Der Fall war fast vergessen, nun überrascht er selbst erfahrene Ermittler: Ein 52-Jähriger gesteht, eine Frau in Bonn erstochen zu haben – vor mehr als 26 Jahren. Im Prozess berichtet der Mann von seiner Zufalls-Tat.

Bonn - Ein Abend auf einer Polizeiwache. Die Beamten haben einen Mann vor sich, den sie kennen. Sie haben ihn gleich zwei Mal wegen Trunkenheit am Steuer geschnappt – innerhalb weniger Stunden. Beim zweiten Mal habe ein Polizist sinngemäß gesagt, dass er so etwas in seiner Karriere auch noch nicht erlebt habe, wird der Fahrer später berichten. „Darauf habe ich dann wohl mehr oder weniger geantwortet, dass er Folgendes vermutlich auch noch nicht erlebt haben wird.“ Er gesteht einen Mord. Von 1991.

 

Der 52-Jährige spricht über diese Episode am Dienstag mit ruhiger, fester Stimme. Vor dem Bonner Landgericht hat der Prozess gegen ihn begonnen. Denn alles deutet darauf hin, dass seine Geschichte keine Wichtigtuerei oder verwirrte Erzählung im Suff ist. Sondern Realität. Der Deutsche ist wegen Mordes angeklagt, weil er am 11. November 1991 eine Frau in ihrem Haus in Bonn überfallen, gefesselt und mit 70 Messerstichen getötet haben soll. Damals waren die Ermittlungen ins Leere gelaufen. 26 Jahre später offenbart sich der mutmaßliche Mörder freiwillig. Vor Gericht gesteht er die Tat erneut.

Totale Kontrolle über den Körper einer Frau

„Die in der Anklage genannten Vorwürfe sind grundsätzlich zutreffend“, lässt er von seinem Verteidiger Michael E. Kurth erklären. Er habe die Frau getötet, die er damals zum ersten Mal gesehen habe – bei einem Spaziergang, an einem Küchenfenster. „Ich weiß nicht, was mich an diesem Tag geritten hat“, heißt es in der Erklärung. Seit seiner Jugend habe er Gewaltfantasien gespürt, aber nie ausgelebt. In diesen sei es im Wesentlichen um die „totale Kontrolle über den Körper einer Frau“ gegangen, allerdings nicht um sexuelle Gewalt. Der Entschluss zur Tat sei spontan gekommen. Er habe – wie „des Öfteren“ – Handschellen und ein Messer bei sich getragen.

Die damals 38-Jährige habe die Tür geöffnet, dann sei alles ganz schnell gegangen. „Es kann sein, dass sie sich zu stark gewehrt hat und ich sie ruhig stellen wollte.“ Mehrmals habe er mit dem Messer zugestochen. Kurz darauf sei er geflüchtet – und abends zur Uni gegangen, an der er damals eingeschrieben war. Niemand habe etwas geahnt, auch nicht seine Frau. Aber ihn hätten Alpträume verfolgt. „Wenn Sie mich nach der Motivation für mein spätes Geständnis fragen, kann ich nur sagen, dass ich diese Last endlich loswerden wollte.“

Lebensbeichte kam aus dem Nichts

Es ist ein Fall, der auch erfahrene Ermittler überrascht. Zu dem Prozess kommt es überhaupt nur, weil der Angeklagte, der zuletzt in Wolfenbüttel in Niedersachsen lebte, Anfang 2017 mit Alkohol am Steuer erwischt wird. Nachdem man ihn wieder habe gehen lassen, sei er wenig später mit einem Zweitschlüssel zurückgekehrt und weiter gefahren, berichtet er – weil er mit der „Parksituation“ seines Wagens nicht einverstanden gewesen sei. Dann habe ihn die Polizei erneut erwischt. Es folgte die Lebensbeichte. Aus dem Nichts.

Der Richter will wissen: Warum ausgerechnet in dieser Situation? Nun, womöglich habe es an der „ganzen Atmosphäre“ gelegen, bei der Polizei zu sein, antwortet der Angeklagte. Er habe das ja nicht gekannt. Am Anfang hätten die Beamten ihm wohl auch gar nicht geglaubt.

Prozess soll noch bis Mitte Dezember gehen

Bis zu diesem Zeitpunkt hat er ein unauffälliges, wenn auch von immer mehr Brüchen durchzogenes Leben hinter sich. Das Lehramtsstudium versandet. Die Ehe geht kaputt. Der Kontakt zu den drei Kindern geht verloren. Alkohol ist ein Thema. Er schlägt sich mit einem Job bei einer Zeitarbeitsfirma durch. Die Perspektive ist nicht gerade rosig.

Das alles mag das späte Geständnis erklären – der Schatten von 1991 wurde immer größer. Wie es im Inneren des 52-Jährigen aussieht, lässt sich aber allenfalls erahnen. Der Prozess soll noch bis Mitte Dezember fortgesetzt werden.