Mit moderner Beobachtungstechnik erforschen Wissenschaftler Ziele und Flugrouten von Zugvögeln. Das kann auch dem Schutz der Tiere dienen, denn noch ist wenig über deren exakte Routen und mögliche Gefahren im Winterquartier bekannt.

Stuttgart - Kuckucke verwandeln sich im Herbst in Sperber. Kein Wunder also, dass man sie im Winter weder hört noch sieht. Und Schwalben fliegen durch die Schweizerischen Alpentunnel gen Süden: Um den Vogelzug ranken sich seit Jahrhunderten die fantasievollsten Legenden. Und einige – wie die Tunnel-Geschichte – finden auch heute noch überzeugte Zuhörer. Schließlich vollbringen die gefiederten Fernreisenden ja tatsächlich die erstaunlichsten Leistungen. Und zahlreiche Aspekte des Zugvogel-Lebens sind nach Jahrzehnten der Forschung noch nicht geklärt.

 

Zwar legen Ornithologen den Tieren schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts Ringe mit einem individuellen Code um die Beine. Tauchen die Ringträger später anderswo auf, kennt man schon einmal zwei Punkte auf ihrer Reiseroute. Nur was ist dazwischen? Fliegen die Vögel auf geradem Weg von A nach B? Wie lange brauchen sie dafür? Machen sie unterwegs Rast? Auf solche Fragen können Wissenschaftler oft nur mit einem Schulterzucken antworten. Zumal in manchen Regionen wie in Afrika südlich der Sahara kaum einmal ein beringter Vogel gesichtet wird – obwohl sich sehr viele dort aufhalten müssen. „Bei vielen Arten wissen wir daher nicht einmal, wo ihre Winterquartiere überhaupt liegen“, sagt Martin Wikelski, der sich am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und an der Universität Konstanz mit Tierwanderungen beschäftigt.

Mit solchen Wissenslücken wollen sich er und zahlreiche seiner Kollegen rund um die Welt aber nicht mehr abfinden. Mit modernster Beobachtungstechnik setzen sie sich auf die Spur der tierischen Reisenden. Dabei geht es ihnen nicht nur um wissenschaftliche Neugier. Schließlich sind viele Zugvögel bedroht, so dass Naturschützer ihnen gern unter die Flügel greifen würden. Doch die besten Schutzmaßnahmen im Brutgebiet nützen wenig, wenn die Tiere dann in einem unbekannten Winterquartier oder auf dem Weg dorthin zu Schaden kommen. „Wir können wandernde Arten bisher einfach noch nicht so gut schützen wie sie es verdienen“, sagt Martin Wikelski.

Lange Zeit konnten nur große Vögel überwacht werden

Umso reizvoller ist die Idee, Vögel mit Sendern auszurüsten und ihre Wege über Satellit kontinuierlich zu verfolgen. Dafür verwenden Wissenschaftler bisher ein Satelliten-System namens Argos, das seit 1978 in Betrieb ist. Lange war diese Form der Überwachung allerdings nur bei großen Arten wie Störchen oder Kranichen möglich. Damit ihn die Beobachtungstechnik nicht behindert, soll ein Vogel nämlich auf keinen Fall mehr als fünf Prozent seines Gewichtes zusätzlich tragen. Besser noch weniger als zwei Prozent. Für einen rund 110 Gramm schweren Kuckuck darf der Sender daher höchstens fünf Gramm wiegen – bis vor kurzem eine utopische Größe.

Inzwischen aber hat die Miniaturisierung der Messtechnik rasante Fortschritte gemacht, und so konnten Kasper Thorup von der Universität Kopenhagen und Martin Wikelski im Jahr 2011 die ersten mit Sendern ausgerüsteten Kuckucke auf die Reise nach Afrika schicken. Inzwischen hat auch der Landesbund für Vogelschutz (LBV) in Zusammenarbeit mit Birdlife Weißrussland etliche Vögel in Bayern und Weißrussland mit Netzen gefangen und ihnen einen kleinen Rucksack mit einem Minisender auf den Rücken geschnallt.

Wo genau überwintern die Tiere und wie kommen sie dorthin? Und warum kehren so wenige Vögel aus Afrika zurück? Solche Fragen sollen die Rucksackträger in den nächsten Jahren beantworten. Denn auch der Kuckuck scheint Probleme zu haben, die Bestände in Deutschland sollen in den letzten 30 Jahren um etwa 30 Prozent geschrumpft sein.

Forscher sind gespannt auf Kuckucks-Winterquartiere

Erste Einblicke in die Gewohnheiten ihrer Art haben die Sender-Tiere bereits geliefert. Da tauchte 2013 ein Weibchen aus Bayern unvermutet in Angola auf, zwei Vögel aus Weißrussland steuerten zunächst Regionen im tiefen Süden Afrikas östlich und westlich des Krüger-Nationalparks an, um dann wieder einige hundert Kilometer Richtung Nordwesten nach Sambia und Angola zu fliegen. Die Forscher sind gespannt, welche Ziele sich langfristig als besonders beliebte Kuckucks-Winterquartiere herauskristallisieren werden.

Noch mehr Erkenntnisse erhoffen sich Martin Wikelski und seine Kollegen von einer ganz neuen Satelliten-Infrastruktur zur Beobachtung von Tierwanderungen, die sie schon seit 2002 aufbauen. Dieses internationale Groß-Projekt mit dem Namen ICARUS („International Cooperation for Animal Research Using Space”) wird vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), von der russischen Raumfahrtorganisation Roskosmos und von der Max-Planck-Gesellschaft unterstützt. 2016 soll der neue Tierwächter im All auf der Internationalen Raumstation ISS installiert werden. „Dann werden wir ganz neue Erkenntnisse über das Leben und Sterben, die Physiologie und das Verhalten von wandernden Tieren gewinnen können“, hofft Projektleiter Martin Wikelski. Im Fokus werden vor allem kleine Arten stehen, über die man bisher wenig weiß.

Die Forscher wollen zahlreiche solcher Tiere mit einer winzigen Beobachtungseinheit ausrüsten. Neben einer Solarzelle und einer wieder aufladbaren Batterie für die Energieversorgung enthält diese ein GPS-System für die Positionsbestimmung und einen 3D-Beschleunigungsmesser, der mehr über die Aktivitäten des Tieres verrät. Dazu kommen verschiedene weitere Sensoren, etwa für die Außentemperatur oder für den körperlichen Zustand des Tieres, und ein Chip, der all diese Daten verarbeiten und speichern kann.

Vogelflug-Beobachtung über die ISS

Sobald eine solche Beobachtungseinheit in den Empfangsbereich der ISS kommt, sendet sie ein kleines Informationspaket mit jenen Daten dorthin, die sie seit dem letzten Kontakt gesammelt hat. Vom All aus werden diese Informationen dann über die ISS-Bodenstation an die ICARUS-Zentrale geschickt, bevor sie schließlich über die Internet-Plattform „Movebank“ bei interessierten Wissenschaftlern landen.

Die rasche und fehlerfreie Kommunikation zwischen den zahlreichen Beobachtungseinheiten und der ISS sicherzustellen, ist dabei eine echte Herausforderung. „Wir betreten damit nachrichtentechnisches Neuland“, sagt Martin Wikelski. Doch auch die Entwicklung der Beobachtungseinheiten erfordert einige Tüftelei. Schließlich sollen die Geräte nicht nur alles Mögliche messen können und mindestens ein Jahr lang halten, sondern auch immer kleiner werden. Die erste Generation wiegt bereits weniger als fünf Gramm und ist damit für Vögel in der Liga von Kuckuck und Amsel geeignet. Für die Zukunft aber peilen die ICARUS-Forscher alle drei Jahre eine Halbierung des Gewichts an. „Etwa acht Jahre nach dem Start können wir dann hoffentlich auch Hummeln oder Schmetterlinge damit ausrüsten“, meint Martin Wikelski. Für fliegende Reisende wird es immer schwieriger, ihre Geheimnisse für sich zu behalten.