Adriana Schulz hat in den vergangenen 25 Jahren hundert Pferde vor dem Tod bewahrt. Die Tiere durchzufüttern ist ein täglicher Kampf. Die Spenden fließen spärlich, und das Heu wird immer teurer.

Billigheim - Adriana Schulz, 43, hat viel Leid gesehen. Und im Gegensatz zu den meisten Menschen konnte sie ihre Augen davor nicht verschließen. Ganz weit hat sie sie aufgemacht, so weit, dass es wehtat und es gar nicht anders ging, als zu helfen. Manchmal zerbricht sie fast unter der Last, die sie sich selbst aufgebürdet hat. Adriana Schulz rettet Pferde. Seit 25 Jahren. Als 18-Jährige gründete sie den Verein Pony in Not. Auf dem Gymnasium in Schwäbisch Hall war sie damals, eine gute Schülerin. Sie wollte eigentlich Sprachen studieren.

 

Das Schicksal hat ihr eine andere Rolle zugewiesen. Adriana Schulz erinnert sich noch gut an den Morgen, an dem ihr Leben eine unerwartete Wendung nahm. Unbeschwert hatte sie sich mit ihrer Schwester Isabell zum Reitstall aufgemacht, in der Nähe von Schwäbisch Hall war das, wo sie aufgewachsen ist. Die Box ihres Lieblingspferdes war leer, der Schlachter hatte es abgeholt. An diesem Vormittag war Adriana Schulz’ Kindheit vorbei. Kurz darauf verließ sie die Schule und lernte Pferdewirtin.

Die Tragweite dieses Entschlusses konnte sie noch nicht ermessen. Heute weiß sie, dass sie sich damals für ein Leben der Entbehrungen entschieden hat – unumkehrbar. „Was sollte aus den Tieren werden, wenn ich nicht mehr da wäre?“, fragt sie und gibt selbst die Antwort: „Die würden zum Metzger gehen.“ Sie zündet sich eine Zigarette an. Dann schweigt sie.

Hundert Tiere vor dem Tod bewahrt

Hundert Pferde hat die Tierschützerin in den vergangenen 25 Jahren vor dem sicheren Tod bewahrt. Sie hat sie aus Ställen geholt, in denen der Mist fast bis zur Decke reichte, sie hat sie Menschen entrissen, die sie gequält oder einfach nur vernachlässigt haben, was auf das Gleiche herauskommt. Sie hat sie aus Schlachttransporten gerettet, wo sie geschunden ihrem sicheren Ende entgegenfuhren. Nicht nur einmal wurde sie dabei bedroht. „Manchmal weiß man nicht, ob einem nicht gleich die Mistgabel im Rücken steckt“, sagt sie.

Ihr unermüdlicher Einsatz brachte sie in die Schlagzeilen und sogar ins Fernsehen. Auch die Auszeichnung Fair Play Trophy, die die Rheinischen Sparkassen, die „Reiter Revue“ und die weltweit größte Pferdemesse Equitana gemeinsam ausloben, erhielt sie. Doch das liegt 15 Jahre zurück. Die 10 000 Euro Preisgeld sind längst aufgebraucht, und von vergangenen Ehren werden die 38 Pferde und zwei Esel auf dem Aussiedlerhof Sieben Eichen bei Billigheim im Neckar-Odenwald-Kreis nicht satt. „Sobald die Pferde gerettet sind, interessiert’s niemanden mehr“, sagt sie bitter. Bedenklich findet sie, dass unter den 600 Vereinsmitgliedern kaum Reiter sind. Offenbar sähen viele in den Tieren nur Sportgeräte.

Adriana Schulz sieht erschöpft aus. Der ständige Kampf um das Überleben des Vereins, die kräftezehrende Arbeit im Stall sieben Tage die Woche und die psychische Belastung fordern ihren Tribut. Für den Pferdeschutzhof geht es mittlerweile um die nackte Existenz. „3500 Euro kostet uns allein das Heu im Monat, dazu kommen die Pacht für den Hof sowie Wasser- und Stromkosten“, zählt Adriana Schulz auf. Rechnet man all die Posten zusammen, stehen unterm Strich 10 000 Euro Ausgaben im Monat, eine Schwindel erregende Summe für jemanden der auf die Großzügigkeit anderer angewiesen ist.

Blutüberströmt im Lastwagen

Auf staatliche Zuschüsse wie andere Tierheime kann der Pferdeschutzhof nicht hoffen, denn Pferde gelten als Schlachttiere. Stattdessen werden Schlachttransporte subventioniert. Adriana Schulz zuckt resigniert mit den Schultern. Unter den schrecklichsten Bedingungen würden die Tiere durch ganz Europa gekarrt. „Die Pferde stehen oft blutüberströmt in den Lastwagen.“

Subventioniert werden auch Biogasanlagen. Auch das hat Folgen für den Pferdeschutzhof. Denn die Kosten für das Heu schießen seither in die Höhe, weil viele dieser Anlagen mit Gras gefüttert werden – Gras, das für die Heuernte verloren ist. Gleichzeitig nimmt die Spendenbereitschaft ab. „Im Moment ist es eine Katastrophe“, sagt Adriana Schulz. Händeringend sucht die Tierschützerin nach Paten für einzelne Pferde und Ponys. Benny, Mohrle und wie sie alle heißen bräuchten dringend jemanden, der regelmäßig ein paar Euro für sie übrig hat. Die Hoffnung, dass eine eigene Homepage im Internet neue Spender bringt, hat sich zerschlagen. „Es tut sich einfach gar nichts.“

Viel Zeit zu klagen hat Adriana Schulz nicht. Die meiste Arbeit im Stall bleibt an ihr hängen. Ohne die Hilfe ihrer Mutter Christel Schulz, die sich um die Pressearbeit kümmert, und ihrer Schwester Isabell Schulz, die als Vorsitzende des Vereins fungiert, wäre sie verloren. Frühmorgens fängt ihr Tag an mit Füttern, Misten, die Pferde auf die Koppel zu bringen und Wehwehchen zu behandeln. Die Tiere danken es ihr mit Vertrauen.

Flick hat seine Scheu abgelegt

Einmal, erzählt Adriana Schulz, seien die Pferde auf einer Koppel gewesen, als mit Getöse eine Maschine vorbeikam, die vis-à-vis die Hecken schnitt. „Die ganze Herde geriet in Panik, da habe ich eine Longierpeitsche zur Beruhigung ausgestreckt und mit den Pferden geredet, alle sind stehen geblieben.“ Ein Moment wie dieser entschädigt sie für vieles. Sie zeigt auf Flick, der neugierig aus seiner Box lugt. „Es hat fünf Jahre gedauert, bis er Vertrauen zu mir fasste, und dann war es, als ob jemand einen Hebel umlegt.“

Vor Fremden haben die meisten Pferde Angst. Zu tief sitzt die Erinnerung an erlittenes Leid. Die Lebensgeschichten der einzelnen Tiere addieren sich zu einem einzigen Albtraum. Da ist Nordwind, ein kerngesunder Haflinger. Sein Verhängnis war, dass er keine Blesse hat. Die Zuchtbestimmungen schließen solche Tiere aus der Zucht aus. Adriana Schulz rettete ihn vor dem Schlachter. Das durfte sie nur unter der Voraussetzung, dass das Hengstfohlen Österreich verlässt und kastriert wird.

Oder die drei Ponys in einer Box nebenan. Sie wurden als Versuchstiere missbraucht. „Eine Hufpflegerin erprobte an ihnen neue Methoden  des Hufeausschneidens, obwohl zwei der Tiere an einer äußerst schmerzhaften Hufkrankheit litten“, erzählt Adriana Schulz. Immerhin reagierten die Behörden: Der Hufpflegerin wurde die Tierhaltung untersagt.

Wer hier landet, darf bleiben

Oder Benny, das frühere Kinderreitpony, das ausgemustert wurde, weil das kleine Mädchen keinen Spaß mehr an ihm hatte.

Oder Sancho. Kein Funke Leben war mehr in dem Warmblut, das Adriana Schulz als Jährling aus einem Schlachttransport rettete. „Der hatte aufgegeben, er hatte sich im Hänger an seinem Anbindeseil aufgehängt“, erzählt sie. Dem heute Neunjährigen sieht man noch immer die Torturen an, die er erlitten hat – undenkbar, dass er je wieder geritten werden könnte. Deshalb vermittelt Adriana Schulz die Tiere auch nicht weiter. Wer bei Pony in Not landet, darf bleiben. Bis zum Tod. Sogar das erste gerettete Pony ist noch da. Blitz ist inzwischen 31 Jahre alt – und quietschfidel.

Urlaub ist nicht drin

Da die Pferde bei guter Pflege alt werden, wird auch nur selten eine Box frei. Zurzeit kann der Verein keine Tiere mehr aufnehmen, dabei kommen ständig Anfragen. Erschütternd findet Adriana Schulz, wenn Pferdebesitzer ihre Vierbeiner abschieben wollen, weil sie alt oder krank sind.

Urlaub, Reisen, Freizeitvergnügungen – unmöglich für Adriana Schulz. Aus der unbekümmerten Schülerin von vor 25 Jahren ist eine ernste Frau geworden, die sich selbst nichts schenkt. Umso glücklicher ist sie, dass sie einen Mann kennengelernt hat, der dieses Leben mit ihr teilt. Vor sieben Jahren hat sie ihn geheiratet, seinerzeit wurde sie auch Mutter. Ihr Mann hat zwei Kinder aus erster Ehe. Weil eines der Kinder gegen Pferdehaare allergisch ist, wohnt Adriana Schulz nicht auf dem Aussiedlerhof, sondern einen Ort weiter. Spätabends schaut ihre Schwester Isabell Schulz, die auf Sieben Eichen lebt, noch einmal im Stall nach dem Rechten. Außerdem ist sie zuständig für die Mitgliederwerbung, die Rundschreiben, die Patenbetreuung und, und, und . . .

„Das ist Arbeit ohne Ende“, sagt Adriana Schulz und drückt ihre Zigarette aus. Die Pflicht ruft. 38 Pferde, die zwei Esel Mia und Momo wie auch die fünf schottischen Hochlandrinder wollen gemistet, gefüttert und gestreichelt sein. „Pferde sind mein ganzes Leben“, sagt sie beim Abschied. Immerhin, einen kleinen Luxus genehmigt sich Adriana Schulz neuerdings: jedes zweite Wochenende nimmt sie sich frei – für die Familie.