Den Knall hörte man bis in die Polizeistation. Danach läuft sofort die Hilfe für die Opfer der Katastrophe an. Die Helfer gehen an ihre Grenzen und die Politiker versprechen baldige Aufklärung.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Bad Aibling - Zu den schwersten Aufgaben von Politikern zählt es, auch in solchen Momenten etwas sagen zu müssen, in denen sie als Mensch wohl schwiegen. Weil es nichts zu sagen gibt. Eigentlich. Joachim Hermann, der bayerische Innenminister, den manche Leute nicht zu Unrecht Balou nennen, weil in diesem massiven Mann etliches an Gemüt steckt, weiß das. Er kommt häufig in diese Lage. Innenminister haben es oft mit Katastrophen zu tun. Zuletzt ist Herrmann an Silvester mit dem Ausnahmezustand konfrontiert gewesen, als wegen einer Terrorwarnung der Münchner Hauptbahnhof gesperrt werden musste. Da wusste er die Menschen, soweit es eben ging, zu beruhigen.

 

Auch im Rathaus von Bad Aibling findet Herrmann die richtigen Worte, wenn es in dieser Situation richtige Worte überhaupt geben kann. Hermann ist altgedient, er spürt, dass er hier nicht zuerst als Minister gefragt ist, sondern als Mensch. Er spricht vor dem Hintergrund von zehn Toten und Dutzenden Schwerverletzten nach dem Zugunglück südlich von Bad Aibling in Oberbayern, kurz vor Rosenheim. Instinktiv wechselt er die Blickrichtung. Er nimmt nicht groß Stellung zu dem, was zu diesem Zeitpunkt kein Mensch zu erklären vermag, sondern erzählt von einem Unglück, das sich nicht weit von hier ereignete, als Herrmann noch keine achtzehn Jahre alt war, „ein Junge“, sagt er, 1974.

Technisch viel verbessert

Damals kollidierten in Warngau, zwischen Holzkirchen und Lenggries, zwei Züge; 41 Menschen starben, weil lediglich mit einer flexiblen Kreuzung auf freier Strecke gearbeitet wurde. In den Jahrzehnten danach, in denen „technisch viel verbessert worden“ sei, sagt der Minister, habe er sich – „ohne groß darüber nachzudenken“ – nicht vorstellen können, dass sich noch einmal etwas Ähnliches ereigne. Herrmann ist, wie alle hier, fassungslos.

Und doch bemüht er sich, seiner Fassungslosigkeit zumindest eine Art Rahmen zu geben: Erinnerung. Fürs Erste – und für alle anderen. Woran könnte man sich sonst gerade halten? Womöglich auch an das, was Robert Kopp von der Polizei Oberbayern Süd später ein wenig leiser sagt als alles andere zuvor. Kopp hat die Zahlen präsent: Hunderte Kräfte der Polizei, Bundespolizei, Feuerwehr, Bergwacht, ein Dutzend Hubschrauber, auch aus Tirol, alle waren sie im Nu an der unwegsamen Unfallstelle zwischen dem Hang und dem Fluss Mangfall südlich von Bad Aibling.

Der Verkehrsminister kämpft um seine Fassung

Kurz vor sieben Uhr haben sich die beiden Züge des Typs Meridian in einer Kurve förmlich „ineinandergebohrt“, wie es der erschütterte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt beschreibt. Er ist kurz zuvor an der Unfallstelle gewesen, wo immer noch Menschen wie längliche Pakete steil in den Himmel und die Helikopter gezogen werden, die unablässig über der Unfallstelle kreisen. Dobrindt nimmt Zuflucht, zu was man Zuflucht nimmt in solchen Augenblicken.

Er beschwört, bleich wie die Wand hinter ihm in Bad Aibling, die Technik, wie sie hätte funktionieren sollen, aber nicht funktioniert hat: das PZB-90-System, Zwangsbremsung der Züge, wenn Signale überfahren werden. Zwei der drei Blackboxes seien bereits gesichert, setzt er hinzu, eine dritte werde mit Sicherheit gefunden, wenn die Sicherheitskräfte damit beginnen könnten, die Wrackteile der Züge auseinanderzuschneiden.

Noch liegen sie kreuz und quer über die Gleise verteilt, als habe eine furchtbare Gewalt sie kurz in die Hand genommen und wie Papier zerdrückt und wieder fallen gelassen. Dobrindt sagt das alles mit einem leisen Flehen in der Stimme. Als könne er die Zeit mit der Erörterung von Detailfragen, von denen keiner weiß, ob sie wirklich wichtig sind, noch einmal zurückdrehen, kurz vor den Zusammenstoß: als die einen, die aus Rosenheim kamen, es sich gerade halbwegs bequem machten, und die anderen, die sich als Pendler gewohnheitsmäßig kurz vor dem Ziel wähnten, womöglich schon im Aufstehen begriffen waren, wie jeden Tag, den sie zur Arbeit fuhren.

Glück im Unglück? Auch das gibt es hier

Und dann sagt eben Robert Kopp sehr leise, dass man vielleicht doch noch von Glück sprechen könne an diesem Faschingsdienstag, denn es seien nur 150 Menschen in den zwei Regionalzügen unterwegs gewesen, statt der doppelten Anzahl außerhalb der Ferien, wenn die Schüler mit der bayerischen Oberlandbahn fahren. Glück? Alles ist relativ.

Natürlich machen Gerüchte die Runde, wie zum Beispiel das von einem Praktikanten, der möglicherweise in einem der beiden Züge verantwortlich gewesen sein könnte. Die Quelle ist nicht zu ermitteln. Die beiden Zugführer jedenfalls sind tot, so viel weiß man am Mittag, als die meisten ehrenamtlichen Helfer schon abgelöst worden sind und nun ihrerseits Betreuung brauchen von anderen Helfern, die mit ihnen darüber reden, was sie da gesehen haben. Ehrenamtliche seien das, denen man nicht oft genug Dank aussprechen könne, wie Joachim Hermann sagt.

Angela Merkel kondoliert, Horst Seehofer spricht sein Beileid aus. Ein paar Stunden später wird Aschermittwoch sein, es ist ein furchtbarer Tag – und eine sehr seltsame Übergangszeit. In den Städten schließen die Läden zeitig, die Leute gehen zum Fasching, aber es bilden sich dann eben auch unvermutet Schlangen – beim DRK in München zum Beispiel, an der Dachauer Straße, wo extra noch einmal fürs Spenden gewoben worden ist wegen Bad Aibling. Wartezeit am Nachmittag: drei Stunden.