Viele junge Menschen möchten Bestatter werden, die Nachfrage ist oft höher als das Angebot. Durch den Wandel des Berufsbilds sind jedoch auch die Anforderungen gestiegen. Zu Besuch an einem Ort, wo der Kunde König ist.

Ditzingen/Leonberg - Hell und freundlich ist es im Reich der Toten. Inmitten von in die Jahre gekommenen Wohnhäusern, schräg gegenüber vom Friseursalon, liegt das Abschiedshaus von Anita Märtin in Leonberg. Es ist der Hauptsitz der Bestatterin und ihrer zwölf Mitarbeiter, von hier aus sind sie im Einsatz, nicht nur in Leonberg, sondern auch im benachbarten Ditzingen und in Stuttgart.

 

Unaufdringliches Pastellblau ziert die Wände, oben im Besprechungszimmer, wo die meisten Besucher keinen Blick haben dürften für die Farbe der Räume. Indirektes, warmes Gelblicht, helles Holz, florales Grün und viele Kerzen – wer nicht weiß, dass es hier um Leichen geht, wähnt sich in einem Wellness-Center. Mit dem hageren, bierernsten Erscheinungsbild des Bestatters, wie man ihn aus Filmen kennt, hat Anita Märtin nichts gemein. Die Frau mit den kurzen schwarzen Haaren trägt an diesem Tag ein pinkfarbenes Halstuch, das einen grellen Kontrast zum schwarzen Ton-in-Ton von Jackett, Hose und Schuhen bildet. Als Frau bildet Märtin noch immer eher die Ausnahme in einem von Männern dominierten Beruf. Das, was ihr Bestattungshaus anbietet, ist der Spiegel einer Branche im Wandel. Der Kunde steht im Mittelpunkt, ein Todesfall ist längst mit viel mehr verbunden als dem Aussuchen eines Sargs. Bestatter sind Berater, Tröster, Organisatoren. „Die Anforderungen werden immer individueller“, sagt Stephan Neuser, der Geschäftsführer vom Bundesverband Deutscher Bestatter, die Wünsche komplexer.

Wer Bestatter werden will, muss ein Allround-Talent sein

Und trotzdem, oder gerade wegen der gestiegenen Erwartungen: „Anders als in anderen Branchen haben wir keine Probleme, Auszubildende zu finden“, sagt Neuser. Das Interesse junger Frauen und Männer an dem Beruf ist hoch, häufig gibt es mehr Bewerber als Ausbildungsplätze. „Auch viele Abiturienten oder Studenten fühlen sich davon angesprochen.“

Anita Märtin hat nach Umwegen zu ihrem Beruf gefunden. Frauen, erzählt sie, konnten lange keine Bestatter werden, vor allem wegen der schweren körperlichen Arbeit, die damit verbunden ist. Märtin wurde dann Lehrerin – und sattelte schließlich um. „Meine Mutter war entsetzt“, sagt sie. Vieles hat sich gewandelt, seit Märtin 1997 ihr Bestattungshaus eröffnet hat. Wer den Beruf heute ergreifen will, muss ein Allround-Talent sein. Er muss mit Menschen umgehen können, einfühlsam sein, aber sich das Leid nicht zu sehr zu Herzen nehmen. Märtin spricht von einem sinnbildlichen Rucksack, den sie absetzt, wenn ihr Dienst endet. „Es ist eine Gratwanderung, wie bei allen sozialen Berufen.“ Wer die Toten auf ihrem letzten Weg begleiten will, muss auch ein pedantischer Organisator sein. „Eine Beerdigung kann nicht wiederholt werden“, sagt Märtin. Nicht zuletzt ist Flexibilität gefragt, schließlich weiß man nicht vorher, wann ein Mensch stirbt. Die Bestatter sind längst zu Dienstleistern geworden, die ihren Kunden jeden Wunsch erfüllen. Das geht auch mit einem Imagewandel einher. „Der Beruf hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung extrem gewandelt“, sagt Stephan Neuser vom Bundesverband Deutscher Bestatter.

Der Tod ist immer noch ein Tabu-Thema

Nicht alles hat sich geändert. Das Thema Tod, sagt Märtin, werde immer noch ausgeklammert, der Gesellschaft gehe es um Vitalität und Lifestyle. Sie selbst sagt, sie habe nie Berührungsängste gehabt im Umgang mit den Toten. Märtin spricht von Verstorbenen, nicht von Leichen. Für sie ist das eine Sache der Würde, es sind keine leblosen Hüllen, sondern Seelen, die auf dem Weg ins Jenseits begleitet werden müssen. Das, was sie am liebsten mag an ihrem Beruf, ist die Versorgung, das Waschen, Pflegen, auch das Entfernen der letzten Ausscheidungen und das spätere Einreiben mit Babyöl – eine Art rituelle letzte Salbung. Danach zieht sie den Verstorbenen an, mit Kleidung, die er gerne getragen hat. „Viele wählen einen Anzug“, sagt Märtin. „Warum sollte er nicht eine Jogginghose tragen, wenn er die gern anhatte?“ Das sanfte Lächeln weicht von Märtins Lippen, wenn sie von der Entsorgungsmentalität spricht, die bei vielen Bestattern vorherrsche. „Oft bleibt die volle Windel dran“, sagt Märtin, nur das Gröbste werde gemacht.

An diesem Vormittag hat Märtin keinen Verstorbenen zu versorgen, die kühl glänzende Edelstahlbahre wird gerade nicht gebraucht. Nebenan lagern eingeschweißte Kissen und Decken, daneben stehen Desinfektionsmittel. Später, wenn nicht noch ein Todesfall dazwischenkommt, wird Anita Märtin nach Hause gehen und den sinnbildlichen Rucksack wieder unter dem Schrank verstauen. Den trägt dann für eine Weile ein anderer.