In der Region hängen viele Haushalte von dem Autobauer ab. Doch die Zukunft der Jobs ist unsicher. Der Wandel hin zur Elektromobilität wird viele bisherige Arbeitsplätze kosten.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Im Familienleben des Mechanikers Volker Wohlfarth (50) aus Hedelfingen gibt es Grundsätze: Sonntags gibt es Kaffee und Kuchen, Autos sind s in Sichtweite zu parken – und zum Schaffen geht man zum Daimler. „Wir sind eine Daimler-Familie“, sagt er. Schon Opa Karl hat bei Daimler in Hedelfingen Getriebe gebaut, sein Sohn Horst (81) hat es ihm gleichgetan und dafür gesorgt, dass Volker Wohlfarth den gleichen Weg einschlägt. „Das Getriebe“, sagt dieser und hebt den Zeigefinger „muss man sich als das Herz des Autos vorstellen. Es ist die wichtigste Komponente im Auto.“

 

Heute trägt Volker Wohlfarth rot. In IG-Metall-Montur sammelt er die Mitarbeiter aus seinem Werkteil ein, damit sie geschlossen zu einer Betriebsversammlung marschieren können. Das Motorenwerk in Untertürkheim besteht aus unterschiedlichen Teilen. In Hedelfingen ist die Getriebefertigung angesiedelt, in Mettingen werden Achsen produziert, in Bad Cannstatt und Untertürkheim befindet sich die Motorenfertigung. Die Komponenten sind verschieden, aber das Selbstverständnis ist in allen Werkteilen gleich: Alle Mitarbeiter beanspruchen für sich, am Herzen des Autos zu arbeiten. Sie sind stolz, nicht irgendwelche Autos zu bauen, sondern aus ihrer Sicht: die besten.

Das Selbstbewusstsein bekommt Risse

Doch das Selbstbewusstsein der Arbeiter bekommt immer mehr Risse. Plötzlich lesen sie in den Zeitungen, dass in Zukunft die Batterie das Herz des Autos sein soll. Die Motoren, Achsen und Getriebe aus Untertürkheim sind für das E-Autos nicht nur unwichtig. Die Teile aus Untertürkeim werden gar nicht mehr gebraucht.

„Wenn die Elektromobilität kommt, ist das gesamte Neckartal hier leer“, sagt Volker Schwarz und macht eine ausschweifende Geste. Der 58-Jährige arbeitet seit 43 Jahren bei Daimler, hat nie ein anderes Unternehmen gesehen. „Wer zum Daimler kommt, der bleibt beim Daimler“, sagt er. An diesem heißen Juli-Tag ist der Betriebsschlosser auf dem Weg zur gleichen Mitarbeiterversammlung wie Volker Wohlfarth. Denn die Betriebsräte informieren dort über den Stand der Verhandlungen mit dem Arbeitgeber. „Wir dürfen die Arbeitsplätze hier nicht verlieren, wenn die E-Autos kommen“, sagt Schwarz. Wie die Betriebsräte ist er dafür, dass in Untertürkheim eine Batteriefabrik für die neuen E-Autos gebaut wird.

Batteriefabriken gibt es anderswo

Doch Daimler hat schon eine Batteriefabrik. In Kamenz in Sachsen hat Daimler erst vor Kurzem den Grundstein für eine weitere 500 Millionen Euro teure Produktion gelegt. Es ist die zweite an dem Standort. Glaubt man den Betriebsräten, verdienen die Beschäftigten dort viel weniger. Gerade haben die Mitarbeiter zudem erfahren, dass Daimler in China eine weitere Batteriefertigung bauen will. Das verstehen sie nicht. „Die Fabrik wollten doch wir haben“, sagt Schwarz. Doch die Ansiedlung einer Batteriemontage in Untertürkheim ist für das Unternehmen nur dann sinnvoll, wenn die Produkte dort so günstig produziert werden können wie an den anderen Standorten. Darum fordert das Unternehmen Zugeständnisse von der Belegschaft. Dagegen wehrt sich der Betriebsrat und genehmigt bis auf Weiteres keines Überstunden mehr. An diesem Montag soll weiterverhandelt werden. Aber selbst wenn es gelingt, die Fertigung von Batterien ins Neckartal zu holen, werden dort nur wenige Mitarbeiter einen Job finden. Im Moment ist von 100 Arbeitsplätzen die Rede. Im ganzen Werk sind aber 19 000 Männer und Frauen beschäftigt.

Hanno Beck betrachtet die Situation mit der Distanz eines Volkswirts von seinem Büro an der Hochschule in Pforzheim aus. „Es ist nicht die Aufgabe eines Unternehmens, Arbeitsplätze zu erhalten“, sagt der Hochschullehrer. „Man kann Menschen auch damit beschäftigen, dass sie morgens Löcher in die Erde graben und sie abends wieder zuschütten, aber betriebswirtschaftlich sinnvoll ist das nicht.“ Auch er sieht jedoch, dass es bei der Auseinandersetzung um viel mehr geht als um die Zukunft des Motorenwerks in Untertürkheim. Eigentlich geht es um die Zukunft des Autolandes Baden-Württemberg. Das machen einige Zahlen deutlich: Laut amtlicher Statistik sind in Baden-Württemberg 228 000 Mitarbeiter in der Autoindustrie tätig. Rund 45 Prozent der Gesamtausfuhren der Industrie im Südwesten werden hier erbracht, und rund ein Drittel des Umsatzes der Industrie im Land wird durch die Fahrzeugbranche erwirtschaftet.

Es geht um die Zukunft von Baden-Württemberg

Aber nicht nur die Autohersteller und ihre Zulieferer geraten durch die Elektromobilität in Bedrängnis. Mit den Werkzeugmaschinenherstellern ist eine weitere baden-württembergische Schlüsselindustrie in Sorge: Mit der Autoindustrie machen die Werkzeugmaschinenhersteller bislang die Hälfte ihres Umsatzes. Bei einem E-Motor reduziert sich der Aufwand bei der Metallbearbeitung aber um 70 Prozent. Entsprechend weniger Werkzeuge werden dann benötigt. Beck hält es für problematisch, dass Baden-Württemberg so sehr vom Auto abhängt: „Kein Mensch würde sich Aktien lediglich von einer Branche kaufen“, sagt er. „Das ist unvernünftig, da Branchen sich immer wieder verändern oder sogar untergehen können“, sagt Beck.

Wilfried Porth, Personalvorstand bei Daimler, kennt sich mit dem Umbruch, der gerade in der Branche stattfindet, so gut aus wie wenige andere. Er beschäftigt sich nicht nur im Unternehmen mit dem Thema, sondern sitzt auch im Präsidium der Industrie und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart und weiß, was die Wirtschaft im Land umtreibt und in welchen Bereichen künftig weniger Menschen einen Job finden. „Natürlich gibt es Felder, in denen Beschäftigung langfristig verändert und ersetzt wird“, sagt Porth. „Das betrifft vor allem den Bereich Antriebsstrang.“ Gleichzeitig werden seiner Ansicht nach aber in anderen Bereichen neue Jobs hinzukommen. Auch er warnt aber davor, dass die Politiker und die Unternehmen in Baden-Württemberg angesichts der guten Konjunktur nicht weit genug in die Zukunft denken. „Man muss aufpassen, dass sich das Land nicht auf den etablierten Industrien ausruht“, sagt Porth. „Viele interessante Unternehmen sind weggezogen, weil sie hier nicht die Rahmenbedingungen gefunden haben, um sich Zukunftsfelder zu erschließen“, so der Manager. Das Land müsse ein Ökosystem schaffen, in dem Start-ups gedeihen und die Digitalisierung vorangetrieben werden kann. Sonst würden das andere tun.

Das bestehende Geschäft darf man nicht vernachlässigen

Ebenso wie Porth beschäftigt sich auch Heinrich Baumann, Geschäftsführender Gesellschafter beim Zulieferer Eberspächer, mit dem Thema. Beide stehen vor der Herausforderung, dass sie gleichzeitig ins laufende Geschäft und in Zukunftstechnologien investieren müssen. „Es ist ja noch gar nicht gesagt, dass Elektroautos zu hundert Prozent ersetzen, was wir heute haben“, sagt Porth. Baumanns Firma ist ein Spezialist für Abgassysteme. Das Unternehmen hängt zu 85 Prozent von Autos mit Verbrennungsmotor ab. „Natürlich wird dieser irgendwann abgelöst“, sagt er. Doch noch wächst man stark in diesem Bereich.

Am Ende geht es um Menschen wie Andine Poh. Die Arbeitsplätze, die in Baden-Württemberg künftig neu entstehen, sind Akademikerjobs. Das ist aber nicht die Welt der 27-Jährigen. Auch sie arbeitet im Motorenwerk in Untertürkheim. „Mir war immer klar, dass ich einen Männerberuf erlernen will“, sagt sie. „Ich bin handwerklich begabt und will mit Metall arbeiten.“ Ob sie an E-Autos mit baut oder an Verbrennern, ist ihr dabei nicht so wichtig: „Der Arbeitgeber verlangt Flexibilität – also bin ich flexibel.“ Und auch der Sohn von Volker Wohlfarth jobbt gerade bei Daimler. Der 18-Jährige tritt in die Fußstapfen der Familie. „Der hat auch schon den Daimler-Virus“, sagt der Vater. Erst lacht Wohlfarth darüber. Doch dann wird er nachdenklich und schweigt.