesetzessänderung“.

Jährlich reisen 4000 Frauen nach England um abzutreiben

Dem stimmen nach dem jüngsten Fall seine Kritiker im liberalen Lager mit bitteren Gefühlen zu. Der „Irish Times“-Kolumnist Fintan O’Toole meinte, es sei empörend, dass man versuche, „den Willen eh schon verletzlicher Frauen brutal zu brechen auf der Folterbank einer lang diskreditierten Ideologie“. Es sei „krankhaft“, dass sich das zeitgenössische Irland noch immer an Leitsätze klammere, die für die irische Gesellschaft so relevant seien „wie maoistische Slogans für das heutige China“, meinte O’Toole. Dieser „Tyrannei“ müsse ein Ende bereit werden und auch der traditionellen Heuchelei im Lande. Noch immer reisen fast 4000 Mädchen und Frauen aus Irland jedes Jahr nach England zur Abtreibung.